Freitag, 19. April 2024

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Pieper

Steinhage: Die Koalition von SPD und Grünen stand kürzlich wegen des Bundeswehreinsatzes im Anti-Terrorkampf auf der Kippe. Nun hält sie doch. Hegen Sie eigentlich, Frau Pieper, oder hegt die FDP insgesamt die Befürchtung, Rot-Grün findet wieder so sehr zusammen, dass sie nach der Wahl 2002 gleich weitermachen?

Martin Steinhage | 09.12.2001
    Pieper: Also schauen Sie, wenn der Bundeskanzler schon eine Vertrauensfrage stellen muss, um die Mehrheit der Koalition hinter sich zu versammeln, dann ist das der erste Schritt zum Bruch dieser rot-grünen Koalition gewesen. Und es ist noch mal zusammengekittet worden, indem er mit Nötigungsmanier das gemacht hat - die Grünen eingebunden hat, auch die Abweichler aus den eigenen Reihen eingebunden hat. Von daher kann man nicht von einem Erfolg in dieser Frage für die rot-grüne Koalition sprechen, sondern eigentlich eher noch von einer Niederlage. Und für Deutschland ist es eben schlimm, dass gerade bei so wichtigen Entscheidungen in der Außenpolitik klar ist: Rot-Grün hat keine eigene Regierungsmehrheit, um die Sicherheit dieses Landes und auch die außenpolitische Zuverlässigkeit zu gewährleisten.

    Steinhage: Womit wir bei der FDP wären. Die FDP - logischerweise - würde gerne wieder mit in die Regierungsverantwortung; das will jede Partei, die ernst genommen werden möchte. Da käme ja nach Lage der Dinge, jetzt jedenfalls von heute aus betrachtet, nur die SPD als großer Partner in Frage - zumindest rechnerisch, aber natürlich noch allemal nicht unbedingt inhaltlich. Wo sind denn die grundlegenden Unterschiede nach Ihrer Meinung im Politikverständnis von FDP und SPD, wo passt es gar nicht auf Bundesebene?

    Pieper: Also, erstens: Was da nun rauskommt am Wahltag, das entscheidet der Wähler - und wir nicht hier sitzend im Interview. Darauf lege ich großen Wert. Die FDP ist eine eigenständige Partei und wird in der Tat ohne Koalitionsaussage in den Bundestagswahlkampf ziehen. Und wir haben auch immer deutlich gemacht - auch bei diesem Disput über Neuwahlen, wofür wir sehr waren, weil wir wissen, dass die Mehrheit von Rot-Grün nicht auf Dauer stehen wird -, wir legen großen Wert darauf, dass - wie gesagt - diese Mehrheiten oder diese Regierungsverantwortung für die FDP auch durch die Zustimmung der Wähler herbeigeführt wird. Das will ich mal vorwegschicken. Und da kann es natürlich gut möglich sein, dass es eine Regierungsmehrheit entweder mit der SPD, aber vielleicht auch mit der Union gibt - auch wenn die Umfragen derzeit nicht so aussehen. Wir alle können doch erkennen, dass die wirtschaftliche Situation in Deutschland nicht erfreulich ist. Wir gehen mit großen Schritten auf die 4-Millionen-Arbeitslosen-Grenze zu. Das ist erschütternd. Der Kanzler hatte sich ja vorgenommen, die Arbeitslosenzahl unter dreieinhalb Millionen zu drücken, das ist ihm nicht gelungen. Wir haben ein Wirtschaftswachstum, was das schlechteste ist seit Jahren. Wir sind das Schlusslicht in Europa mit 0,7 Prozent Wirtschaftswachstum. Übrigens: Der Bundesfinanzminister stellt sich bei den Haushaltsberatungen letzte Woche im Bundestag hin und lässt noch ein Wirtschaftswachstum innerhalb des Haushalts von einem Prozent verkünden und in der gleichen Zeit meldet er nach Brüssel ein Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent für Deutschland. Also - ich sage mal - ständig eine Mogelpackung auch als Parlament vorgelegt zu bekommen, das halte ich schon für eigenartig. Aber daran ist ja erkennbar, dass die rot-grüne Koalition - auch die SPD - in diesen Fragen kein Gesamtkonzept hat, wie denn die Arbeitslosigkeit in Deutschland abgebaut werden soll. Und das sehe ich als großen Unterschied zur FDP an. Die FDP hat immer Wirtschaftskompetenz gehabt, hat sie jetzt auch mit ihren Persönlichkeiten in den eigenen Reihen. Sie hat die Wirtschaftskompetenz nicht nur in den Ländern, sie kann sie auch wieder im Bund haben. Und wir haben ein Gesamtkonzept zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland vorgelegt, und das ist der Unterschied zur SPD - weil Sie mich danach gefragt haben. Wir sagen, so wie es die Wirtschaftsexperten in diesem Land auch sagen: Wir brauchen dringend Steuersenkungen, Deutschland braucht ein einfacheres Steuerrecht, wir brauchen drastische Steuersenkungen. Das ist jetzt das Ziel. Und es gibt auch Strukturmaßnahmen, die man sehr schnell machen kann, wenn man sie denn politisch will. Wir haben ganz deutlich auch im Deutschen Bundestag gesagt und das zum Antrag gemacht: Die starren Tarifvertragsregelungen, die wir in Deutschland haben, die müssen wir endlich durchbrechen. Wir brauchen mehr Flexibilität im Tarifvertragsrecht, wir brauchen Öffnungsklauseln, wir brauchen betriebsnahe Lösungen zwischen Arbeitnehmerschaft und Unternehmern, um Arbeitsplätze zu sichern in Deutschland und nicht noch weitere Arbeitsplätze den Bach runtergehen zu lassen.

