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Piccolo Teatro Mailand
Kampf dem Gesetzesbruch

Von Henning Klüver | 26.11.2014
    "Ich schwöre, der Cosa Nostra treu zu bleiben." Bei dem Initiationsritus zur Aufnahme in die sizilianische Mafia wiederholt der Novize gebetsmühlenartig die vorgeschriebenen Formeln. "Dopo il silenzio" – "Nach dem Schweigen" – ist der Titel des Stückes über die Cosa Nostra. Es basiert auf den Erinnerungen des früheren Generalstaatsanwaltes Piero Grasso aus Palermo, der viele Jahre an der Spitze der nationalen Antimafia-Behörde stand und heute in Rom dem Senat, dem zweiten Haus des italienischen Parlaments, vorsitzt. Die Aufführung war der erste Höhepunkt eines Themenschwerpunktes am Piccolo Teatro, das sich in diesen Wochen mit Fragen der Legalität auseinandersetzt. Dazu der Leiter des Mailänder Bühne Sergio Escobar:
    "Unser Ziel ist es, mit theatralischen Mitteln, mit unseren Aufführungen, aber auch mit Rahmenveranstaltungen für heute auszuloten, was den "cittadino", den Staatsbürger ausmacht, was eine Idee von Staatsbürgertum ausmacht. Dazu gehört ein Kernbegriff wie Legalität. Wobei wir nicht nur Illegalität beklagen wollen, sondern wir wollen zu einem Rechtsbewusstsein beitragen, das sich Illegalität widersetzt."
    In dem Programm, dass das Piccolo jetzt bis kurz vor Weihnachten bietet, gibt es Erinnerungsstücke wie eine Oper über einen Bombenanschlag rechtsradikaler Täter auf eine Gewerkschaftsveranstaltung in der Stadt Brescia, aber auch Arbeiten von Theatergruppen aus Mailänder Gefängnissen, Gastspiele aus Süditalien sowie eine Eigenproduktion. In ihrer Einfachheit konnten etwa die Gefängnisarbeiten überzeugen, etwas pathetisch wirkte streckenweise die sizilianische Inszenierung "Dopo il silenzio".
    "Wenn die Frauen der von der Mafia ermordeten Männer reden würden, nicht aus Rache, sondern um Gerechtigkeit zu erlangen, würde es auf Sizilien schon längst keine Mafia mehr geben."
    Theater soll helfen, journalistische Allgemeinplätze auszuräumen
    Die Mafia-Organisationen wie die Cosa Nostra aus Sizilien, die Camorra aus Neapel und vor allem die 'Ndrangheta aus Kalabrien haben sich längst im ganzen Land ausgebreitet und auch im wirtschaftlich starken Norden Fuß gefasst. Der Soziologe Nando dalla Chiesa beklagt:
    "Das wird in Norditalien immer noch unterbewertet. Und dadurch kann die kalabrische 'Ndrangheta auch in der Lombardei, in Piemont, Ligurien und der Emilia jeden Tag Boden gut machen. Ich verstehe nicht, warum die Öffentlichkeit davor die Augen verschließt und nicht handelt."
    Nando dalla Chiesa ist der Sohn des 1982 ermordeten Präfekten von Palermo Alberto dalla Chiesa. An der staatlichen Universität Mailand beschäftigt er sich mit Fragen der organisierten Kriminalität. Aus Texten von Studenten und Mitarbeitern hat er zusammen mit dem Regisseur Marco Rampoldi eine Art Revue entwickelt, die nächste Woche am Piccolo aufgeführt wird und den zweiten Höhepunkt der Mailänder Themenwochen zur Legalität bildet. Unter dem Titel "E io dico no" – "Und ich sage nein" – geht es darum, wie die Mafia in Norditalien nicht nur ihr Geld wäscht, sondern sich im Gesundheitswesen, in der Bauindustrie und im Alltag der Stadtviertel etwa der Mailänder Peripherie breit macht. Ausgehend von der wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema, so Nando dalla Chiesa, könne das Theater auch helfen, journalistische Allgemeinplätze auszuräumen.
    "Zum Beispiel, um zu zeigen, dass Mafiosi vor allem Verräter sind und keine Ehrenmänner. Der Alltag der Mafia ist von Verrat geprägt, Freundschaften werden aufgekündigt, wenn sie keinen Gewinn mehr versprechen. Das Wort zählt nichts in der Welt der Mafia, auch wenn viele heute noch vom Gegenteil überzeugt sind."
    Worte, Gesten und Gefühle aber zählen auf der Bühne. In Mailand wollen sie Humus sein für ein schärferes Bewusstsein von Recht und Gerechtigkeit, dass sich aber erst in einer breiten öffentlichen Debatte herausbilden kann.