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Philosophische Gebrauchsanweisung

Wenn es wahr ist, dass - wie Ludwig Wittgenstein sagte - die Methode des Philosophierens darin besteht, sich wahnsinnig zu machen und den Wahnsinn anschließend wieder zu heilen, dann ist es das Bestreben der Einführungen in die Philosophie, diesen in sich risikoreichen und aufgeheizten Prozess abgekürzt und nüchtern darzustellen.

Von Hans-Jürgen Heinrichs | 16.07.2007
    Als eine der anspruchsvollen und bei allen Vereinfachungen und Reduktionen gelungenen Hinführungen zu den humanwissenschaftlichen Theorien darf Jochen Hörischs 2004 erschienene Theorie-Apotheke gelten. Aber schon hier stellte sich die Frage, ob ein schwieriger Gedanke allein dadurch leichter verstehbar wird, dass man so tut, als rede man alltagssprachlich, als sei das, worüber gesprochen wird, das uns Nächste und nicht das uns Fremdeste.

    Luc Ferry ist in seinem neuen Buch "Leben lernen: Eine philosophische Gebrauchsanweisung" in dieser Hinsicht besonders weit gegangen und schlägt einen so beschwingten Ton an, als sei er davon überzeugt, dass Philosophie in erster Linie eine Frage der Einstellung und des Befolgens der richtigen Gebrauchsanweisung ist. Er nennt sein Buch bescheiden und ehrgeizig zugleich.

    "Bescheiden, weil es sich nicht an ein Fachpublikum richtet, sondern an Leser, wie es die jungen Zuhörer waren, mit denen ich in jenen Ferien diskutierte. Ehrgeizig, da ich der erforderlichen Einfachheit zuliebe zu keinerlei Zugeständnis bereit war, wenn dies die Darstellung der grundlegenden Gedanken hätte verfälschen können."

    Der Titel ist verlockend: Leben lernen. Wer wollte das nicht, ein besseres Leben! Und dies mittels einer einfachen Gebrauchsanweisung, einer philosophischen. Luc Ferry ist zur Zeit damit in Frankreich sehr erfolgreich, in einer intellektuellen Stimmung, in der alles Philosophische geradezu gierig aufgesogen wird. Bestes Beispiel sind schon seit Jahren die Bücher von Michel Onfray, Plädoyers für eine sinnliche und subversive Philosophie, eine genießerische Vernunft und eine solare Erotik.

    Es sind aber nicht nur die populären Kombinationen der Philosophie mit Lebenskunst, Genuss und Erotik, die diese Bücher in Frankreich, wo ja im übrigen Philosophie auch Schulfach ist, so erfolgreich machen. Selbst ein Fachstreit wie der immer wieder neu aufflammende um Heideggers Beziehung zum Nationalsozialismus wird hier in breiter Öffentlichkeit geführt. Offensichtlich - und das zeigt auch das enorme Interesse der Medien für die Psychoanalyse - messen die Franzosen den Wissenschaften, der Kunst und Literatur einen ungleich größeren nationalen und kulturellen Wert als die Deutschen bei.

    In einer solchen geistigen Atmosphäre wird ein Buch wie die "philosophische Gebrauchsanweisung" des 1951 geborenen Luc Ferry, der an verschiedenen Universitäten Philosophie gelehrt hat, bevor er von 2002 - 2004 Erziehungsminister war, nahezu zwangsläufig zum Erfolg.

    Luc Ferrys Streifzüge durch die Philosophiegeschichte orientieren sich an den großen Lebensfragen, auf die die Philosophen Alternativantworten zur Religion zu geben versuchten. Letztendliches Ziel ist, ein glückliches und freies Leben zu führen, den Sinn des Lebens und die richtigen Werte zu erfahren und zu erkennen. Der dementsprechende größere Rahmen ist die Formulierung einer modernen Ethik und eines zeitgemäßen Humanismus.

    "Eine der Hauptschwächen unserer Zeit besteht darin, die Philosophie auf eine simple "kritische Reflexion" oder eine "Argumentationstheorie" zu reduzieren."

