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Philosoph: Polnische Gesellschaft will gute Zusammenarbeit mit Deutschland

Zum Stand des deutsch-polnischen Verhältnisses hat sich der Direktor des Collegium Polonicum an der Viadrina-Universität, Krzysztof Wojciechowski, optimistisch geäußert. 50 Prozent der polnischen Bevölkerung wünschten sich eine starke Kooperation mit dem westlichen Nachbarland. Als die drei wichtigsten Probleme nannte er die geplante deutsch-russische Öl-Pipeline, die Rückführungsansprüche der Preußischen Treuhand und das geplante Zentrum gegen Vertreibung in Berlin.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 11.12.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Tauwetter zwischen Berlin und Warschau nach der Abwahl der Regierung von Jarosław Kaczyński sind beide Seiten bemüht, ein neues Kapitel in den deutsch-polnischen Beziehungen aufzuschlagen. Das wird die Botschaft sein, die heute von der deutschen Hauptstadt ausgeht. Bundeskanzlerin Merkel erwartet heute nämlich den neuen polnischen Regierungschef, den westlich orientierten Donald Tusk im Kanzleramt. Die Frage aber ist: täuscht man sich nicht gewaltig, wenn man denkt, dass nun alle Probleme beseitigt sind? - Krzysztof Wojciechowski, Direktor des Collegium Polonicum an der Viadrina-Universität Frankfurt/Oder, ihn begrüße ich am Telefon. Guten Morgen!

    Krzysztof Wojciechowski: Guten Morgen Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Wojciechowski, wenn Sie zurückdenken an die vergangenen Monate und Jahre, wie würden Sie die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Polen zu Zeiten der Doppelspitze der Brüder Kaczyński beschreiben? War das so etwas wie ein Tiefpunkt?

    Wojciechowski: Für mich persönlich war das ein Albtraum, weil ich besonders stark in die deutsch-polnischen Beziehungen involviert bin. Aber ich denke für die Mehrheit der polnischen Gesellschaft war das eine sehr schlechte Zeit und den Ausdruck dieser Unzufriedenheit haben die Wähler bei den letzten Wahlen gegeben.

    Heckmann: Inwieweit war das für Sie persönlich ein Albtraum? Können Sie das näher ausführen?

    Wojciechowski: Ja. Ich lebe jeden Tag die deutsch-polnischen Beziehungen und selbst wenn sie sehr verfestigt sind, selbst wenn sie sehr gut sind auf der Ebene der Menschen, auf der Kommunalebene, der Kulturschaffenden und so weiter, dann ist es doch so, dass diese Störungen, dieses schlechte Wetter an der Spitze einiges kaputt macht und schafft eine schlechte Atmosphäre. Es ist in der Geschichte schon öfters so gewesen, dass gut miteinander lebende Völker durch politischen Zwist irgendwie getrennt und gegeneinander gerichtet wurden. Gott sei Dank dauerte diese Zeit nicht allzu lange, aber ich bin sehr froh, dass sie vorbei ist.

    Heckmann: Das heißt Sie würden sagen, dass die Kontakte zwischen Deutschen und Polen gelitten haben? Können Sie das an einem konkreten Beispiel deutlich machen?

    Wojciechowski: Ein bisschen. Ich kann mehrere Beispiele geben. Wir haben zum Beispiel kleine Probleme, die man immer hat, die wir sonst mit links gelöst haben, und in dieser schlechten Atmosphäre plötzlich merkt man a.), dass man den anderen plötzlich als einen Deutschen oder einen Polen wahrnimmt - das ist immer bei den Spannungen so; bei Konflikten zieht man sich sozusagen auf nationale Positionen zurück -, b.), dass man die Angst hat, dass ein Problem, was nicht richtig oder nicht schnell genug oder nicht im Sinne der Mächtigen gelöst wird, gleich zur Spaltung führen wird. So war die Natur dieser schlechten Zeit und Gott sei Dank ist kein besonders großer Schaden auf dem Niveau der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit entstanden.

    Heckmann: Wenn Sie jetzt sagen Sie sind froh, dass diese Zeit vorbei ist, dann deutet das darauf hin, dass Sie glauben, dass die Verantwortung für diese schlechten Beziehungen vor allem auf der polnischen Seite lag?

