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Philosophie des Atheismus

Nach dem 11. September 2001 erlebte die Religion einen Boom und erhielt wenig Gegenwehr von jener Aufklärung, die die Religion schon zur Privatangelegenheit erklärt hatte. Nun aber besinnt man sich wieder der Tradition des Atheismus. Gott ist tot: Dass diese Ansicht sehr unterschiedlich ausfallen kann, beweisen zwei Veröffentlichungen: die neueste Ausgabe der Frankfurter Hefte und Christopher Hitchens "Der Herr ist keine Hirte".

Von Werner Köhne | 13.11.2007
    Von einer Wiederkehr der Religion ist gegenwärtig nahezu aufdringlich oft die Rede. Ergraute Päpste, unauffindbare Dschihadkämpfer und Erweckungsgesichter von Jugendlichen auf Kirchentagen bilden inzwischen Indikatoren unserer Erregungskultur. Dabei wird leicht übersehen, dass das Leben im Westen eher von Indifferenz gegenüber Gott und Glauben durchherrscht wird. Und wie steht es mit der Gegenseite? Beschreibt der Atheismus mehr als eine Unterrichtseinheit zu Leben und Werk Friedrich Nietzsches? Was bedeutet es heute, bewusst ein Nicht-Gläubiger zu sein - jenseits der schönen Morgenröte, in die Nietzsche selbst noch seinen Triumph über den Tod Gottes tauchen konnte?

    Zwei Veröffentlichungen zeigen, dass die Opposition sich formiert. Gar nicht zufällig erschien in den USA das fünfte in einer Reihe von Bestseller-Büchern, in denen sich Atheisten in der aufgeladenen Athmosphäre nach dem 11. September zu Wort melden. Sam Harris "The End of Faith” und "Letter to a Christian Nation”; Daniel Dennetts "Breaking the Spell”; Richard Dawkins "The God Delusion” und jüngst Christopher Hitchen´s "God is not Great”, das nun auch auf Deutsch vorliegt.

    Weniger an der politischen Agenda orientiert man sich hingegen in der neuesten Ausgabe der Frankfurter Hefte. Die Bekenntnisse zum Atheismus darin zeugen von erstaunlicher Unaufgeregtheit.

    In der schwergewichtigen Tradition europäischen Denkens siedelt Slavoy Zizek sein Plädoyer für einen humanen Atheismus an. Der Autor bekannt dafür, dass er mit allen Wassern der neueren Philosophie gewaschen ist, aktualisiert diese altehrwürdige Diskussion, indem er Forschungsergebnisse der modernen Wissenschaften mit allgemeinen Überlegungen zu einer Zukunft des Glaubens verknüpft. Das führt Zizek zuweilen zu überraschenden Kurzschlüssen. So wird aus Ergebnissen der Quantenmechanik mit ihrer Unschärferelation eine ontologische Unvollkommenheit abgeleitet, die sowohl die alte Metaphysik als auch den Gedanken an einen gestaltenden Gott ad absurdum führen soll.

    Noch abenteuerlicher gerät Sizek eine Ableitung aus Lacans Überlegungen zur Sexuation. Zizek verführen sie zu dem Schluss, dass gerade der männlich dominierte Monotheismus als letzte Vorstufe zu einem Atheismus betrachtet werden muss, der sich dann als humaner Glauben ohne Gott verwirklicht oder wie Zizek formuliert,

    "als Glaube ohne Unterstützung durch die Autorität einer vorausgesetzten Gestalt des großen Anderen."

    Wirkt diese Beweisführung doch recht angestrengt, so zeichnen sich die Beiträge von Herbert Schnädelbach und Hans Blumenberg durch eine wohltuende Verständlichkeit aus. Beiden Autoren geht es darum, ihren bekennenden Atheismus als Frucht von Erfahrungen und kulturellen Prägungen darzustellen - was einschließt, dass sie die Religion nicht blind attackieren, sondern in einem geschichtlichen Kontinuum verorten, in dem auch die eigene Position ihre Bedeutung erfährt.

    Schnädelbach skizziert seinen Atheismus vor einem Hintergrund, welcher der Diskussion von vorneherein die Schärfe nimmt. Völlig zurecht nämlich sieht er in den westlichen Gesellschaften einen praktischen Atheismus in Geltung, der sich nicht durch bewusste Parteinahme, sondern Indifferenz hervortut. Wen beschäftigt noch Gott und das Paradies? - Dieser alltäglich gelebte Atheismus lässt Schnädelbach fast wehmütig an den alten Gegner Religion denken und ihn selbst zum frommen Atheisten werden. Entsprechend fällt seine Confessio aus:

    "Die Frömmigkeit des frommen Atheisten besteht darin, dass er nicht anders kann, als das Verlorene religiös ernst zu nehmen und darum stört es ihn, wo es bloße Garnitur unseres profanen Alltags aufgelöst wird. Seine Gemütslage bezeugt somit einen Zwiespalt zwischen dem kindlichen Bedürfnis nach Geborgenheit im Glauben an einen Vater im Himmel und dem illusionslosen Erwachsenseinmüssen."
    Dieser sympathisch defensiven Richtung liefert Hans Blumenberg in einigen Notaten ein kulturanthropologisches Fundament. Blumenbergs Ansatz besticht einmal mehr durch Menschenkenntnis, die Polemik ausschließt; gleichwohl liefert sie das abgründigste und bestechendste Argument für einen wirklich humanen Atheismus. Er geht dabei auf ein Jesus-Wort zurück, das von der Kirche bewusst nicht kanonisiert worden ist. Es lautet

    "Die mit mir sind, haben mich nicht verstanden."
    Blumenberg sieht in diesem Satz weder Verzweiflung noch eine kaltschultrige Zurückweisung verächtlicher Mitläufer am Werk, sondern die wahrhaft abgründige Einsicht bestätigt, dass der Gründer des Christentums selbst auf seine Aufhebung drängte, damit aber vor allem die Geschichte meint, die es den Menschen auferlegt, sich selbst und der Welt gegenüber verantwortlich zu handeln. Der Atheismus wäre dann als Versuch zu verstehen, sich den immer wieder anfallenden Täuschungen durch Religion entgegegen zu stemmen.

