Samstag, 20. April 2024

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Philosophie in Bildern. Von Giorgione bis Magritte

Ein fast 500 Seiten starkes Buch mit dem Titel "Philosophie in Bildern": Das dürfte schwere Kost sein, denkt sich, wer den in ätherischem Blau gehaltenen Einband betrachtet und beim Durchblättern den Mut des Dumont Verlages bewundert. Eine wissenschaftliche Studie, in kargem Schwarz-weiß bebildert, dafür um so üppiger mit Anmerkungen versehen, das sticht aus einem Verlagsprogramm mit überwiegend leichter verdaulicher Kost heraus. Aber hier soll gleich Entwarnung gegeben werde Autor, seit 1972 Professor für Philosophie, ist nicht nur - selbstredend - ein profunder Kenner der Materie sondern auch ein hervorragender Vermittler seines Stoffes. Das ist in der Fachliteratur leider immer noch die Ausnahme. Wo andere sich terminologisch verbarrikadieren, weil sie nicht anders können oder ihrem Text dadurch mehr Gewicht zu geben glauben, da gelingt es Brandt schwierige Sachverhalte in klare Gedanken und gut lesbare Sätze zu fassen. Ja mehr noch: er beherrscht die Klaviatur des feinen Humors bis hin zu beißender Ironie, und sein scharfsinniger Ausfall gegen Michel Foucaults Interpretation von Veläzquez "Las Meninas" gehört zum Vergnüglichsten, das ich in letzter Zeit gelesen habe. Wenn also überhaupt ein Geisteswissenschaftler jenseits der Seminarwände das Wagnis der Theorielastigkeit auf sich nehmen will, dann sollte es schon ein Autor wie Reinhard Brandt sein. Der ist sich der Anfechtbarkeit seines Ansatzes bewusst, nur Teilbereiche aus der Idee eines Kunstwerks zu klären und andere konstitutive Faktoren - etwa die Farbe oder die Maltechnik zurückzustellen. Dazu Brandt:

Martina Wehlte | 11.12.2000
    "Das ist mir auch schon vorgeworfen worden, dass es hier tatsächlich eine Gelehrten- und Theorielastigkeit gibt. Auf der anderen Seite sind die Punkte, die ich benenne, nun wirklich nicht zu leugnen, und auch die Bildqualität weist Dimension auf. Ein Bild ist vielschichtig, und ich greife eine bestimmte Dimension heraus, natürlich mit einer ganz zentralen Meinung; und in den Bildern, die ich betrachtet habe, sind wesentliche Aspekte bisher nicht gesehen worden.

    "Philosophie in Bildern" will den Maler in seinen rechtmäßigen Stand des Weltendeuters setzen und die Intention seines Werks aus philosophischer Sicht offenlegen, d.h.dem - oft genug fabulierenden - Kunsthistoriker Basiswissen an die Hand geben, das einst Allgemeingut war und dem heutigen Publikum abhanden gekommen ist. Dazu Brandt:

    "Genau das ist mit eine Mission dieses Buches, an Kultur zu erinnern, vor allem auch die antike Kultur wachzuhalten, aber auch in der Moderne eine Breitendimension aufzuweisen, die man nicht immer so sieht."

    Der zeitliche Bogen spannt sich mit Raffaels "Traum des Scipio" vom Anfang des 16. Jahrhunderts bis zur Mitte des zwanzigsten, als René Magritte ein Wasserglas auf einem ausgespannten Regenschirm malte und "Hegels Ferien" benannte. Unter welchen Gesichtspunkten, hat der Autor seine Bildauswahl getroffen? Brandt:

