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Philosophie in der Küche - Kleine Kritik der kulinarischen Vernunft

Was hat das Essen mit der Philosophie zu tun, außer dass manche Philosophen, Hegel zum Beispiel, gerne gegessen haben? Bei Wittgenstein und Sartre aber soll das anders gewesen sein. Sie seien Kostverächter gewesen, so die Politologin Francesca Rigotti aus Lugano in ihrer kleinen Kritik der kulinarischen Vernunft. Doch dass beides gängigerweise miteinander verglichen wird, das sagen Redewendungen wie 'ein Buch verschlingen' oder 'nach Erkenntnis lechzen' und Ausdrücke wie Erkenntnishunger und Wissensdurst. Man muss dann nur noch an die Bibel denken, an den Sündenfall oder an das Abendmahl, um sich die Analogien zwischen Essen und Denken zu verdeutlichen. Aber was sagen diese Analogien? Darüber schweigt sich Rigotti aus, erklärt dergleichen Fragen sogar als zweitrangig. Das kleine Buch versammelt zahlreiche Analogien und ein wenig, auch amüsantes historisches Material. Doch es dringt nicht in mögliche Zusammenhänge vor. Rigotti beschwört allein die Parallelen, Essen sei wie Denken, Kochen wie Schreiben. An einer einzigen Stelle verweist sie auf das Imaginäre, für das Essen und Denken dasselbe sei. Aber was das besagen könnte, dazu fällt der Politologin geradezu beharrlich nichts ein

Hans-Martin Schönherr-Mann | 27.06.2002
    Wahrscheinlich aus guten Gründen. Anstatt beispielsweise psychoanalytisch bei Lacan, diskursanalytisch bei Foucault oder sprachphilosophisch bei Wittgenstein darüber etwas zu lernen, greift sie lieber auf antike und christliche Autoren zurück. Denn Rigotti beschäftigt sich zwar mit einem Sprachproblem, begreift dieses aber lieber essentialistisch als wirkliche Minestrone, die sie ihren Kindern in der Küche selbst zubereitet. Man denke an die berühmten Worte aus dem Abendmahl: 'Dies ist mein Leib.' Rigotti will sich nicht in die Struktur des Sprachgebrauchs vertiefen. Sie will vielmehr mit der Analogie zwischen Essen und Denken einerseits letzterem als geistige Nahrung eine längst verloren gegangene inhaltliche Beseelung zusprechen: Denken beschäftigt sich nicht bloß mit Zeichen, sondern wie das Kochen mit realen Gegenständen. Andererseits wertet sie die Hausarbeit der Frau auf- Männer - so Rigotti - sind doch höchsten Hobbyköche -, wenn man den Teig der Crepe genauso kneten oder ruhen lassen muss wie die Notizen im Computer. Das Kochen erschließe insofern die Welt genauso wie die Philosophie. Rigotti bekennt zudem, dass ihr Denken besonders leicht falle, wenn sie bügelt.

    Das Büchlein hat also eher einen christlichen oder ethischen Anspruch, weniger einen analytischen, oder gar psychoanalytischen, der vielleicht dem sexuellen Begehren im Essen wie im Denken nachginge. Es predigt lieber Hausmannskost, die man seinen Kindern wohl überlegt und pädagogisch wertvoll bereiten sollte, als Spaziergänge ins Spezialitätenrestaurant. Rigotti fühlt denn auch lieber mit Hannah Arendt mit, die eine gute Köchin war und sich darüber ärgerte, wenn ihre Gäste anstatt über ihr Essen lieber über ihre Bücher redeten. Sartre dagegen muss ein Kostverächter gewesen sein, der als Bohemiens täglich im Restaurant essen musste, weil Simone de Beauvoir nicht kochen konnte. Offenbar gibt es für Rigotti ziemlich klare Regeln des Denkens wie des Essens, schließt sie an die christliche Lehre des Zusammenhangs der Laster und Sünden an, die Gregor der Große konzipierte. Die Lebens- und Schreibweise des Bohemiens Sartre fallt offenbar unter die Laster, während sich eine diätetische Philosophie genauso wie die Kochkunst nicht nur auf das rechte Maß besinnen muß. Sie muss es allen auch ein wenig recht machen, wie in der Küche, die Karotten, die das Kind nicht mag, eben dann kochen, wenn es nicht da ist: Die selbstlose christliche Liebe bedarf angeblich keiner Erwiderung, aber sie präsentiert sich - so Rigotti- in Formulierungen wie: Ich habe dich zum Fressen gem. Da darf man doch fragen, ob sich die Mutterliebe darin nicht eher verrät.

    Dass sich in der Sprache immer etwas anderes als das unmittelbar Gesagte ausdrückt, dem schenkt Rigotti keine Beachtung. Sie bedauert vielmehr, dass die Sprache keine festen Regeln besitzt und vergleicht sie mit einer schlampigen Hausfrau. Wittgenstein hat sie offenbar nicht verstanden, nicht zuletzt dann, wenn sie ihr Eingangsmotto - Wittgenstein über Rosinen, die das beste am Kuchen sind, aber alleine noch keinen Kuchen ergeben - dahingehend interpretiert, dass Wittgenstein damit der Philosophie sagen wolle, sie dürfe sowenig wie die Kochkunst aphoristisch sein. Schade; denn Kochen im Sinne Wittgensteins als Sprachspiel zu interpretieren, könnte ich mir spannender vorstellen, als eine gregorianische Gedankendiät zu propagieren.