Zudem ist es regelrecht spannend, dies an den sorgfältig ausgewählten und repräsentativen philosophischen Texten selbst mitverfolgen zu können. Es sind Texte von Platon, Aristoteles, Thomas von Aquin, Hobbes, Locke, Rousseau, Kant, Fichte, Hegel und Humboldt für die antike bis neuzeitliche Tradition, sowie Texte von Engels, Simmel, Freud, Horkheimer, Marcuse, de Beauvoir, Irigaray und Butler für die kritische Moderne bis zur Gegenwart. Denn der "gender trouble", wie es bei Judith Butler heißt, fing gar nicht einmal so turbulent an. War es doch immerhin Platon gewesen, der in seinem Dialog Der Staat von der natürlichen Gleichheit von Mann und Frau ausging. Es heißt dort: "Wenn aber ihre Besonderheit bloß darin besteht, dass das Weib gebiert und der Mann zeugt, so ist dadurch noch gar nichts bewiesen. Es gibt keine die Staatsverwaltung betreffende Beschäftigung, die der Frau als Frau oder dem Mann als Mann zukäme; vielmehr sind die natürlichen Anlagen auf ähnliche Weise unter beiden Geschlechtern verteilt, und naturgemäß hat die Frau ebenso wie der Mann Anspruch auf alle Beschäftigungen."
Aber schon bei Aristoteles ist anderes zu lesen und das Unbehagen im Geschlechterverhältnis nahm seinen Lauf. Dennoch machen die Autorinnen deutlich, dass das eigentliche Ideologischwerden des Konzepts 'Geschlecht' an neuzeitliche Bedingungen gebunden ist. An Bedingungen nämlich, unter denen sich die bürgerliche Gesellschaft formierte und worunter trotz der grundlegenden Idee der Freiheit und Gleichheit aller Menschen jene geschlechtsspezifische "Naturalisierung" von Mann und Frau erfolgte, wodurch prinzipiell freie und gleiche Subjekte durch Geschlechtscharaktere als Männer und Frauen auf eine bestimmte Seinsweise festgelegt und in eine dieser Seinsweise gemäßen, quasi natürlichen Geschlechterordnung festgeschrieben wurden. Für die Frauen bedeutete dies den Einschluss in die enge Welt familiärer Innerlichkeit, deren 'ungesundes' Klima nicht von ungefähr Sigmund Freud dann erforschte. So ist bis in die Gegenwart kritische Theorie der Moderne, zumal feministische, an der Umsetzung der Idee von Freiheit und Gleichheit maßgeblich orientiert. Doch dann stellt sich die Frage, worauf die Autorinnen am Schluß ihrer langen philosophiegeschichtlichen Wegstrecke verweisen, inwieweit dafür ein konstruktives Konzept von 'Geschlecht' überhaupt notwendig ist. Inwieweit Geschlechtertheorien in unserer Zeit, in der Männer und Frauen ihre Lebensweisen selbstverantwortlich gestalten und sie diese zum Teil quer zu allen Naturvorgaben entwerfen, noch Sinn machen. Dies zu beantworten, wäre die Aufgabe eines neuen Buches. Vorher jedoch hat der Leser durch die vorliegende Publikation bestens Gelegenheit, die lange Tradition der Geschlechterkonstruktionen zu sichten und Aufschluss über deren veritable Fragwürdigkeit zu gewinnen.