    "Eigentlich unter zweien: Das eine ist, dass es Bilder gibt, die - wie z.B."Die Schule von Athen" - von ihrem Titel und von ihrer Resonanz dazu einladen, sie auf die Frage hin zu untersuchen, wie es denn mit der Philosophie in diesem Bild steht, denn es kündigt ja Philosophie an. Ein anderer Gesichtspunkt war einfach der Zufall. Ich bin in Madrid gewesen und habe dort ein Bild entdeckt, "El philosopho", (das ist ursprünglich aus den Niederlanden, dann aber lange in Madrid geblieben, hat daher diesen spanischen Titel) und habe dann mich in die Reflexion mit diesem Bild begeben und es aufgenommen in dieses Buch. Zu den mehr zufälligen Funden gehört auch "Las Meninas" von Velázquez, ein sehr berühmtes Bild, das ich ursprünglich gar nicht hatte einbeziehen wollen. Aber meine Interpretation lässt durch die innere Reflexionsstruktur philosophisch werden."

    Nun ist es angesichts der Fülle des Materials zwingend, eine Auswahl zu treffen, wobei nicht nur persönliche Vorlieben sondern auch die eigene Kompetenz den Ausschlag geben. Doch nicht allein deswegen bleiben die mittelalterliche und die Gegenwartskunst außen vor. Im Unterschied zu der großen Reflexionsfreiheit der Intellektuellen und dann auch der Maler seit Beginn der Neuzeit war das Mittelalter stärker von stereotypen Festlegungen und bestimmten Schablonen geprägt. Die Gegenwartskunst aber - so der Autor - entziehe sich der Sprache und stelle die Reflexion überhaupt in Frage, was weniger auf die Subjektivität der Wahrnehmung als vielmehr auf die Gesetzmäßigkeiten des Mediums zurückzuführen sei. Brandt legt in seinen Interpretationen oftmals verschiedene Sinnebenen frei und legt Fehldeutungen offen. So im Falle von Jacques-Louis Davids Gemälde "Der Tod des Sokrates" von 1787, einem vorrevolutionären Werk, an dem immer wieder der platonische Charakter betont wurde. Brandt hingegen entschlüsselt das Gemälde in seinem geistigen Gehalt als Träger stoischer und neostoischer Gedanken, als antiplatonisch und in bewusster Opposition zum Christentum. Die scheinbare Willkür des Malers, Platon älter zu geben als seinen Lehrer Sokrates und ihn Oberhaupt der Todesszene beiwohnen zu lassen, wird überzeugend mit Davids Bildprogramm begründet. Dessen Sokrates ist für den Autor ein 'Robespierre avant la lettre' und das Historienbild ein Kommentar auf die eigene Gegenwart. Brandt:

    "Bilder sind überhaupt Gegenwartsbilder; sie leben aus sehr komplexen durchdachten Bezügen in der Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Literatur, der Malerei, der Philosophie und sehr vielen auch gesellschaftlichen und politischen Problemen, und dazu sind bis ins 19. Jahrhundert hinein antike Vorlagen gewissermaßen die Schemata der Artikulation. Man nimmt Mythen, man nimmt philosophische Szenen aus der Antike, um in diesem Medium eigene Probleme und Gedanken zu artikulieren. Kein großer Maler ist interessiert an der Geschichte als solcher, das kann man ganz ausschließen, und so auch bei David. Er ist interessiert an bestimmten gesellschaftlichen Problemen des Ancien Régime und ist befreundet mit einem Kreis von Aristokraten, die eine Reform befürworteten im Grunde auf der vielleicht von uns jetzt als naiv eingeschätzten Basis, dass man wieder zur Tugend zurückkehren soll. Das lässt sich literarisch belegen, die Aristokratie wendet sich in ihren ernsteren Teilen ab vom Rokoko, von den Nachhängen dieser Tendelei-Kultur und wird ernst. Dieser Ernst entspricht einer allgemeinen Zeitströmung des Stoizismus. Der Stoiker ist ein ernster Philosoph, ein Philosoph der intensiven Disziplin seiner selbst und auch der gesellschaftlichen Disziplin, und das reflektiert David in diesem Bild "Der Tod des Sokrates". Er nimmt eine Bildvorlage, von der wir auch wissen, dass sie von Diderot und anderen geschätzt wurde als ein Bild eines Dramas und ordnet in dieses Bild nun hinein ganz antiplatonische Züge, denn diese Art von Tugendstreben und dieser virile Körper des Sokrates: das entspricht überhaupt nicht dem Geist des Phaidon, der in der Frage des Lebens nach dem Tod sehr spirituell, sehr feinsinnig ist, aber nicht politisch. Politik spielt gar keine Rolle, und in diesem Bild von David kündigt sich an die Tugendmoralistik eines Robespierre an, denn die Französische Revolution gibt sich ja auch sehr tugendhaft. Sie insisitiert immer auf Tugend und kippt ja auch um in dem Willen, letztlich einen Tugendstaat zu errichten."

