Freitag, 29. März 2024

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Pilger in Rom
Euphorisch und erschöpft

An christlichen Feiertagen wie Ostern oder Christi Himmelfahrt wimmelt es in Rom von Pilgern. Viele legen tausende Kilometer zurück, um den Papst zu sehen - und unterschätzen die Anstrengungen, die eine solche Reise mit sich bringt.

Von Heike Braun | 10.05.2018
    Papst Franziskus fährt während einer Generalaudienz durch die Menschenmenge.
    Viele Rom-Pilger wollen dem Papst nahe sein (picture-alliance / dpa / Isabella Bonotto)
    "Gracias Papa!, Bien Gracias! Via il Papa! Viva, Viva"
    Manuel, Carlos und Jesús aus Argentinien sind am Ende ihrer Reise und am Ziel Ihrer Wünsche. Carlos schreit sich die Anstrengungen und Entbehrungen der letzten Wochen von der Seele.
    "Eviva! Gracias Papa! Gracias! Gracias!Grazie per la vergogna"
    Die rund 40.000 anderen Pilgern auf dem Vorplatz des Kolosseum verstehen gut, was in Carlos und seinen Freunden vorgeht. Nicht allen ist nach Schreien zumute. Denn sie haben gerade den Kreuzweg -den Leidensweg Jesu- gemeinsam gebetet.
    "Pater noster, qui es in caelis: sanctificetu nomen tuum....... Amen!" - "Prima Statione: Gesù è condannato a morte."
    Lange Wartezeiten
    Der Papst sitzt auf dem Palatin-Hügel, gegenüber vom Kolosseum. Die Sonne ist längst untergegangen. Es ist dunkel in Rom. Die rund 40.000 Pilger stehen dicht an dicht. Sie haben brennende Papierfackeln in der Hand. Meistens sogar mehrere. Hin und wieder geht schon einmal eine in helle Flammen auf. Das hier nicht mehr passiert, grenzt an ein wahres Wunder. Polizei, Karabinieri und Sprengstoffexperten haben einen klaren Auftrag: Sie sollen den Papst schützen. Die Pilger sind aus allen Teilen der Welt angereist. Wer in der ersten Reihe steht, muss mindestens seit acht Stunden da sein. Das schlaucht, sagt Marion Felder aus Hanau in Hessen.
    "Wir sind drei Wochen lang über die Schweiz nach Rom gepilgert und erst gestern Abend angekommen. Hier am Kolosseum sind wir heute schon seit 14.00 Uhr. Wir haben unser Essen und Trinken mitgebracht. Wir haben auch schon Essen geteilt, weil einige wohl völlig unterschätzt haben, wie anstrengend das ist und hatten halt nichts dabei. Da kann sich wirklich nur wundern, oder freuen, dass die Pilger so zivilisiert sind. Wenn hier einer umkippen würde, vor Hunger zum Beispiel, gäbe es wahrscheinlich eine Massenpanik. Das geht hier alles so ein bisschen nach dem Motto: näher mein Gott zu dir."
    "In quella piazza gremita, sarebbe stato sufficiente che un solo cuore dubitasse.....
    Die argentinischen Pilger auf dem Platz, haben mit über 11.000 Kilometern Luftlinie einen der längsten Wege hinter sich. Die meisten, sind die letzten 1.000 Kilometer zu Fuß gelaufen. Von Lausanne in der Schweiz, über Siena bis nach Rom. Ihr Ziel: ihrem Heiligen Vater nah zu sein, ihn zu sehen und zu hören.
    Papst Franziskus: "Nel nome des Padre e del Figlio e dello Spirito Santo"
    Jesús Hernández bekreuzigt sich. Seine Augen glänzen. Er ist im siebten Pilger-Himmel. Er und seine Freunde, sind erst vor wenigen Stunden in Rom angekommen.
    "Zum Glück gibt es hier in Rom ein Pilgerzentrum für spanisch sprechende Pilger. Das Casa San Juan de Àrila. Da können wir heute Nacht bleiben. Wir haben ein Zimmer zu dritt. Manuel, Carlos und ich. Unsere Frauen sind noch auf dem Franziskusweg unterwegs. Sie waren viel langsamer als wir. Aber das ist vielleicht gut so. Sie werden ungefähr zu Himmelfahrt hier ankommen und können vielleicht ebenfalls im Pilgerzentrum übernachten."