    Luc Ferrys "Gebrauchsanweisung", die aus einem improvisierten Philosophiekurs für Eltern und Kinder hervorgegangen ist, will trotz des mündlichen Stils die Substanz, den Reichtum und die Tiefe der philosophischen Vorstellungen und Theorien bewahren. Er möchte an die Philosophieschulen der griechischen Antike anschließen, überzeugt davon, dass man ohne Philosophie nichts von der Welt versteht, dass sie die beste, auf Selbstbestimmung und Freiheit beruhende Einübung in das Leben und dessen Endlichkeit darstellt. In diesem entscheidenden Punkt sieht er die Philosophie nicht nur der Religion, sondern auch der Psychologie überlegen, ohne für diesen letzten Gesichtspunkt allerdings hinreichende Gründe anzugeben.

    In das Zentrum seiner Überlegungen stellt er den Begriff des "Heils”, die Erlangung des Heils nicht durch religiöse Versprechungen, sondern "ganz aus uns selbst" - gleichsam flankiert von dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit (Ethik), dem Verständnis dafür, wie es tatsächlich ist (worüber die Theorie Aufschluss geben will), und dem Streben nach Weisheit.

    "Ich bin sicher, dass Weisheit, auch wenn ich noch unendlich weit von ihr entfernt bin, tatsächlich existiert, und dass sie die Krönung eines endlich von den Illusionen der Metaphysik und der Religion befreiten Humanismus darstellt."

    In seiner Verteidigung der Philosophie als eines Versuchs, das Heil, das Ideal der Weisheit und Lebensdisziplin, auf vernünftige Weise anzustreben, räumt er der christlichen Heilslehre einen sehr großen Raum ein. Sein Hauptaugenmerk gilt der Entstehung der modernen Welt: dem Zusammenbruch der antiken Kosmologie, der grundsätzlichen Infragestellung der religiösen Autoritäten und der wissenschaftlichen Revolution im 16. und 17. Jahrhundert.

    "Ich kann dir sagen, dass das heutige angebliche Verschwinden der "Grundwerte", dieser scheinbare Niedergang in Bezug zur "guten alten Zeit" ein Klacks ist, die reine Farce im Vergleich zu dem, was Menschen im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert gefühlt haben müssen angesichts dieser Infragestellung, ja, dieses Zusammenbruchs der Heilsstrategien."

    Die Darstellung der maßgeblichen philosophischen Strömungen der folgenden Jahrhunderte kommt dann allerdings bei Ferry doch sehr kurz, ausgenommen Nietzsche und Heidegger.

    Im Verlauf seines Buches - vor allem bei seinem Versuch, auch Nietzsche für eine (unchristliche) Philosophie der Liebe, des Glaubens und des Heils zu gewinnen - wird immer deutlicher, warum er der Psychologie nicht zugestehen will, die Nachfolge der Philosophie anzutreten: Die Philosophie könne auch weiterhin, trotz aller religiösen und naturwissenschaftlichen Konkurrenzunternehmen, ihre Aufgabe als einer lebensbejahenden und der Endlichkeit des Seins sich mutig stellenden Lehre und Praxis erfüllen. Die Frage nach dem Heil verknüpft er mit der Frage nach dem Sinn und einem selbstreflexiven, undogmatischen und "erweiterten” Leben und Denken jenseits pluralistischer Beliebigkeit.

    "Im Gegensatz zum "bornierten" Geist ließe sich das erweiterte Denken als jenes Denken definieren, mit dem man über sich hinausgehen kann, um sich "an die Stelle eines anderen zu versetzen"."

    Auch wenn bei einer solchen Einführung Nivellierungen und Banalitäten nicht ausbleiben können, die Schwerpunktsetzungen fragwürdig bleiben und manchmal ein schulmeisterlicher Ton gegenüber einem Denker wie Nietzsche albern klingt ("Nietzsche hatte es gut verstanden ..."), ist doch der Zweck eines solchen Buches erfüllt; es wird mit Sicherheit der Philosophie neue Leser zuführen und die Lust am Denken kräftig anstacheln.

    Luc Ferry: Leben lernen: Eine philosophische Gebrauchsanweisung. Aus dem Französischen von Liz Künzli. 320 S., 19,90 Euro. Antje Kunstmann Verlag München.