    Überraschend nähert sich Blumenberg auch der in Amerika seit dreihundert Jahren anhaltenden Diskussion um Gott, Gesellschaft und Welt.

    " Die Moderne hat die USA zwar die Trennung von Staat und Kirche beschert, aber gerade dieser Umstand hat das Problem auf feinere Formen der gesellschaftlichen Inquisition verwiesen. Ob Kreditwürdigkeit, human touch oder gesellschaftliche Verbindungen gemeint sind, immer noch scheint das Leben durchherrscht von Religion."
    Ein Eindruck, der heute von hoher Aktualität ist, wie Thomas P. Weber in einem weiteren Aufsatz nachweist. Anders als in Europa schlägt die auch in den USA zu beobachtende Indifferenz gegenüber der Religion blitzartig in hysterische Parteinahme um, wenn die Gretchenfrage "Wie hältst du es mit der Religion" ansteht, vor allen in den positiven Wissenschaften. Das zeigt sich an der Debatte zwischen den Anhängern und Gegnern der Evolutionstheorie.

    Womit wir nun bei Christopher Hitchens und in jenem gesellschaftlichen Umfeld gelandet wären, das zuletzt Veröffentlichungen pro und contra Religion wie politische Statements hervorschießen ließ.

    In einem Land, in dem ein Präsident seine erste gestaltete Rede nach dem 11. September in ein Gebet münden ließ, wo der gleiche Staatslenker die Welt in Achsen des Guten und Bösen einteilte, in einem solchen Land ist die Aufmerksamkeit für Religion dramatisch erhöht. Zu diesem Milieu zählt natürlich auch, dass Kreditgeber Kunden nach der Religionszugehörigkeit fragen, 90 Prozent der Professoren sich jedoch den Ungläubigen zurechnen oder man sich einerseits besoffen zeigt von Positivismus und Machbarkeit, andererseits aber die Präsenz Gottes überall einfordert. Vor allem Richard Dawkins The God delusion war hier als provozierende Antwort auf gesellschaftliche Restriktionen zu verstehen, die von Seiten der Kreationisten und Gottesdesignern über bildungspolitische Maßnahmen angestrebt werden. Aber es ist nicht vorrangig diese schon länger währende Diskussion, die Hitchens führt. Er bezieht sein atheistisches Sperrfeuer eher aus dem Arsenal eines engagierten Journalisten, der seine Thesen populistisch zuspitzt und sich zum Ziel gesetzt hat, die Religion ein für alle Mal zu erledigen.

    "Die Religion und die Kirchen wurden von Menschen geschaffen und da das so offensichtlich ist, kann man es nicht ignorieren. Zweitens: Ethik und Moral sind vom Glauben unabhängig und lassen sich nicht aus ihm ableiten. Drittens: Da Religion für ihre Praktiken und Glaubensinhalte eine göttliche Ausnahmeregelung geltend machen möchte, ist sie nicht nur amoralisch, sondern unmoralisch."
    Hitchens füllt diese Thesen mit Beweisen, die in den meisten Fällen kaum zu bestreiten sind, in der Summe aber die Religion zu einer einzigen Monstrosität aufbauschen - wie schon die Kapitelüberschriften des Buches anzeigen:

    "Religion tötet, "Der Alptraum des alten Testaments; Das Neue Testament stellt "das Alte mit seiner Bösartigkeit in den Schatten, Der Koran ist jüdischen und christlichen Mythen entlehnt; "Die korrupten Anfänge der Religionen, Ist Religion Kindesmisshandlung?"

    Hitchens lässt in seiner Suada nichts aus, sein missionarischer Tonfall verdeckt dabei kaum, dass er Einfluss auf die derzeitigen Kulturauseinandersetzungen nehmen möchte. In einem Fall in merkwürdiger Blindheit: Während nämlich Herr Bush und dessen Fundamentalismus von ihm nur am Rande erwähnt werden, setzt der Autor pointiert auf eine Entlarvung des Islam:

    "Der Islam ist gleichzeitig die interessanteste und die am wenigsten interessante der monotheistischen Weltreligionen. Er baut auf seinen primitiven jüdischen und christlichen Vorgängern auf, übernimmt hier und da einen Brocken und steht und fällt mit diesen Versatzstücken."
    Der Plagiatsvorwurf: ein besonders luzides Argument, das indes die Schwächen Hitchens deutlich hervortreten lässt. Der Autor wird selbst Opfer jener aufgeladenen Stimmung, der er doch Gelassenheit entgegensetzen möchte. Ganz im Gegensatz dazu sei ein Aufsatz von Werner Hamacher aus den Frankfurter Heften zu einem Text von Franz Kafka erwähnt. Hamacher findet in der Prosa Kafkas einen tiefgreifenden Antimessianismus auf. Eine Literatur, die sich ihre Ohnmacht eingesteht, ohne auf einen Erlöser zu warten. Ein solcher Atheismus wäre zu begrüßen.


    Atheismus
    Neue Rundschau
    118 Jahrgang 2007, Heft 2
    S. Fischer
    172 Seiten
    10 Euro

    Christopher Hitchens
    Der Herr ist kein Hirte
    Wie die Religion die Welt vergiftet
    Aus dem Amerikanischen von Anne Emmert
    Karl Blessing Verlag
    2007
    349 Seiten
    Preis: 17,95 Euro