    "Ich würde ihnen allerdings abraten, zur "Heiligen Treppe" hier in Rom zu gehen. Die Treppe, die Jesus zu Pontius Pilatus hochgegangen sein soll, vor seiner Verurteilung. Am Haupttor sind ein paar ganz kleine Schilder mit 'Scala Santa' drauf. Dafür haben sie aber über den Eingang ein riesiges Plakat gespannt, mit aufdringlicher Werbung drauf. Es ist größer als jede Public-Viewing-Wand, die ich kenne. Wir sind sechs Wochen lang aus Argentinien nach Rom gepilgert, um die heilige Treppe zu sehen. Wie kann man den Eingang eines solchen Heiligtums nur so kommerzialisieren?"
    Urlaub fürs Gebet
    Manuel Rodriguez bringt es auf den Punkt: Die gläubigen Pilger wollen beten, Buße tun und zur Ruhe kommen. Dafür haben sie sich oft wochenlang beurlauben lassen, so wie die drei Freunde aus Rosario.
    Molte strade portano a Roma. Zu deutsch: Viele Wege führen nach Rom. Aber zu Fuß brauchen sie alle ihre Zeit. Die Pilgerzentren in Rom sind für die meisten der erste Anlaufpunkt. Das deutsche Pilgerzentrum liegt direkt gegenüber der Engelsburg. Geleitet wird es derzeit, von Pfarrer Werner Demmel.
    "Ich denke, der wichtigste Moment ist angekommen zu sein. Wir haben Pilger, die sich andeuten, dass sie unterwegs sind, von, nach. Dass sie wahrscheinlich dann und dann in Rom ankommen und schon bitten, ob man ihnen eine Unterkunft besorgt. Es gibt Pilger, die kommen ohne Anmeldung an. Ganz verschwitzt und müde und mit riesigem Gepäck auf dem Rücken, denen wir dann eine Unterkunft in einem Pilger-Hospiz vermitteln. Wo sie auch zwei Nächte umsonst wohnen können. Einen Ort, wo sie sich ausruhen können. Duschen, baden können, die Füße mal hochlegen können. Und dann sind sie nicht lange hier in Rom. Zwei, drei Tage. Sie gehen ans Petrusgrab, zur Generalaudienz, wenn sie an einem Mittwoch da sind, und von dort aus sich ein neues Quartier suchen, oder danach die Heimreise antreten. Meistens dann per Zug oder auch per Flug."
    Pilger wandern durch das Riesengebirge in Tschechien.
    Viele Pilger legen lange Strecken zurück, um nach Rom zu kommen (picture-alliance / dpa / David Tanecek)
    Nicht nur die Argentinier, sondern auch die Deutschen unterschätzen oft die Anstrengungen einer solchen Wanderschaft. Sie glauben, dass sie viel fitter sind, und kommen zum Beispiel zu festen Terminen, wie Ostern, Himmelfahrt oder Pfingsten erst im letzten Moment an. Einige Pilger rufen dann ganz verzweifelt im Pilgerzentrum an. Sie fürchten zum Beispiel, das Urbi et Orbi zu verpassen, weil sie nicht zeitig genug ankommen.
    "Auch zu Ostern kommen sehr, sehr viele ganz knapp an. Bis Samstagabend reisen die noch an. Wollen natürlich in den Genuss der Gottesdienstfeiern kommen und brauchen dazu natürlich die Zugangsbilletts, die sie von uns bekommen. Deshalb machen wir eine Stunde länger auf und versuchen dann auch denen noch entgegenzukommen, die es nicht schaffen, in dem wir ihnen die Billetts vor die Haustüre legen in Kuverts, oder sie ihnen zubringen lassen.
    Anstrengende Tage in Rom
    Auch Marion Felder, die Pilgerin, die mit dem Papst im Kolosseum den Kreuzweg gebetet hat, ist ins Pilgerzentrum gekommen. Sie will sich Einlasskarten für die nächste Papstaudienz holen und lässt sich von den Mitarbeitern des Zentrums beraten, was sie sich sonst unbedingt noch anschauen sollte.
    "Ich habe gerade mitbekommen, dass hier im Pilger-Zentrum ein Gottesdienst läuft. Da gehe ich jetzt mal rein, weil ich unbedingt mal ein bisschen Ruhe brauche. Ich bin gerade vom Petersplatz bis zur Engelsburg gelaufen und da haben mich gefühlt 200 Bettler und Straßenverkäufer bedrängt. Die sind so aggressiv. Ich fühle mich als Pilgerin richtig unwohl. Sofort wenn die Polizei auftaucht, sind die total verschwunden, weil sie organisiert sind, und vernetzt sind. Ich glaube, da hat Rom ein echtes Problem. Da sollte man die Heilige Stadt vielleicht mal in ein paar Gebete mit einbeziehen."