    Wojciechowski: Na ja, als polnischer Patriot kann ich das nicht so explizit aussprechen. Aber ich denke schon, der Schwerpunkt dieser Probleme lag auf der polnischen Seite, insbesondere bei dieser Regierung, die höchstens 25 Prozent der polnischen Gesellschaft vertrat. Ich habe vor mir Ergebnisse einer soziologischen Umfrage vom 7. Dezember liegen, also etwas ganz frisches. Auf die Frage, mit wem deiner Meinung nach soll Polen am stärksten kooperieren, sagt 50 Prozent der polnischen Gesellschaft "mit Deutschland". An der zweiten Stelle liegt natürlich die USA mit 33 Prozent - an der zweiten Stelle. "Mit Russland" sagen 28 Prozent der Befragten, erst "mit Großbritannien" an fünfter Stelle nur 18 Prozent. Bei den jungen Wählern ist diese Großbritannien-Ausrichtung natürlich viel stärker. Sie wissen ja: Emigration, Faszination mit der angelsächsischen Welt und so weiter. Aber ein durchschnittlicher Pole will gute Kontakte mit den Deutschen. Die Geschichte ist fast vergessen, fast. Nur 18 Prozent sagen, dass die Geschichte ein Hindernis ist oder sozusagen ein besonders zu berücksichtigender Punkt bei den deutsch-polnischen Beziehungen. Und es kommen plötzlich durch Zufall - das war ein Zufall, dass sie die Macht ergriffen haben - die Leute, die aus dem Konflikt mit den Nachbarn eine zentrale Frage der Außenpolitik machen. Das ist natürlich dann die Schuld von dieser Gruppe. Ihrem sozialen Hintergrund kann man keine Vorwürfe machen. Das sind die Verlierer der Globalisierung, könnte man sagen. Die Globalisierung in Mittelosteuropa, das ist der Beitritt zur Europäischen Union. Das sind Leute, die durch diesen Beitritt plötzlich entdeckt haben, sie gehören zu den Peripherien, zu den Randgebieten von Europa, sie haben keine Chance, sie können nicht mithalten, was Energie, Qualifikation, Sprachfähigkeit und so weiter anbetrifft, mit den durchschnittlichen Europäern und die wählten Leute, die ihnen sagten, ja was sollt ihr dann ihnen hinterher rennen, wir sind was, wir können blockieren, wir können würdige Haltung zeigen. So war der Mechanismus und in diesem Sinne ist das Problem nicht vom Tisch. Sie werden dieses Problem in Mittelosteuropa haben, nicht nur mit Polen, sondern mit vielen anderen. Sie haben dieses Problem in Deutschland, insbesondere in Ostdeutschland, mit großen Gruppen der Bevölkerung und wir haben natürlich dieses Problem in der Welt, wo zwei Drittel der Welt den Schritt nicht mithalten kann.

    Heckmann: Das ist ein soziologisches Problem, aber auch die Probleme im bilateralen Verhältnis zwischen Deutschland und Polen, die sind ja nicht ausgeräumt.

    Wojciechowski: Nicht alle. Wissen Sie, im Wesentlichen sind es nur drei. Diese Pipeline, das ist ein technisches Problem. Hier gibt es schon kluge Konzepte im Spiel, wie man dieses Problem neutralisieren kann.

    Heckmann: Sie glauben, dass man da Polen einbinden kann?

    Wojciechowski: Ja natürlich. Man kann sie einbinden durch ein geschicktes Angebot, was gleichzeitig die Polen aufwertet und gleichzeitig die Sicherheit gibt, dass diese Pipeline dann nicht als eine energetische Galgenschnur für das Land verwendet werden kann. - Das zweite Problem ist natürlich ein gemeinsames Auftreten gegen Rückführungsansprüche der Vertriebenen, und das kann man auch machen. Die Polen werden sich dann bestimmt beruhigen, was die Preußische Treuhand und so weiter anbetrifft.

    Heckmann: Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Da möchte ich gerne noch mal einhaken. Es war ja bisher immer so, dass die polnische Seite gefordert hat, dass die Bundesregierung einschreitet gegen diese Klagen beziehungsweise eine Garantie abgibt, dass Deutschland quasi dann für einen möglichen finanziellen Schaden auf polnischer Seite aufkommt. Und diese Forderung, die hat auch Donald Tusk jetzt erhoben.

    Wojciechowski: Ja. Nur was heißt "Einschreiten der Bundesregierung"? Die Bundesregierung hat diese Probleme ignoriert. Ich kann das verstehen. Das waren absolute Randerscheinungen in der deutschen Gesellschaft.

    Heckmann: Die Bundesregierung hat gesagt, sie unterstützt diese Klagen nicht.

    Wojciechowski: Ja. Nur wir haben jetzt die EU. Wir laufen das Risiko, dass irgendein Richter in Straßburg sagt ja, die Leute haben das Recht auf die Rückführung ihres Eigentums. Die deutsche Regierung muss nicht unbedingt materielle Verantwortung übernehmen, sondern soll irgendeinen juristischen Akt mit Polen unterschreiben, unterzeichnen, was garantieren würde, dass beide Länder entschlossen dagegen sind, dass diese Rückführungsansprüche gestellt werden.

