Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Physische Tonträger
Ein Comeback der Musik-Kassette

Nicht nur die gute, alte Schallplatte hat nach wie vor ihre Liebhaber, auch die Kassette. Physische Tonträger haben nämliche ihren ganz eigenen Sound. Das zeigt auch der Sampler "Elektronische Kassettenmusik Düsseldorf 1982-1989". Der jetzt beim Hamburger Label "Bureau B" erschienen ist.

Von Andi Hörmann | 11.02.2017
    Audio-Kompaktkassetten (Musikkassette, MC, Audiokassette) verschiedener Hersteller.
    Audio-Kompaktkassetten (picture alliance / dpa / Peter Zimmermann)
    Physische Tonträger haben ihren ganz eigenen Sound. Schon im Klang der Verpackung stecken akustische Welten: Die zarte Papierhülle im Pappschuber einer Vinyl-Platte, der seltsam steril knirschende Kunststoff der CD-Hülle, und die Kassetten-Hülle quietscht und klappert - etwas ungelenk, selbst beim Abspielen.
    "Auch damals war eine Kassette schon ein bisschen anstrengend zu hören, durch das Medium selber, dass man vor- und zurückspulen musste. Bei der Platte konnte man immer mit der Nadel vor skippen. Bei der Kassette musste man vorspulen, wusste nicht, ob man jetzt im sechsten oder im achten Stück ist. Mein Name ist Stefan Schneider, ich lebe in Düsseldorf, bin seit Mitte der 1990er-Jahre im Feld der elektronischen Musik tätig."
    Zunächst mit der Band Kreidler, später dann mit To Rococo Rot und heute vor allem unter seinem bürgerlichen Namen. Die Musik von Stefan Schneider atmet den Pionier-Geist des Krautrock aus Düsseldorf: Kraftwerk, Cluster, Neu! gelten als die Urväter. Mittlerweile haben die Söhne der musikalischen Seelenverwandtschaft auch Enkel, die auf Bandnamen wie "Stabil Elite" oder "Die Wilde Jagd" hören. Es eint sie die Ideen einer formalen Ästhetik: Der analoge Chic steht über dem digitalen Klick.
    "Als wir mit Kreidler angefangen haben - 1994, 1995 - da hatten wir die ersten Konzerte in England und sind auf die Band Neu! angesprochen worden und kannten die Musik aber überhaupt nicht, und sind dann daraufhin zu Klaus Dinger nach Hause gegangen. Wir haben rausgefunden, dass Klaus Dinger unweit von unserem damaligen Proberaum sein Haus hatte, haben geklingelt und gesagt: Herr Dinger, wir werden auf ihre Musik angesprochen, kennen die aber nicht. Dann hat Klaus Dinger uns eine Kassette mit Neu1 und Neu2 kopiert und zur Verfügung gestellt."
    Plötzlich war jeder Kassetten-Produzent.
    Das Musikstudio von Stefan Schneider befindet sich in der Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofs: Analoges Mischpult und Synthesizer, blaue Dämm-Wände für eine sanfte Akustik. Aus dem Abstellraum holt er eine Kiste und knallt sie auf den Boden.
    "Da ist alles drin."
    Etwa 100 Kassetten aus den 1980er-Jahren, alle aus Düsseldorf. Damals, als die Audio-Kassette noch weit mehr war als ein bloßer Tonträgern. Sie war Medium der unkomplizierten Reproduktion, Mittel zum Zweck. DIY mit dem Vier-Spur-Kassettenrekorder bedeutete: Aufnehmen, 30 Stück kopieren, für ein paar Mark unter die Leute bringen. Schnell und billig. Plötzlich war jeder Kassetten-Produzent.
    "So etwas hat im Punk den Ursprung gehabt, dass man einfach auch Mitte der 1980er-Jahre ermutigt war, wenn ich jetzt eine Idee habe, einen Ton herzustellen, dann mache ich das einfach."
    Selbst nach 30 Jahren klingt diese Lo-Fi-produzierte Musik aus Düsseldorf nicht antiquiert, sondern erstaunlich frisch. Das liegt vielleicht auch an der immer noch angesagten Ästhetik des Analogen, an der weichen Tonbandaufnahme.
    "Die Unschärfe der Abbildung beim Tonband. Das hat dann so ein bestimmtes Kompressionsverhalten. Das heißt: Die lauten Töne werden etwas leiser und die leisen etwas lauter, und die Höhen werden etwas weicher wieder gegeben als bei einer kristallklaren digitalen Wiedergabe."
    Mit dem bezeichnenden Titel "Sammlung" rückt Stefan Schneider nun die vergessene DIY-Kassetten-Szene aus dem Düsseldorf der 1980er-Jahre in den Fokus der Kunst. 13 Stücke aus dem Düsseldorfer Home-Recording-Underground. Die Künstlernamen klingen arty: Pfad der Tugend, Strafe für Rebellion, Le Petit Mort.
    "Für uns war die Kassetten-Geschichte die Demokratisierung der musikalischen Kunst."
    Kreativität durch minimale Mittel
    "Kurzschluss" nennt sich als Musikerin die nach Düsseldorf gezogene Französin Catherine Ledit-Grützmann. Im legendären Plattenladen "Heartbeat" ist sie mit der Szene der DIY-Kassetten-Produzenten in Kontakt gekommen. Auf dem Sampler findet sich ihr Titel "L'inconnu" aus dem Jahr 1986: klar, nach Albert Camus "Der Fremde", aber auch "Das Fremde".
    "Das war so ein Blick auf das neue Leben. Was mache ich hier? Was werde ich machen? Bleibe ich überhaupt hier?"
    Existenzialismus auf Kassetten-Tape. Der Sampler "Elektronische Kassettenmusik Düsseldorf 1982-1989" hat etwas von einer Kunstausstellung: Zeichen der Zeit als Kassetten-Tracks. Tschernobyl, RAF, Die Grünen. Die Welt im Wandel, die Transformation der Technologie - alles auf Kassette. Stefan Schneider:
    "Der ganze Wandel, der von analogen zu digitalen Produktionsmitteln stattgefunden hat, ist auf der Kompilation abgebildet. Wie von Konrad Kraft das Stück, was noch mit analogen Equipment aufgenommen ist. Und dann taucht der Casio plötzlich 1983 bei Ettlinger auf. Und dann gibt es Sampler bei Dino Oon. Das war ja eine enorme Entwicklung, die sich da ja auch in relativ kurzer Zeit technisch vollzogen hat."
    Fortschritt durch Technik? Nicht ganz. Diese Kassetten-Produktionen machen vor allem eins hörbar: Kreativität durch minimale Mittel, die Kunst der Reduktion - dafür steht die Audio-Kassette heute noch immer.
    "Ich vermute, dass da Leute heute so einen Lebendigkeit in der Produktion sehen, und vielleicht so einen Mut oder eine Erfindungsgabe, die junge Leute vielleicht heute selber vermissen."