Samstag, 20. April 2024

Archiv

Pilotenausbildung
"Depression ist Ausschlusskriterium"

Piloten dürfen nicht an einer sogenannten endogenen Depression leiden, sagte der Luftfahrt-Psychologe Reiner Kemmler im DLF. Die liege vor, wenn die Krankheit immer wieder und anlasslos auftrete. Er bezweifelt jedoch, dass eine strengere psychologische Untersuchung alle Fälle aufdecken könnte.

Reiner Kemmler im Gespräch mit Friedbert Meurer | 27.03.2015
    Eine Boeing 737-800 des Billig-Fliegers Norwegian Air Shuttle fliegt vor blauem Himmel
    Psychologische Tests für Piloten von Passagiermaschinen? (dpa / SCANPIX NORWAY FILE)
    Bei ihrem Einstellungstest würden Piloten sehr ausführlich überprüft, so Kemmler. So werden unter anderem die Konzentration und Aufmerksamkeit, das Entscheidungsvermögen sowie das räumliche Denkvermögen getestet, aber auch ihre Persönlichkeit: Wie stabil ist der Mensch? Ist er extrovertiert oder introvertiert? Wie risikoreich ist er? Ist er möglicherweise überangepasst, kann er sich durchsetzen?
    Überanpassung wäre besonders schädlich für den Pilotenberuf, so Kemmler. Jeder Pilot müsse genügend Rückgrat haben, um in der Kabine auch gegenüber Ranghöheren seine Meinung zu äußern, wenn etwas nicht stimme: "Wer kein Rückgrat hat, ist schnell wieder draußen."
    Depressionen können ein Ausschlusskriterium sein - müssen es aber nicht. Es gebe unterschiedliche Formen. Bei reinen Stimmungsschwankungen, die auf bestimmte Ereignisse zurückzuführen seien, gebe es gute Therapiemöglichkeiten. Die sogenannte endogene Depression jedoch sei ein klarer Grund, den Piloten nicht zur Ausbildung zuzulassen. Die Piloten wüssten jedoch um diesen Umstand, meint Kemmler. Das würde es auch schwierig machen, alle Fälle aufzudecken, da es möglich sei, dass manche ihre Krankheit versteckten.