    Steinhage: Als Sie eben die Optionen ansprachen, die die FDP möglicherweise nach dem Votum des Wählers dann hat, da haben Sie im Nebensatz natürlich auch die Union erwähnt. Frau Pieper, noch vor gut zwei Wochen haben Sie über CDU und CSU gesagt, diese erschienen - etwa in der Zuwanderungsfrage - ich zitiere: 'diffus und handlungsunfähig'. Hat sich an diesem generellen Urteil bei Ihnen etwas geändert, beispielsweise durch Ihre Beobachtung des CDU-Parteitages, der in dieser Woche in Dresden stattgefunden hat?

    Pieper: An dieser meiner Beurteilung hat sich bis zum heutigen Tage nichts geändert, und damit haben Sie ja auch gleich den größten Unterschied der FDP zur Union benannt. Wir sind eine modernere Partei, auch was die ganzen Fragen der Migrationspolitik, der Zuwanderung anbelangt. Das haben wir auch bei der Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts deutlich gemacht. Wir sind ja damals in der Koalition mit der Union in dieser Frage, was die Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts anbelangt, nicht weitergekommen, sondern erst als Oppositionspartei im Bundestag eigenartigerweise, als man keine Regierungsverantwortung mehr im Bund hatte - aber eben über die Länder, wo wir Regierungsbeteiligung haben, insbesondere in Rheinland-Pfalz Druck gemacht haben. Ich glaube, dass wir da gute Konzepte haben, auch in der Zuwanderungspolitik. Wir haben es immer für wichtig gehalten, sehr schnell eine gute Regelung zu finden, die allerdings auf eine gesteuerte Zuwanderung setzt und insbesondere auch auf die Integrationspflicht von hier lebenden Ausländern setzt. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil daran hapert es ja gerade in Deutschland - auch im Vergleich zu anderen europäischen Staaten.

    Steinhage: Über Jahre wurde der FDP das Totenglöckchen geläutet. Seit gut 18 Monaten - seit den Landtagswahlen in Düsseldorf - geht es mit den Liberalen bergauf. Nun erwarten das die Leute buchstäblich verstärkt bei den Grünen, die Wahl um Wahl verlieren. Steht eigentlich nach Ihrer Auffassung Bündnis 90/Die Grünen vor dem Aus, was Sie ja wohl wenig bedauern würden?