    Aus der Fülle der von Reinhard Brandt behandelten Werke sei noch der erwähnte Velázquez, Las Meninas im Prado herausgegriffen. Es will scheinen, dass das weltberühmte Gemälde ein Irrläufer unter den philosophisch inspirierten Bildern ist. Doch Brandts schlüssige neue Interpretation nicht vorrangig als.ein Repräsentationsbild sondern als ein Bild, das von seiner eigenen Entstehung, der Werkgenese und dem Anschein der Wahrhaftigkeit handelt, gewissermaßen ein Spiegelbild seiner selbst. Diese frappierende Interpretation rechtfertigt die Aufnahme in den Band vollständig. Wie also ist das Bild konzipiert? Brandt:

    "Beim vielen Herumexperimentieren bin ich am Schluss zu der Idee gekommen, dass erstens sich die Prinzessin La Meninia im Vordergrund mit den beiden anderen Hoffräulein in einem Spiegel sieht. Sie bereiten sich vor für die Sitzung des Malers Velasquez. Wenn sie sich im Spiegel sehen, dann gibt es - und das ist schon die Konsequenz, die man da ziehen muss - eigentlich keinen Betrachter von außen. Wer betrachtet denn das Bild? In der Bildfiktion - und das ist neu - betrachtet m.E.alles das, wir sehen die Prinzessin selber. Der Maler malt das, was sein Modell sieht. Das ist eine Hommage an sie, und er stellt sich ganz in ihren Dienst, eine außerordentlich raffinierte Bildidee. Wenn man das unterstellt, geht m.E.alles ungefähr auf Einen anregenden Impuls gibt der Autor mit seinen kurzen Betrachtungen zu Cervantes "Don Quichotte", in dessen Spiel mit Fiktion und vermeintlicher Historizität er eine analoge Erscheinung zu "Las Meninas" sieht. Beide Werke thematisieren die Brechung von Darstellung und Wirklichkeit, wie ja auch die im 17. Jahrhundert um sich greifende Mode des trompe l' oeil in diesen Zusammenhang gehört.

    Ist also Velazquez' Gemälde im Prado die gemalte philosophische Theorie von der Welt als bloßer Erscheinung, eine bildhafte Vorwegnahme der Ich-Philosophie Descartes' etwa, in der alles ein Phänomen des Bewußtseins ist, im vorliegenden Fall eben dem Kopf der kleinen Dona Maragarita entsprungen? Brandt warnt davor, einer solchen Versuchung der hermeneutischen Interpretationsmethode zu erliegen. Der Spiegel ist ein zeitloses Motiv in der Kunst, Medium des schöpferischen Geistes und kontemplativer Selbstbetrachtung - noch bei Max Klinger, noch bei Michelangelo Pistoletto. Welche Erkenntnis er vermitteln soll, unterliegt freilich dem Wandel der Zeit. Reinhard Brandt hat sie dem Vergessen entrissen, und es bleibt zu wünschen, dass sein Buch nicht nur in Fachkreisen ein Standardwerk wird sondern ein kulturgeschichtlicher Leitfaden durch die abendländische Kunst- und Geisteswelt in möglichst vielen Händen.