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Reaktionen aus Brüssel zum Türkei-Referendum
Forderungen nach Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen

Nach dem knappen Ja für Erdogan und die Verfassungsänderung in der Türkei fällt die offizielle Erklärung der EU relativ schmallippig aus. Man nehme die Ergebnisse zur Kenntnis. Und erwarte nun die Aussagen der internationalen Wahlbeobachter, hieß es in einer Erklärung. Etwas weiter geht dagegen das Europaparlament.

Von Bettina Klein | 17.04.2017
    Ein Mann liest am 17.04.2017 in Istanbul in der Türkei die Zeitung Takvim auf der in mehreren Sprachen die Zustimmung zum Referendum beschrieben wird. Die Türken stimmten knapp mit "Evet" (JA) zu einer Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems, das Staatspräsident Erdogan mehr Macht verleiht.
    Ein Mann liest am 17.04.2017 in Istanbul in der Türkei die Zeitung Takvim auf der in mehreren Sprachen die Zustimmung zum Referendum beschrieben wird. (dpa / Michael Kappeler)
    Die Europäische Union sieht sich schon jetzt im Spannungsfeld zwischen dem Ruf nach Konsequenzen und dem Wunsch, nicht alle Türen zuzuschlagen. Relativ schmallippig fällt die offizielle Erklärung aus. In einer gemeinsamen Stellungnahme schreiben Kommissions-Präsident Juncker, die Außenbeauftragte Mogherini und Erweiterungskommissar Hahn: Man nehme die Ergebnisse zur Kenntnis. Und erwarte nun die Aussagen der Internationale Wahlbeobachter, auch mit Blick auf die berichteten Unregelmäßigkeiten.
    Etwas weiter geht auch heute das Europaparlament. Nach Ansicht der Türkei-Berichterstatterin Kati Piri würde es zum Stopp der Beitrittsverhandlungen führen, sollten die geplanten Verfassungsänderungen in Gänze umgesetzt werden. "Das Land kann der EU nicht mit einer Verfassung beitreten, die die Gewaltenteilung nicht respektiert". Zita Ende. Eine Neubewertung des Verhältnisses fordert auch Manfred Weber, CSU, Vorsitzender der EVP-Fraktion. Das heißt für ihn konkret:
    "Dass die Beitrittsgespräche zur Europäischen Union, die wir ja derzeit noch führen, dass die nicht weiter geführt werden können. Wir müssen jetzt reinen Tisch machen. Wir müssen auf den Tisch legen, wie wir uns diese Partnerschaft, die im beiderseitigen Interesse liegt, vorstellen. Aber die Vollmitgliedschaft kann kein Ziel mehr sein."
    Die Staats- und Regierungschefs, die sich hier in Brüssel in zwei Wochen treffen, eigentlich um über den Brexit zu reden, sollten sich mit dem Verhältnis zur Türkei auseinandersetzen, so Weber gestern Abend im ZDF. Statt einer Mitgliedschaft könne man der Türkei spezifische Angebote machen, um ihr wirtschaftlich zu helfen.
    Österreich fordert erneut Abbruch der Beitrittsverhandlungen
    Der Vizepräsident des Europaparlamentes Alexander Graf Lambsdorff FDP, fordert die Bundesregierung explizit auf, sich dem Parlament und Österreich anzuschließen und ein Ende der Beitrittsgespräche herbeizuführen. Er sagte dem Deutschlandfunk-Studio Brüssel:
    "Mit dem Referendum gestern hat sich die Türkei entschieden, dass sie kein Beitrittskandidat zur Europäischen Union mehr sein will. Es ist deswegen an der Zeit die Gespräche zu beenden und zu ersetzen durch Verhandlungen über einen Grundlagenvertrag. In dem wir eine neue Zusammenarbeit definieren können, die ehrlich ist und nicht auf leeren Versprechungen beruht."
    Das Europaparlament hatte bereits Ende November dafür gestimmt, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auszusetzen, in einer Resolution, die mit großer Mehrheit angenommen wurde, gleichwohl nicht bindend ist. Auch Österreich forderte heute erneut den Abbruch der Verhandlungen.
    Gewünschte stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit dürfe es nicht geben
    Einen etwas anderen Ansatz verfolgen die Grünen im Europaparlament, die sich vor allem als Anwalt jener 49 Prozent der Türken verstehen, die gestern mit Nein gestimmt haben. Ein schwerer Schlag für die Demokratie heißt es in der Stellungnahme der beiden Fraktionsvorsitzenden Ska Keller und Philippe Lamberts. Die von Erdogan gewünschte stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit dürfe es nicht geben, solange Erdogan seinen autoritären Kurs fortsetzt. Aber die EU stehe weiter in der Verantwortung, ihren Einfluss auf Erdogan zu nutzen, um ihn vom Kampf gegen die Opposition und die freie Presse abzubringen. Es sei nicht der Zeitpunkt, sich von der Türkei abzuwenden. Gefragt nach den 63 Prozent der Türken in Deutschland, die für die Verfassungsänderung gestimmt haben, sagte die Grünen- Abgeordnete Rebecca Harms gestern Abend im Deutschlandfunk:
    "Ehrlich gesagt, das hat mich heute völlig erschüttert. Das gilt für Deutschland, das gilt für Österreich, die Niederlande und noch einige andere EU-Staaten, dass hier sehr viel mehr mit Ja gestimmt worden ist, als prozentual in der Türkei selber. Aus den USA gab es Berichte, dass dort nur 15 Prozent mit ja gestimmt haben. Ich kann dazu noch keine Analyse abgeben ..."
    Es sei sehr schwierig zu bewerten, so Rebecca Harms. Sie glaube aber, dass dies für Deutschland Österreich und andere europäische Länder eine große Herausforderung sei.