    Pieper: Ja, Bündnis 90/Die Grünen kämpfen um die 5-Prozent-Hürde in den Umfragen. Sie haben an Glaubwürdigkeit verloren. Als Regierungspartei handeln sie schon längst nicht mehr nach ihren Überzeugungen, nach ihren programmatischen Beschlüssen von Parteitagen. Ganz im Gegenteil. Von daher sind sie meines Erachtens als Regierungspartei auch nicht mehr handlungsfähig. Was nützt ein Joschka Fischer, der seinen Posten sehr liebgewonnen hat und Deutschland wahrscheinlich auch außenpolitisch noch nicht mal schlecht repräsentiert, aber was nützt uns solch ein Außenminister, der seine eigene Partei in schwierigen Fällen nicht hinter sich hat. Wie gesagt, das sehe ich als Problem an. Wir brauchen gerade in diesen schwierigen Zeiten, auch wo wir diese Krisenherde haben - im Nahen Osten, auch immer noch auf dem Balkan -, brauchen wir eine handlungsfähige Bundesregierung, die mir Ihrer Mehrheit auch steht, und nicht eine - ich sage mal - wackelnde Regierung, die ständig um ihre Mehrheiten bangen muss. Das trägt auch nicht zur Glaubwürdigkeit Deutschlands gegenüber allen anderen Partnern in der Welt bei.

    Steinhage: Jetzt haben wir viel über die anderen geredet, jetzt reden wir über die FDP. Die Liberalen propagieren ja nach wie vor wacker das "Projekt 18" - das Ziel also, bei Wahlen 18 Prozent zu erhalten, was ja vor allem mit Blick auf die Bundestagswahlen im September auch gemeint ist. Um aber auch nur annähernd an diese Zielmarke heranzukommen, muss die FDP natürlich vor allem im Osten endlich wieder Fuß fassen, wo sie ja in keinem Landesparlament mehr vertreten ist. Ist so gesehen die Landtagswahl, die hier im April in Sachsen-Anhalt stattfindet - in Ihrer politischen Heimat also -, eine Art Lackmustest für die Partei und deren hochprozentige Ambitionen?

    Pieper: Also, zu den 18 Prozent darf ich Ihnen vielleicht mal in Erinnerung rufen - gerade auch, weil ich aus Sachsen-Anhalt komme -, dass die FDP in Sachsen-Anhalt 1990 bei der Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt sogar schon 20 Prozent erreicht hatte . . .

    Steinhage: . . . schwupps, ging es runter auf vier . . .

    Pieper: . . . ja gut, dazu komme ich gleich - und 90 auch ein sehr gutes Landtagswahlergebnis mit 13,5 und einen Direktkandidaten gewählt bekam in Halle, in der Stadt, wo Hans-Dietrich Genscher geboren ist und auch immer noch sehr oft zu Besuch ist. Nein, ich will damit nur sagen: Wir sind eigentlich auch ein ziemlich traditionsreiches Bundesland, was die Freie Demokratische Partei anbelangt. Aber nicht nur die Tradition gibt uns Zuversicht für die bevorstehende Landtagswahl am 21. April 2002, sondern eben gerade auch die Situation, die wir jetzt haben in Sachsen-Anhalt. Wir sehen, dass dies das Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenquote ist, dass hier eine Minderheitsregierung unter Führerschaft der SPD - so will ich es mal bezeichnen - das Sagen hat, die sich aber die Mehrheiten ständig bei der PDS geholt hat. Mit anderen Worten: Die PDS hat hier schon mitregiert, und die haben jetzt acht Jahre als rot-rote Regierung ihre Chance gehabt und haben das Bundesland Sachsen-Anhalt von einem Spitzenstandort in ein tiefes Tal hineingeführt - mit der höchsten Verschuldung, 20 Prozent Arbeitslosigkeit und der niedrigsten Investitionsquote und der niedrigsten Selbständigenquote - Unternehmen schaffen ja immerhin Arbeitsplätze. Also, da bedarf es dringend einer Wende, und da hat meines Erachtens die FDP - auch mit ihrer Wirtschaftskompetenz und Bildungskompetenz - für das Land die besseren Konzepte. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir hier auch ein zweistelliges Ergebnis in Sachsen-Anhalt im Jahr 2002 wieder erreichen werden.

    Steinhage: Dann, Frau Pieper, wollen Sie sicherlich auch mit in die Regierungsverantwortung hier im Land - mit Ministerpräsident Höppner möglicherweise nicht, dessen Politik Sie auch gerade noch einmal kritisiert haben. Aber bei der CDU sieht es ja so gut auch nicht aus. PDS kommt eh' nicht in Frage, die Grünen werden wahrscheinlich scheitern. Wie wollen Sie damit umgehen?

