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Pflegeausbildung
Lernen auf der Intensivstation

Am Klinikum Bremen-Nord haben angehende Pflegekräfte erstmals einen Teil der Intensivstation übernommen. Vier Wochen lang führen die Azubis die Abteilung selbstständig als Schulstation - dabei aber betreut von erfahrenem Pflegepersonal.

Von Franziska Rattei | 29.10.2014
    "So, Herr Becker, moin." - "Moin." - "Ich war gestern schon bei Ihnen, mein Name ist Hanna. Wie gehts Ihnen?" - "Ja, geht. Die Schmerzen sind jetzt ein bisschen weg." - "Gut. Wie ist es, wollen wir Sie mal ein bisschen anders hinlegen?"
    Alltag auf der IMC, der Intermediate Care Einheit, einem Teil der Intensivstation im Klinikum Bremen-Nord. Hanna Katharina Brauer kennt den Patienten Fred Becker seit knapp zwei Wochen. Er hat ein neues Kniegelenk bekommen und muss nach der Operation weiter beobachtet werden auf der sogenannten Wachstation. Normalerweise übernimmt diese Arbeit examiniertes Personal. Aber zurzeit läuft die IMC unter der Regie der angehenden Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger. Kein Problem, meint Becker: "Die sind alle sehr nett. Die sind wissbegierig, die wollen wissen, die fragen nach. Wenn die hier zum Beispiel so einen Katheder ziehen, dann gucken die genau zu, wollen wissen, wie das geht. Das ist schon in Ordnung so."
    Patienten reagieren positiv
    Die 22-Jährige lächelt. Bis jetzt haben alle Patienten auf der Station positiv auf sie und die 18 weiteren Auszubildenden reagiert. Vor allem, dass sie mehr Zeit haben als die übrigen Pflegekräfte, fällt angenehm auf. Aber bevor es losging mit der Schulstation auf der IMC gab es schon Bedenken; auch von den Schülern selbst. Marcus Niemkiewicz erinnert sich noch gut daran:
    "Meine besondere Angst war einfach, ob das ethisch vertretbar ist. Mal angenommen, irgendjemand aus meiner Familie läge jetzt hier, und ich sehe als Angehöriger nur Schüler hier. Das ist natürlich ein Punkt, wo ich Angst hatte, dass man als Schüler nicht akzeptiert wird hier in so einer Stellung, in so einer Position. Aber das ist überhaupt nicht so."
    Oder wie der Patient Fred Becker es ausdrückt: Die wissen schon, was sie tun. Und wenn sie mal nicht weiterwissen, sind die fertig ausgebildeten Pfleger da. Die übernehmen auch Aufgaben, die für die Azubis noch zu riskant sind: intravenöses Spritzen etwa oder Reanimieren.
    Eine Schulstation auf der Intensivstation war für alle Beteiligten Neuland, sagt Ralph Schumacher, der Klinikpflegeleiter am Klinikum Bremen-Nord, aber: "Wir haben ja das Problem im Gesundheitswesen - das betrifft ja nicht nur unsere Klinik - dass wir immer wieder Personal suchen; speziell natürlich auch Experten, Spezialisten. Und wir müssen natürlich auch irgendwie was dafür tun, um die Menschen zu begeistern, hier zu arbeiten. Deswegen haben wir uns überlegt, da versuchen wir uns mal dran."
    Auch Intensivpflege muss gelernt werden
    Noch liegen zwei weitere Wochen Schulstation vor den Auszubildenden. Solange müssen sie noch Pflege, Personalplanung, Teamwork und Tagesablauf der IMC verantworten. Viel Arbeit, aber auch viel Gewinn, meint Hermann Schön, Lehrer am Bildungszentrum für Gesundheits- und Pflegeberufe:
    "Ich glaube, man lernt erst mal ganz viel Zusammenarbeit. Die Schülerinnen und Schüler wählen ja dann zum Beispiel auch eine eigene Stationsleitung. Also die Schulstation hat eine eigene Leitung, aus Schülern besetzt, eine Stellvertretung. Und vor allem sich dann auch durchzusetzen, auch gegenüber anderen Berufsgruppen, wo man dann vielleicht auch noch mal ein anderes Standing haben muss, wenn man das so selbstständig macht."
    Vielleicht wäre eine Schulstation in der Anästhesie, der Chirurgie oder der Kinder- und Jugendmedizin weniger stressig gewesen. Andererseits: Eine bessere Examensvorbereitung gibt es nirgends, da ist sich Hanna Katharina Brauer sicher.
    "Wir sehen Dinge, die wir auf einer inneren Station nicht sehen würden. Auf der Chirurgie darf man vielleicht - wenn man lieb 'bitte, bitte' sagt - mal mit in den OP. Und das hier ist halt was anderes. Man lernt ganz ganz viel. Die Legung von Drainagen zum Beispiel haben wir mit dabei, was eigentlich auch eine Mini-OP ist, was man hier auf Station aber auch sieht. Oder wie ein Herz wieder in die richtige Reihenfolge gebracht wird, sozusagen. Das ist total interessant!"