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Vor 100 Jahren
Als die Finnen unabhängig wurden

Es war eine doppelte Premiere: Erstmals in der Geschichte sollte es nach Jahrhunderten schwedischer und russischer Herrschaft ein unabhängiges Finnland geben. Zugleich entstand damit der erste von mehreren neuen Staaten, die aus den Umwälzungen des Ersten Weltkrieges hervorgingen.

Von Winfried Dolderer | 06.12.2017
    Flaggen der EU-Länder - Finnland
    Vor 100 Jahren erklärte sich Finnland für unabhängig (picture-alliance / dpa / Jp Amet)
    Es waren nicht allzu viele Worte, die das neue Kapitel in Finnlands Geschichte einleiten sollten.
    "Unser Freiheitsverlangen, das so lange unbeachtet blieb, muss jetzt in Erfüllung gehen. Das finnische Volk muss als unabhängige Nation neben den anderen Völkern der Welt bestehen dürfen."
    So lautete im Kern die Erklärung, die das Parlament in Helsinki am 6. Dezember 1917 verabschiedete. Sie bedeutete eine Premiere in zweierlei Hinsicht. Erstmals in der europäischen Geschichte sollte es ein unabhängiges Finnland geben. Zuvor war das Land sechs Jahrhunderte lang ein Teil Schwedens gewesen und hatte seit 1809 als autonomes Großfürstentum unter der Herrschaft des russischen Zaren gestanden. Zugleich war Finnland der erste von mehreren neuen europäischen Staaten, die aus den Umwälzungen des Ersten Weltkrieges hervorgingen. Dabei hatte bis fast zuletzt kaum jemand an Unabhängigkeit glauben wollen, meint der Historiker und Finnland-Experte Manfred Menger:
    "Dieser Gedanke an eine Loslösung Finnlands von Russland hatte sich schon um die Jahrhundertwende verbreitet, allerdings unter einem sehr kleinen Kreis nur, den sogenannten Aktivisten. Er galt aber lange Zeit als völlig unrealistisch."
    Finnland im 19. Jahrhundert war eine konservativ geprägte Gesellschaft. Die Elite sprach Schwedisch, die Bevölkerungsmehrheit Finnisch, das seit etwa 1840 eine allmähliche gesellschaftliche Aufwertung erfuhr. Eine Ständeversammlung und eine eigene Regierung, der Senat, nahmen die Interessen des Landes wahr.
    "Es war nicht ganz ungewöhnlich im zaristischen Imperium, dass die Randgebiete bestimmte Sonderrechte hatten, aber sie waren besonders ausgeprägt in Finnland. Jedenfalls konnte sich dieses Großfürstentum eigenständig entwickeln und schließlich zu einem Land mit einer ausgeprägten nationalen Identität."
    Erster Weltkrieg mischt die Karten neu
    Mit Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 wurden die Karten auch in Finnland neu gemischt. Die Aktivisten, die bereits ein Jahrzehnt zuvor auf einen eigenen Staat gehofft hatten, witterten Morgenluft. Sie setzten auf das Deutsche Kaiserreich, dessen Truppen an der Ostfront seit Ende 1914 die russische Armee immer weiter zurückdrängten. Aus 2000 finnischen Freiwilligen entstand das Preußische Jägerbataillon 27, das 1917 am Vormarsch im Baltikum teilnahm.
    "Die entscheidende Initiative ging zunächst mal von einer Gruppe von Studenten in Helsinki aus, die auf militärische Ausbildung aus war, um militärisch gegen Russland im eigenen Lande aktiv zu werden. Und diese Initiative ist von deutscher Seite sehr gern aufgegriffen und gefördert worden. Die deutsche Hoffnung war also ein finnischer Aufstand gegen die Russen."
    Revolution 1917 bringt die Wende
    Dazu kam es jedoch nicht. Erst das Revolutionsjahr 1917 brachte die Wende. Nach dem Sturz des Zaren im März fiel die Macht in Russland an eine bürgerlich dominierte Provisorische Regierung, die den Wunsch aller Fraktionen im finnischen Parlament nach mehr Autonomie indes zunächst abblockte. So fand die Idee, die Bindung an Russland völlig zu kappen, unter finnischen Politikern auch außerhalb des Zirkels der Aktivisten allmählich Zuspruch.
    Als im November die Provisorische Regierung durch den Putsch der Bolschewisten gestürzt wurde, konnte es in Helsinki mit der Unabhängigkeitserklärung gar nicht mehr schnell genug gehen. Russland galt jetzt als Infektionsherd der Revolution.
    Mit dem Frieden von Brest-Litowsk, den sie im Februar 1918 der Sowjetregierung diktierten, brachten die Deutschen die Westgebiete des einstigen Zaren-Imperiums unter ihre Kontrolle. Auch Finnland wurde zu einem Satellitenstaat des Kaiserreiches. Deutsche Truppen beteiligten sich dort im Frühjahr 1918 an der Niederschlagung eines sozialistischen Aufstandes – und blieben im Land.
    "Die Armee stand unter deutschem Kommando, die Wirtschaft, der Außenhandel unterlagen deutschem Zugriff, und politisch wurde alles auf ein dauerhaftes Bündnis mit Deutschland ausgerichtet. Die Krönung dieser Konstellation war dann die Wahl des Prinzen Friedrich Karl von Hessen, eines Schwagers des Kaisers, zum finnischen König Anfang Oktober 1918."
    Rettung mit und vor deutscher Hilfe
    Dessen Thronbesteigung erledigte sich freilich mit der deutschen Kapitulation an der Westfront einen Monat später. So wurde Finnland 1918 nach den Worten der Historiker Marijalisa und Seppo Hentilä zweimal gerettet: beim Aufstand der "Roten" im Frühjahr mit deutscher Hilfe, durch den Sieg der Alliierten im Spätherbst indes vor der deutschen Hilfe.