    Pieper: Also, in der Tat wollen wir nicht nur ein gutes Ergebnis und damit als starke Landtagsfraktion in das erste ostdeutsche Parlament zurückkehren, sondern wir bewerben uns auch in Sachsen-Anhalt um die Regierungsverantwortung. Und das ist - denke ich - legitim für eine eigenständige Partei, wie wir es ja sind als Freie Demokratische Partei. Aber auch hier machen wir keine Koalitionsaussage. Ich finde, man sollte nicht vorgeben, was gewählt wird. Es ist eine Entscheidung der mündigen Bürger am Wahltage, wer die nächsten vier Jahre regieren soll. Aber es ist für Sachsen-Anhalt eben auch die letzte Chance, eine echte handlungsfähige Regierung mit einer ordentlichen Mehrheit das nächste mal zu haben. Experimente können wir hier in Sachsen-Anhalt nicht mehr gebrauchen, die haben wir alle durch - ob das nun die Minderheitsregierung ist, also dieses so genannte 'Magdeburger Modell', oder ob das die DVU ist 98, die mit fast 13 Prozent in den Landtag gewählt worden ist aus dem Stand. Oder auch mit einer sich ankündigenden Partei, die da aus Hamburg hierher strebt. Also, diese Experimente werden diesem Bundesland ganz sicher nicht weiterhelfen. Aber ich sage noch einmal: Es kommt in diesem Punkt eben wirklich drauf an, dass eine FDP als starke Fraktion wieder Fuß fasst in Sachsen-Anhalt und damit letztendlich auch für die wirtschaftlichen Probleme ihre Lösungen offerieren kann, insbesondere auch, was Investitionen anbelangt, ein besseres Klima schaffen kann für das Land. Und als Letztes darf ich noch hinzufügen: Es ist für die Bundespartei ungeheuer wichtig, dass wir als gesamtdeutsche Partei in den Bundestagswahlkampf ziehen können. Wir sind immer eine gesamtdeutsche Partei gewesen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht als Generalsekretärin, das als Hauptziel - für mich persönlich -, als strategisches Hauptziel anzusehen. Ich möchte, dass die FDP wieder als gesamtdeutsche Partei gesehen wird. Das bedeutet in der Praxis: Wir müssen auch wieder zurück in die ostdeutschen Landesparlamente.

    Steinhage: Die Liberalen sind viel gescholten worden, weil sie sich in Hamburg auf eine Koalition unter Einschluss der Schill-Partei, die Sie ja eben schon dezent genannt haben, eingelassen haben. Nun haben Sie, Frau Pieper - das ist ja quasi Ironie der Geschichte - die Partei von 'Richter Gnadenlos' sozusagen am Hals. Schill will ja hier in Sachsen-Anhalt bei der Landtagswahl antreten. Was erwarten, was befürchten Sie von diesem Gegner?

    Pieper: Ich sehe das als Herausforderung an, wenn es einen Wettbewerber mehr gibt in Sachsen-Anhalt. Ich persönlich erwarte von dieser Partei überhaupt nichts. Ich sage Ihnen auch, warum. Ich finde, dass wir in Sachsen-Anhalt es leid sind, dass Hasardeure aus München oder aus Hamburg oder woher auch immer hierher kommen, um zu sagen, sie wissen alles besser und können alles besser - und hinterher stellen wir fest, es ist wieder nicht vorangegangen im Land Sachsen-Anhalt. Ich sage noch mal: Die Experimente hat dieses Bundesland leid. Wir brauchen wirklich eine seriöse Politik.

    Steinhage: Mal unterstellt, die Schill-Partei tritt hier an, kommt auch in den Landtag. Könnten Sie sich vorstellen oder schließen Sie es definitiv aus, mit der Schill-Partei dann auch hier in irgendeiner Form zu koalieren?

    Pieper: Ich habe Ihnen ja gesagt, dass die FDP grundsätzlich keine Koalitionsaussage machen wird. Wir wollen die Wähler bekannt machen mit unseren programmatischen Aussagen zur Wirtschafts- und Bildungspolitik. Darauf wollen wir den Fokus der Menschen hier im Lande richten . . .

