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Pieter-Hugo-Ausstellung in Wolfsburg
Die ehrliche Stimme Afrikas

Außenseiter, Armut, Kriegsopfer: Kritiker werfen dem südafrikanischen Fotografen Pieter Hugo vor, er würde mit seinen Bildern das Elend Afrikas ästhetisieren. Hugo selbst sieht das anders. Er bezeichnet sich als ehrliche Stimme Afrikas. Eine Auswahl seiner Fotografien ist nun in einer Ausstellung im Wolfsburger Kunstmuseum zu sehen.

Von Carsten Probst | 19.02.2017
    Der südafrikanische Fotokünstler Pieter Hugo steht am 16.02.2017 vor Fotos aus Ghana in der Fotografieausstellung "Between the devil and the deep blue sea" im Kunstmuseum Wolfsburg. Es ist die erste institutionelle Einzelausstellung des Fotografen in Deutschland. Hugo beschäftigt sich mit Formen des Zusammenlebens unterschiedlicher Menschen in Diktaturen.
    Der Fotograf Pieter Hugo vor einigen seiner Bilder im Kunstmuseum Wolfsburg. (picture alliance / Julian Stratenschulte / dpa)
    An Pathos mangelt es dem Werk von Pieter Hugo nicht. Gleich am Eingang zur Wolfsburger Ausstellung hängt eine großformatige Fotografie von 2016, die zwei dunkelhäutige Jungen auf einem Feld mit weißen Blüten zeigt. Der eine trägt den anderen auf den Armen, und damit zitiert dieses Bild eines der großen Symbole der jüngsten südafrikanischen Geschichte: Die Aufnahme vom 13jährigen Hector Pieterson, der als eines der ersten Opfer des Soweto-Aufstandes von 1976 tot fortgetragen wird. Pieter Hugos Kinderporträts, die er größtenteils in Ruanda nach dem Bürgerkrieg von 1994 gemacht hat, wirken wie eine Mischung aus Landschaftsfotografie und Stillleben. Oft tragen die Kinder viel zu große oder auffallende Kleider, wie Symbole einer belasteten Außenwelt, in die sie erst langsam hineinwachsen.
    "Was mich an Ruanda so interessiert, ist, dass anders als in Nazi-Deutschland, wo der Völkermord industrialisiert war, er hier überall ist. Die ganze Landschaft ist ein Tatort dieses Völkermordes. Man fährt dort nicht an Orte wie Auschwitz und spürt dort die ganze Dimension des Verbrechens. In Ruanda ist das überall. Sie gehen über eine Plantage, in eine Kirche, in eine Schule, und in der Schule wurden 25.000 Leute abgeschlachtet. Für mich ist das Ganze Land eine einzige belastete Gegend."
    Vorwurf der Elendesästhetisierung
    Erklärt Pieter Hugo, dessen großformatige Bilder immer wieder auch die Tradition der niederländischen Genre- und Stilllebenmalerei des 17. und 18. Jahrhunderts aufgreifen. Gerade das brachte ihm den Vorwurf ein, das Elend der Außenseiter und und Kriegsopfer in Afrika zu ästhetisieren.
    Man kennt solche Diskussionen auch in Deutschland und Europa, wenn es etwa um die Aufnahmen von Ruinen und Toten in den zerstörten Städten nach dem Zweiten Weltkrieg ging. Immer wieder ist gerade bei Kriegfotografie die Frage relevant, die Susan Sontag aufwarf: Wie weit darf Fotografie das Leid anderer inszenieren, wie nüchtern muss sie dokumentieren? Was darf sie zeigen, was nicht? Pieter Hugo macht kein Hehl daraus, dass ihn diese Debatte nervt.
    "Mir ist das inzwischen so egal. Ja, manche sehen in einer Fotografie etwas Wahrhaftiges und Wahres und etwas Repräsentatives. Ich denke über so etwas schon lange nicht mehr nach. Für mich ist Fotografie etwas, das immer irgendwie manipuliert ist. Und das den Ideen, die ich habe, eine Form gibt."
    Das Stilmittel der ehrlichen Fotografie
    Niemals habe er bei seinen Fotografien für sich beansprucht, eine authentische Stimme Afrikas zu sein. Aber er behaupte, dass er eine ehrliche Stimme sei.
    Aber was soll das sein: ehrliche Fotografie? In seiner Serie "Kin", der Titel meint das englische Wort für verwandt, zeigt Hugo, was er meint: Auf diesen Bildern versammeln sich seine Familienmitglieder, seine schwangere Frau, seine Kinder, seine Eltern, er selbst, aber auch Bekannte, Gruppen dunkelhäutiger Jugendlicher, ein sich ständig erweiternder Kreis von Beziehungen.
    Eine Art symbolische Verwandtschaft
    Die Fotografie stiftet offenkundig eine Art symbolischer Verwandtschaft, und Hugo erklärt diese eigentümlich an August Sander erinnernde Idee nicht zuletzt mit seiner eigenen Familiengründung, die ihn daran gehindert habe, so wie zuvor ständig auf Reisen zu sein.
    "Das verursachte mir eine Reihe innerer Konflikte bei mir. Ich fühlte mich plötzlich wie angekettet an Südafrika, so wie ich es nie zuvor empfunden hatte. Und plötzlich fiel mein Blick auf meine unmittelbare Umgebung.
    Ich versuchte, diese inneren Konflikte mit meiner Arbeit zu lösen. Damit bin ich auf ganzer Linie gescheitert – denn durch die Arbeit fühle ich mich noch tiefer in die Konflikte meines Landes verstrickt als vorher. Es gibt nicht genug Festplatten in der Welt, um all die Bilder zu speichern, die diese Konflikte lösen könnten."
    Das erweiterte persönliche Porträt ist seither zu einer Art Grundprinzip seiner Arbeit als Fotokünstler geworden. Seine Serie über die kleine Stadt Musina an der Grenze zu Simbabwe von 2006 bezeichnet Hugo als die erste Arbeit, in der er nicht mehr dokumentarisch, sondern eben künstlerisch gearbeitet hat.
    Der Ort ist ein Sammelbecken für Außenseiter: Kriegsflüchtlinge, Tagelöhner, Armut, elende Arbeitsbedingungen in den nahegelegenen Diamantminen. Die Porträts von Familien und Arbeitern verbinden sich mit Landschaften und Interieurs. Nicht immer funktioniert die Methode, nicht immer kommt Hugo den Menschen wirklich nahe, manche Bilder wirken mit ihren großen Formaten und malerischen Motiven bedeutungsheischend und aufgesetzt. Doch gerade in seiner inszenierten Ästhetik spiegelt es die postkoloniale Lebenswelt Südafrikas ohne jede falsche Harmonie.