    Hier das vollständige Interview:
    Friedbert Meurer: Piloten werden auf Herz und Nieren geprüft, bevor sie die Uniform einer Fluggesellschaft anziehen dürfen. Viele scheitern aber daran, die Flugkapitän oder Pilot als Traumberuf ansteuern. 95 Prozent fallen bei der Einstellung bei den Tests durch. Angehende Piloten werden dabei auch psychologisch geprüft. Die Verantwortung, die sie tragen müssen, ist enorm. Sie sollen in Krisensituationen ruhig bleiben, wie zum Beispiel ein Chesley Sullenberger, der ein Flugzeug auf dem Hudson River notgelandet hat in New York. Er ist jetzt ein Held. Und der Co-Pilot aus Montabaur trägt heute Morgen in der Boulevardpresse den Titel „Amok-Pilot".
    Reiner Kemmler ist freiberuflicher Luftfahrt-Psychologe, hat lange Jahre bei der Lufthansa Flugschüler und Linienpiloten gecoacht, ausgebildet und die Ausbildung geleitet. Guten Morgen, Herr Kemmler.
    Reiner Kemmler: Guten Morgen!
    Meurer: Wie sieht denn in den Einstellungstests für Piloten die psychologische Überprüfung aus?
    Kemmler: Die ist sehr ausführlich und beruht auf vielen standardisierten Diagnostik-Instrumenten. Das beginnt bei der Prüfung des fliegerischen Potenzials, also den Voraussetzungen, die man für den Beruf braucht, die zum Beispiel sich in Konzentration, Aufmerksamkeit, Mehrfacharbeit, räumlichem Vorstellungsvermögen, Entscheidungsfähigkeit und so weiter äußert, und wird zum Teil in Simulator ähnlichen Geräten überprüft. Darüber hinaus wird dann noch die Persönlichkeit zu erfassen versucht, wie stabil jemand ist, ob er extravertiert ist oder introvertiert, wie risikobereit, wie belastbar und wie er sich im zwischenmenschlichen Kontakt verhält, ob er überangepasst ist, oder ob er sich auch durchsetzen kann. Das wird über mehrere Tage hinweg geprüft.
    Meurer: Was ist das Problem bei Überanpassung?
    Kemmler: Ja, so jemand können Sie im Cockpit nicht brauchen. Da sind nur zwei und wenn einer einen Fehler macht und man ist überangepasst und denkt nur an seine Karriere und sagt dem anderen nicht, was er gerade festgestellt hat, was nicht stimmt, dann kann er sehenden Auges in ein Problem reinlaufen. Das heißt, man muss im Cockpit offen und ehrlich und sehr kritisch sich auch trauen, dem Ranghöheren zu sagen, das habe ich anders gelernt, das ist anders zu machen, die Regeln sind anders.
    Meurer: Haben Sie den Eindruck, dass im Cockpit so offen und ehrlich geredet wird, wenn es auch um Karriere beispielsweise geht?
    "Wer kein Rückgrat hat, ist ganz schnell wieder draußen"
    Kemmler: Ja, das muss so sein. Das geht nicht anders. Ich glaube, dass jemand, der sich hier anpasst oder, sagen wir mal, wie man so schön in der Alltagssprache sagt, kein Rückgrat hat, ganz schnell wieder draußen ist.
    Meurer: Es spricht einiges dafür, dass der Co-Pilot unter Depressionen litt. Was würde es bedeuten, wenn ein Pilot zu seinem Vorgesetzten oder zu seiner Luftfahrtgesellschaft, seinem Arbeitgeber geht und sagt, ich leide unter Depressionen?
    Kemmler: Das ist eine schwerwiegende Geschichte, weil die Piloten wissen, dass Depressionen Ausschlusskriterien für die Tauglichkeit sind. Es kommt natürlich darauf an, um was für eine Depression es sich handelt. Es gibt solche, die wir auch haben, zwar nicht in Form von Erkrankungen, sondern in Form von Stimmungsschwankungen, und die auf aktuelle oder akute Ereignisse zurückzuführen sind und die dann auch wieder verschwinden. Dafür gibt es auch gute Behandlungsmöglichkeiten, dann kann derjenige auch wieder weiterfliegen, wenn er das bewältigt hat.
    Meurer: Das würde in diesem Fall vielleicht sogar zutreffen. Der Co-Pilot hatte seine Ausbildung für vier oder sechs Monate unterbrochen und danach ging es dann weiter.
    Kemmler: Ja, das sieht so aus. Aber da müssen wir noch weitere Fakten abwarten. Es ist durchaus möglich, weil ja Depressionen auch zyklisch auftreten, dass hier eine familiäre Belastung vorliegt, und dann ist das ein Ausschlusskriterium, weil sogenannte endogene oder familienbedingte Depressionen nicht die Voraussetzungen sind, um Fliegen zu dürfen.
    "Vier-Augen-Regel muss man diskutieren"
    Meurer: Jetzt haben wir über Einstellungstests, Ausbildung und so weiter gesprochen. Haben Sie eine Idee, was man zusätzlich jetzt tun könnte für die Zeit, wenn ein Pilot im Beruf ist, seit zwei Jahren, seit vier Jahren, seit zehn Jahren?
    Kemmler: Na ja, es wird diskutiert, ob man diese Vier-Augen-Regel einführt. Das heißt, dass immer zwei Mann im Cockpit sind. Das ist umstritten, das muss auch diskutiert werden, wenn man alles weiß. Dann kann man das besser überschauen. Ein Kabinenmitarbeiter oder Mitarbeiterin sind natürlich überhaupt nicht geschult für diese Aufgabe, ein Flugzeug zu steuern, und es bliebe dann nur noch, jemanden zu haben, der aufpasst, dass die Tür auf und zugeht.
    Zweite Möglichkeit ist, die Bedingungen, die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit schärfer zu fassen, sodass man eventuell an diese Problematik der Betroffenen rankommt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob durch eine immer wiederkehrende psychologische Untersuchung man das Problem aufdeckt, weil es handelt sich ja um sehr kluge Leute, die wissen, dass eine Depression die Tauglichkeit gefährdet, und man kann das auch verdecken. Wenn jemand Hilfe sucht, dann ist es kein Problem, dann wird darauf eingegangen. Aber wenn jemand dissimuliert, also nicht zulässt, dass es andere merken, ist es sehr, sehr schwer.
    Meurer: Der Luftfahrt-Psychologe Reiner Kemmler bei uns im Deutschlandfunk. Herr Kemmler, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Kemmler: Bitte! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.