    Steinhage: . . . aber Frau Pieper, Hand aufs Herz: Wenn ich Sie fragen würde, würden Sie mit der PDS koalieren, dann würden Sie jetzt sagen: Mit denen nie . . .

    Pieper: . . . ich war ja noch nicht fertig, ich bin noch nicht fertig mit meiner Antwort. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist die, dass ich persönlich Ihnen ganz klar gesagt habe, dass ich für dieses Bundesland Sachsen-Anhalt überhaupt nichts davon halte, dass ständig Besucher vorbeikommen aus anderen Bundesländern und sagen: 'Ich weiß alles besser' - obwohl sie noch nie hier gelebt haben und die Probleme der Menschen nicht kennen. Also, persönlich halte ich nichts davon, eine Koalition mit der Schill-Partei hier im Land einzugehen. Das sage ich für mich persönlich ganz deutlich, weil mir nämlich sehr viel an der Zukunft dieses Bundeslandes liegt.

    Steinhage: Gehen wir mal 200 Kilometer in den Norden. Hinsichtlich des Wahlergebnisses ist der Berliner Landesverband der FDP schon da, wo Sie in Sachsen-Anhalt hinwollen, nämlich quasi aus dem Nichts auf 10 Prozent. Nur zum Mitregieren reicht es nicht, weil die Berliner FDP sich auf eine Ampel mit SPD und den Grünen nicht hat verständigen können. Nun läuft es an der Spree auf Rot-Rot hinaus, ein Bündnis von SPD und PDS. - Die FDP war nicht bereit, im hochverschuldeten Berlin Steuererhöhungen mitzutragen. Steuern runter, nicht rauf - sozusagen die liberale Duftmarke, von der Sie auch schon kurz sprachen. Soll das immer so bleiben in der Zukunft, auch wenn es wie in Berlin darauf hinausläuft, dass dann eine Koalition an die Macht kommt, die Sie weiß Gott nicht wollen?

    Pieper: Also, man kann ja nicht wegen einer falschen Politik, die man dann einfach über sich ergehen lässt - wie gesagt, diese Steuererhöhung, die die SPD und die Grünen in Berlin eingefordert haben, Erhöhung Grundsteuer, Erhöhung der Getränkesteuer -, nicht einfach sagen: ´Jetzt besetzen wir mal die Posten, aber nehmen die falsche Politik dafür hin, die gemacht wird'. Das kann ja nicht das Prinzip sein. Da bin ich eher dafür, glaubwürdig zu bleiben und zu sagen: Für uns ist es wichtig - im Bund, aber auch in den Ländern, gerade auch in Berlin, in diesem hochverschuldeten Land Berlin -, dass wir das nicht tolerieren, dass wir sagen, wir stehen dazu - mehr Investitionen, mehr Arbeitsplätze gibt es nur, wenn wir keine Steuererhöhung vornehmen. Deswegen hat die FDP ganz klar dem eine Absage erteilt. Grundsteuererhöhung bedeutet im übrigen für jeden kleinen Mann, für jede alleinerziehende Mutter eine zusätzliche 13. Miete. Das ist also keine Klientelpolitik, die wir hier machen, sondern es ist eine sehr bürgernahe Politik. Jeder Bürger in diesem Land weiß, was die Ökosteuer an zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Familien bedeutet hat. Und jeder Bürger in Berlin kann sich vorstellen, was die Grundsteuererhöhung nach sich zieht, nämlich eine Mieterhöhung bzw. eine zusätzliche 13. Miete. Das wollen wir nicht. Deswegen haben wir gesagt: 'Wir können uns die Finanzierung der 100 Millionen Euro auf andere Art und Weise vorstellen, aber Steuererhöhungen werden wir nicht dulden'. - Und ich glaube, das war der richtige Weg. Die Wähler erwarten von uns, dass wir etwas machen - und nicht, dass wir etwas verhindern. Und wir wollen ein Niedrigsteuergebiet Deutschland machen und wollen nicht dazu beitragen, dass Deutschland weiterhin Schlusslicht in Europa bleibt. Das gilt im übrigen auch für Berlin, insbesondere für die Regierungshauptstadt, wo ein Umdenken angesagt wird. Nun werden wir diese Politik halt in der Opposition vertreten.

