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Pille ohne Nebenwirkungen
Forscher entdecken neuartiges Schmerzmittel

Eine Substanz, die Schmerzen effektiv blockiert, aber kaum Nebenwirkungen hervorruft: Forscher aus Erlangen haben sich mithilfe einer neuartigen Methode auf die Suche nach solch einem maßgeschneiderten Schmerzmittel gemacht. Mit einem Computermodell haben sie Millionen von Verbindungen an einem Schmerzrezeptor getestet und sind dabei fündig geworden.

Von Christine Westerhaus | 18.08.2016
    Schmerzmittel in der Apotheke
    Schmerzmittel wie Morphium sind zwar sehr wirksam, doch sie haben auch starke Nebenwirkungen. (dpa )
    Opiate wie das Morphium sind zwar die wirksamsten Schmerzmittel, die es gibt. Doch sie haben auch starke Nebenwirkungen: Sie erschweren die Atmung, führen zu Verstopfung und sie machen sehr schnell abhängig. Deshalb suchen Forscher schon lange nach alternativen Medikamenten, die Patienten mit chronischen Schmerzen helfen können. Doch die Wirkstoff-Fahndung kam bisher nur schleppend voran, sagt Peter Gmeiner von der Friedrich-Alexander Universität in Erlangen, der an der Studie beteiligt war:
    "Die bisherige Wirkstoffentwicklung in dem Bereich hat sich im Allgemeinen darauf verlassen, die bekannten Opioide, die man ja schon viele Jahre kennt, wie das Morphin beispielsweise, strukturell abzuwandeln, in der Hoffnung, das Molekül zu verbessern. Das war also letztlich eine Optimierung eines Moleküls. Bei der Optimierung konnte man zwar die Wirkstärke des Moleküls verbessern. Aber es gelang nicht, die Wirkung von der Nebenwirkung abzutrennen."
    Peter Gmeiner und seine Kollegen sind deshalb nun einen anderen Weg gegangen: Sie haben sich die Schmerzrezeptoren der Zellen genauer angesehen, also die chemischen Strukturen, an denen Schmerzmedikamente ihre lindernde Wirkung entfalten. Wie diese Rezeptoren aussehen, hat die Arbeitsgruppe des Nobelpreisträgers Brian Kobilka von der Stanford Universität in Kalifornien kürzlich herausgefunden. Damit hatten die Forscher nun gewissermaßen das Schloss in der Hand, für das sie nun einen passenden Schlüssel suchen konnten, so Brian Kobilka:
    "Das war eine sehr aufregende Entdeckung, denn viele Medikamente wirken an diesem Rezeptor. Trotzdem gab es aber kein Arzneimittel, das wirklich gut funktionierte. Mein Kollege hatte dann die Idee, per Computerscreening nach neuen Wirkstoffen zu suchen. Und er schlug vor, Substanzen zu testen, die sich von Opioiden chemisch unterscheiden weil sie wahrscheinlich andere biologische Eigenschaften haben."
    Schmerzmittel ohne Nebenwirkungen und Abhängigkeit
    Die Forscher entwickelten ein Computermodell, mit dem sie die Struktur von drei Millionen Verbindungen im Schnelldurchlauf direkt am Schmerzrezeptor testen konnten. Diejenigen Substanzen, die am effektivsten dort andockten, untersuchten die Forscher weiter:
    "Das heißt, man hat, um es einfach zu sagen, geguckt, wie gut verschiedene Moleküle in die Bindungstasche dieses Rezeptors passen. Aber eben jetzt nicht mit biochemischen Experimenten sondern mithilfe eines computerbasierten Verfahrens. Man hat diese drei Millionen Verbindungen dann verglichen mit anderen und hat dann die interessantesten 2.500 herausgesucht und die wurden dann sehr sorgfältig im Einzelnen überprüft und die besten 25 davon, das beste Prozent sozusagen, das wurde dann tatsächlich in molekularbiologischen Tests auf die Wechselwirkungen mit dem Rezeptor untersucht."
    Dabei fiel den Forschern eine Substanz besonders auf. Sie entwickelten diese chemisch weiter und erhielten eine Verbindung, die sie PZM 21 tauften. Dieser Wirkstoff ist chemisch nicht mit den Opioiden verwandt, bindet aber dennoch sehr effektiv an den Schmerzrezeptor. Gleichzeitig aktiviert er aber nicht die Signalmoleküle, die für die typischen Nebenwirkungen von Opioiden verantwortlich sind. Dies bestätigte sich später im Tierversuch: Als die Forscher Mäuse mit PZM 21 behandelten, reagierten diese unempfindlich auf Schmerzen. Nebenwirkungen zeigten die Tiere dagegen kaum. Und sie schienen auch nicht von der neuen Substanz abhängig zu werden.
    Verfahren eignet sich nicht nur für die Suche nach neuen Schmerzmitteln
    "Für mich am Beeindruckendsten war zu sehen, wie schön die Verbindung sich in den Tierexperimenten verhalten haben. Dass sie eben nicht diese Nebenwirkungen, wie insbesondere die Atemdepression gezeigt hat. Und im Vergleich dazu zu sehen, wie reproduzierbar und stark das Morphin auf der anderen Seite oder auch andere klassische Arzneimittel das tun."
    Damit hat die Substanz PZM 21 die besten Aussichten, in ein paar Jahren als Schmerzmittel auf den Markt zu kommen. Falls sie beim Menschen genauso selektiv wirkt, wie bei Mäusen. Das Verfahren, das zur Entdeckung des neuen Wirkstoffs führte, eignet sich aber nicht nur für die Suche nach neuen Schmerzkillern. Auch andere Wirkstoffe, wie Psychopharmaka oder Herz-Kreislauf Medikamente, könnten im Schnelldurchlauf am Computer gefunden werden, meint Peter Gmeiner:
    "Immer dann, wenn die Struktur, eine möglichst gute Struktur des molekularen Angriffsorts, des so genannten Targets bekannt ist, immer dann kann man so ein Verfahren dann auch durchführen. Der Vorteil ist eben, dass man zu neuartigen chemischen Strukturen kommt. Und neue Strukturen eröffnen eben häufig dann auch neue biologische Befunde."