    Eine Bettler-Figur liegt auf einer Bank vor dem Almosenamt in Rom
    Vor dem Almosenamt in Rom (Deutschlandradio / Heike Braun)
    Marion Felder hat im Pilgerzentrum auch erfahren, dass sie zum Campo Santo Teutonico -dem deutschen Friedhof- im Vatikan gehen sollte. Er wurde bereits zu Zeiten Karl des Großen gegründet, um dort Pilger aus dem deutschsprachigen Raum zu beerdigen, die in Rom verstorben waren. Ganz in der Nähe liegt die Elemosineria, das Almosenamt, wo sich Gläubige -gegen eine Gebühr, die komplett in die Armenkasse fließt- einen päpstlichen Segen -auf Pergament- ausstellen lassen können.
    "Gerade habe ich erfahren: Wer zum deutschen Friedhof oder zum Almosenamt will, muss an der Schweizer Garde vorbei. Die haben dann scheinbar das Sagen, ob man in den Vatikan rein darf oder nicht. Da bin ich ja mal gespannt."
    Aber die Leibgarde des Papstes, mit den auffälligen gelb-blau und roten Gala-Uniformen ist immer nett und freundlich und hilft deutschsprachigen Pilgern gerne weiter. Auf dem deutschen Friedhof hinter den Toren des Vatikans ist es dann tatsächlich geschafft.
    "Endlich Ruhe."
    Selfies als "Trophäen"
    Immer öfter scheinen Rombesucher die Schweizer Garde aber auch mit Figuren aus Disneyworld zu verwechseln und wollen nur noch eines: Fotos mit der Leibwache des Heiligen Vaters. Urs Breitenmoser von der päpstlichen Schweizergarde betrachtet diese Entwicklung mit Sorge.
    "In ihrem kurzen Aufenthalt wollen die Besucher so viel wie möglich in kürzester Zeit erleben. Da leidet die Qualität des Besuches in der Ewigen Stadt bestimmt. Bei den Generalaudienzen auf dem Petersplatz ist man eher bedacht, ein Foto oder gar ein Selfie mit dem hinter sich durchfahrenden Papst zu machen, anstatt ihm zuzuwinken, ihm in die Augen zu schauen, ihn ganz einfach 'zu erleben'. Meist ist die 'Trophäe' des Fotos mit dem Handy wichtiger."
    Auch Pfarrer Werner Demmel sieht als Leiter des deutschen Pilgerzentrums in Rom einen gewissen Verfall von Wertevorstellungen.
    "Das geht ja vom Gläubigen bis zum Bischof hinauf. Die allgegenwärtige Nutzung von Handys und Tabletts in den Gottesdiensten und auch in den Kirchen, und Basiliken, wie man es früher nie kannte."
    Eine Mutter macht ein Selfie von sich, ihrem Kind und Papst Franziskus während einer Generalaudienz.
    Selfie mit dem Papst (picture-alliance / dpa / Maurizio Brambatti)
    Trotzdem, so resümiert Pfarrer Demmel, gibt es auch wieder mehr Gläubige, die keine Anstrengung scheuen, um nach Rom zu pilgern. Stundenlang und mit einer Engelsgeduld stehen sie an, um schließlich andächtig den Worten des Papstes zu lauschen. Am Karfreitag Abend sind nicht nur die Pilger erschöpft. Auch in der Stimme des Papstes scheint eine gewisse Müdigkeit hörbar, wenn er die mahnenden Worte spricht, dass das Böse nicht das letzte Wort haben darf, sondern die Liebe, die Barmherzigkeit und die Vergebung.
    Jesús Hernández, der Pilger aus Rosario in Argentinien, der drei Wochen lang nach Rom pilgerte, um hier dabei sein zu können, hat übrigens während des gesamten Kreuzweges nicht ein Handyfoto gemacht, sondern gebetet.
    "Gracias Papa". Ich bin froh, dass meine Frau das alles an Himmelfahrt auch erleben darf, wenn sie und ihre Freundinnen ihre Pilgerreise zu Ende gebracht haben. Wir telefonieren täglich miteinander. Mitte Mai werden wir uns zuhause wieder sehen. Dann ist unsere Pilgerreise zu Ende."