    Steinhage: Ein ganz anderes Thema: Bei einem weltweiten Leistungstest mit 15-jährigen Schülern aus Industriestaaten haben die deutschen Heranwachsenden denkbar schlecht abgeschnitten. Das ergab in dieser Woche die so genannte 'PISA-Studie'. Der Schreck ob dieses Resultats ist den Politikern hierzulande in die Glieder gefahren, Sie selbst nannten das Ergebnis - Zitat - 'sehr alarmierend' und wurden - wenn das so richtig ist - mit den Worten zitiert, man hätte sich nach der Wende am Bildungssystem der DDR orientieren sollen und nicht an den - Zitat - 'starren ideologischen Vorstellungen der 68-er-Generation festhalten sollen'. - Das müssen Sie mal kurz erklären, Frau Pieper: Was war so gut an Margot Honeckers Bildungssystem?

    Pieper: Ja, das ist ein falsches Zitat. Ich habe gesagt, dass man von den Lebens- und Berufserfahrungen der Ostdeutschen - gerade auch in der Bildung - profitieren kann, und dass diese Chance verpasst worden ist. Ich meine damit insbesondere, dass wir eine sehr ausgeprägte Begabtenförderung zu DDR-Zeiten hatten. Es gab sehr viele Schulen mit besonderem Profil, nicht nur im sportlichen Bereich. Wir setzen ja als Deutsche ganz gern auf die Leistungselite im Sport, aber ich denke, wir müssen uns angewöhnen, auch auf die anderen Leistungseliten - in den Naturwissenschaften - wieder zu setzen oder auch im musischen Bereich. Da kann man - denke ich - von den Berufserfahrungen auch Ostdeutscher lernen, aber nicht nur in dem Bereich. Es gab auch viel kürzere Ausbildungs- und Studienzeiten im Osten Deutschlands. Ich hätte mir gewünscht nach der deutschen Einheit, dass die zwölf Jahre bis zum Abitur gesamtdeutsch realisiert worden wären, und nicht umgedreht, dass man erst das 13. Schuljahr im Osten einführt; und jetzt fangen die alten Länder auch an, das 13. Schuljahr abzuschaffen. Also, man hätte die zehn Jahre eigentlich schon einsparen können, wir sind zehn Jahre dadurch wieder zurückgeblieben. Und ich füge noch mal hinzu: Es hätte den Ostdeutschen auch ein Selbstwertgefühl gegeben. Ich glaube, dass das wichtig ist für das Zusammenwachsen von Ost-West-Süd-Nord, dass wir insbesondere auch die Berufserfahrung Ostdeutscher in gesamtdeutsche Politikkonzepte einbeziehen und das dann auch deutlich sagen, dass man findet, dass das richtig war, was dort von Bildungsexperten gemacht worden ist. Und das fehlt mir in der politischen Landschaft, und das wollte ich damit sagen. Im übrigen sollten wir nun endlich begreifen in Deutschland, dass man eine qualitativ bessere Ausbildung nur machen kann, wenn man auch in die Köpfe und Bildungseinrichtungen investiert. Wir sind auch an dieser Stelle in Deutschland, wie wir ja nun durch die PISA-Studie belegt bekommen haben, mal wieder das Schlusslicht - also nicht nur beim Wirtschaftswachstum, sondern auch im internationalen Bildungsvergleich. Das sollte uns zu denken geben, und ich sage mal: Ich kann nur an die Länder appellieren - wir haben ja da keinen Zwang auszuüben -, diesen Beschluss, den die Finanzminister auf ihrer letzten Finanzministerkonferenz vorgenommen haben, zu sparen in den Bildungshaushalten in den nächsten Jahren, sofort zurückzunehmen und zu beschließen, nicht zu sparen, sondern mehr Geld in die Köpfe zu investieren durch entsprechende Prioritätensetzungen in den Haushalten. Das ist möglich. Und ich appelliere auch dafür, das ist eine Forderung meiner Partei, dass wir zum Beispiel darüber nachdenken, ob wir diese Subventionspolitik denn so fortsetzen sollten, oder ob es nicht besser ist . . .