    Heckmann: Also einen rein symbolischen Akt?

    Wojciechowski: Ja, einen symbolischen Akt beziehungsweise beide Länder initiieren in der Europäischen Union eine Art Vereinbarung oder eine Deklaration, dass die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges für geschlossen gehalten werden. Das würde natürlich die Gemüter beruhigen und das würde die Lösung dieses Problems sein, denke ich mir.

    Heckmann: Herr Wojciechowski,, Sie hatten von drei Punkten gesprochen. Wir hatten die Gas-Pipeline, wir hatten die Klagen der Preußischen Treuhand. Würden Sie sagen, dass das geplante Dokumentationszentrum zu den Vertreibungen, das in Berlin geplant ist, das größte Problem ist zwischen den beiden Ländern, auch jetzt noch?

    Wojciechowski: Das ist vielleicht nicht das größte, aber das schwierigste Problem. Sie haben Recht. Wissen Sie aus polnischer Perspektive, egal wie man die Sache dreht, das ist ein Denkmal für deutsche Vertreibungen. Und ich denke es ist nicht polnische Neurose, sondern allein die Tatsache, dass es auf dem deutschen Territorium ist und dass es von den Deutschen initiiert wurde. Egal ob sie dieses Problem zwischen Kenia und Ruanda hätten oder China und Vietnam, die Natur der Dinge ist immer so, dass ein Denkmal oder ein Mahnmal auf meinem Territorium mein Mahnmal ist. Wie soll man diese Sache lösen? - Es ist sehr schwer. Das braucht Zeit. Die Polen müssen begreifen, dass die Deutschen das Recht haben auf so eine Aufarbeitung der Geschichte, die ihr Leiden auch berücksichtigt. Diese zwei, drei Generationen nach dem Kriege kann man nicht mehr von eigener Schuld sprechen. Man soll auch von dem eigenen Leiden sprechen, weil das seltsamerweise auch aufwertet, und die Deutschen brauchen jetzt diese historische Aufwertung.
    Die Deutschen müssen zweitens begreifen, dass das nicht ein neutraler Akt, neutrales Denkmal sein wird, sondern dass es von allen so gesehen wird. Hier sind die Positionen sozusagen unvereinbar. Vielleicht, wenn man in diesem Zentrum einfach sagt, zwei Säle gehören den Polen, ein Saal den Balten, ein Saal das und macht bitte was ihr wollt in diesem Zentrum, wird es irgendwie die Sache entspannen, weil ein gemeinsames Konzept ist auch unrealistisch. Am schönsten wäre es natürlich, wenn das irgendwo an der Grenze liegen würde, geschweige denn schon in Polen, aber das interessiert natürlich die Deutschen nicht, weil sie essenziell an dem zentralen Punkt in Berlin oder an einem anderen Punkt interessiert sind.

    Heckmann: Da würde ich gerne noch mal einhaken. Donald Tusk hat das ins Spiel gebracht als Möglichkeit, dass in Danzig ein europäisches Museum über den Zweiten Weltkrieg entstehen soll, worin dann auch an die Zwangsumsiedlungen erinnert werden soll. Das hat in Berlin für zurückhaltende Reaktionen gesorgt. Sind Sie da ein bisschen enttäuscht?

    Wojciechowski: Nein. Ich verstehe das Wesen der Sache aus der deutschen Sicht. Wir haben, sagen die Deutschen, nicht nur die Rolle des Schuldigen, des Aggressors gespielt; wir waren auch Opfer. Das verstehe ich. Ich sage noch einmal: Das sind unvereinbare Positionen. Unvereinbare Positionen brauchen Zeit, brauchen viel Dialog und brauchen Verständnis, natürlich auch Fingerspitzengefühl. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, außer utopischen - das heißt, dass es auf neutralem Gebiet gemacht wird, irgendwo in Polen, was natürlich die Deutschen nicht interessiert; warum soll da in Danzig ein Mahnmal für deutsche Vertreibungen entstehen? Kein Bürger wird dort hinfahren -, dass man in einer Exposition, die zu 60 Prozent durch die Deutschen gestaltet wird, eben den anderen auch souveräne Entscheidung über die Art der Ausstellung auf der restlichen Fläche überlässt. Vielleicht so - weiß ich nicht.

    Heckmann: Könnte ein Weg sein, um die Spannungen zwischen Deutschland und Polen weiter zu glätten. Krzysztof Wojciechowski war das, Direktor des Collegium Polonicum an der Viadrina-Universität Frankfurt/Oder. Ich danke Ihnen für das Gespräch!