    Steinhage: . . . also, Kohlesubventionen . . .

    Pieper: . . . zum Beispiel die Steinkohlesubvention - diese Erhaltungssubvention bis zum Jahr 2005 zu halbieren und die 7 ½ Milliarden, die dadurch frei werden, eben in Investitionen für die Bildung einzusetzen. Ich glaube, das würde einen unheimlichen Gewinn auch bringen für die Qualität in der Bildung.

    Steinhage: Das würde die SPD in NRW und die CDU im Saarland sicherlich nicht mitmachen, aber das nur am Rande . . .

    Pieper: . . . das wäre nicht das erste mal, aber wir sind eine eigenständige Partei und ich halte diesen Vorschlag für vernünftig, denn ich finde, ein Land muss sich schon nach seiner Zukunftsfähigkeit hinterfragen lassen, wenn es mehr Geld in veraltete Industrien steckt, die keine Chance mehr haben auf dem Weltmarkt, als denn in kluge Köpfe zu investieren.

    Steinhage: Zu den wichtigen - ganz wichtigen - politischen Entscheidungen, die demnächst zu treffen sind, gehört die Frage, ob das Embryonenschutzgesetz gelockert werden soll. In der Gentechnik geht ja der Riss 'Für oder Wider' durch die Bundestagsfraktionen. Gilt das eigentlich auch für die FDP, oder ist man dort und in der Parteispitze einer Meinung - etwa zur Problematik um embryonale Stammzellen und deren Produktion bzw. Import zu Forschungszwecken?

    Pieper: Auch da haben wir eine ganz klare Position. Wir haben gesagt: Unter sehr strengen Auflagen muss die Forschung auch an embryonalen Stammzellen möglich sein. Es ist wichtig, dass man da auch in der Forschungspolitik einen Schritt vorankommt. Es ist wichtig für den Forschungsstandort Deutschland, aber es ist insbesondere auch wichtig, um eben unheilbare Krankheiten zu beseitigen und eben auch weiter zu kommen und damit auch Menschen zu helfen. Gerade wenn ich an solche Geschichten wie Alzheimer, Parkinson und andere Krankheiten denke - da wünscht sich jeder Mensch - auch den Krebs zu bekämpfen -, dass das eine schnelle Lösung auch seitens der Forschung gibt, dann muss man eben auch mutige Schritte gehen. Und dazu hat die FDP ganz klar 'ja' gesagt.

    Steinhage: Das heißt, die FDP-Fraktion wird im Januar, wenn dies zur Entscheidung ansteht, sehr eindeutig in diese Richtung argumentieren?

    Pieper: Wir werden einen eigenständigen Gesetzentwurf dazu einbringen und werden die Regierung zwingen, auch in dieser Frage zu handeln.

    Steinhage: Sie haben eben schon im Nebensatz gesagt, als es um Bildungspolitik ging, dass die Ostdeutschen sich möglicherweise wohler gefühlt hätten, wenn man da ihre Erfahrungen sozusagen auch berücksichtigt hätte. Ist es nach Ihrem Empfinden immer noch so, dass die Ostdeutschen übergangen werden oder sich zumindest in vielen Dingen übergangen fühlen?

    Pieper: Also, wenn man in einer Situation ist, dass man keine eigene Mehrheit hat - das kann ja die FDP in besonderer Art und Weise aus der Vergangenheit nachempfinden - und einem für gute Ideen manchmal so der Rückenwind fehlt, dann frustriert das ja auch in gewisser Weise. Und so geht es sicher auch den Ostdeutschen, die sehr fleißig sind, die sehr leistungsbereit sind, aber eben noch nicht die entsprechenden Chancen in jedem Falle bekommen haben. Wir könnten gerade von diesem kreativen Potential, das es in den neuen Ländern gibt, viel mehr profitieren. Und ich finde, das muss auch zur Selbstverständlichkeit werden, dass wir die Erfahrungen, die Menschen im Osten Deutschlands gesammelt haben in ihrem vergangenen Leben - in den vergangenen drei oder vier Jahrzehnten -, dass wir die mit aufnehmen, verarbeiten und dann auch bei der Politikgestaltung verwenden.