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Pilotentests
"Kompletten Einstellungstest überdenken"

Die Fluggesellschaften würden Piloten vor der Einstellung umfangreichen Tests unterziehen, sagte der Luftfahrt-Fachjournalist Harald Stocker im Deutschlandfunk. Allerdings gäbe es Firmen, die auf solche Tests vorbereiten würden. Dadurch komme es zu Verfälschungen. Das solle verboten werden.

Harald Stocker im Gespräch mit Bettina Klein | 28.03.2015
    Zwei Piloten arbeiten am 05.06.2014 auf dem Flughafen in Hamburg im Cockpit eines Lufthansa-Airbus A380.
    Piloten im Cockpit eines Lufthansa-Airbus A380 (Archivbild) (dpa / picture-alliance / Daniel Reinhardt)
    Bettina Klein: Inzwischen werden auch Fragen gestellt nach dem Arbeitsumfeld von Piloten, nach ihren Arbeitsbedingungen, von denen wir immer vor allen Dingen dann hören, wenn Piloten streiken. Der "Spiegel" schreibt heute von starkem Leistungsdruck, von einer Atmosphäre der Angst, Psychologen, Psychiater und Betroffene würden ein besorgniserregendes Bild zeichnen vom Umgang mit solchen Problemen in der Luftfahrtbranche. Der Kollege Harald Stocker ist Wissenschaftsjournalist, der viel über die Luftfahrtbranche berichtet, und ist jetzt am Telefon. Ich grüße Sie, Herr Stocker!
    Harald Stocker: Ich grüße Sie ebenfalls!
    Klein: Mal unabhängig vom konkreten Fall, was da berichtet wird, hören Sie das auch, können Sie das bestätigen?
    Stocker: Ich kann das nicht bestätigen. Ich habe sehr viele Piloten kennengelernt und die berichten von einem anstrengenden und anspruchsvollen Beruf, aber ich kenne jetzt keine Piloten, die den ganzen Tag über ihre Arbeitsbedingungen jammern und quasi kurz vor dem Zusammenbruch stehen. Also, da wird, glaube ich, ein falsches Bild skizziert. Wir dürfen nicht vergessen, wir haben Gesetze über Ruhezeiten, die eingehalten werden müssen, da sind Piloten auch sehr selbstbewusst, wir kennen Fälle, wo Flugzeuge frühzeitig an einem anderen Ort gelandet sind, weil die Dienstzeiten der Piloten abgelaufen sind und man nicht gegen Gesetze verstoßen wollte. Das war natürlich problematisch für die Passagiere, weil die dann einen außerplanmäßigen Weiterflug erst mal warten mussten. Aber im Großen und Ganzen geht es doch darum, dass die Piloten Ruhezeiten haben, die vorgeschrieben sind, die eingehalten werden. Und dann darf man nicht vergessen, dass die Luftfahrt heute auch sehr, sehr automatisiert abläuft. Die Flugzeuge sind technisch in der Lage, von Piste zu Piste vollkommen autonom zu fliegen. Das machen Piloten natürlich nicht, weil sie Starten, Landen auch beherrschen wollen, üben wollen und weil es immer wieder mal außerplanmäßige Änderungen gibt, aber im Großen und Ganzen, wenn die mal von der Piste weggeflogen sind, fliegen Flugzeuge automatisiert. Und in der Zeit können sich die Piloten dann auch wieder ein bisschen erholen, Kraft schöpfen für anspruchsvollere Aufgaben.
    Klein: Aber wie offen ist der Umgang zum Beispiel mit persönlichen Problemen? Wir sprechen darüber ja auch immer fallunabhängig, immer wenn solche Berichte veröffentlicht werden. Depressionen, Alkoholsucht, chronische Müdigkeit und Überarbeitungen würden oft totgeschwiegen, heißt es jetzt, und es herrsche ein Klima von Verdrängung und Karriereangst.
    Stocker: Das ist tatsächlich etwas anderes. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass der Pilot eben medizinisch überprüft wird regelmäßig. Und es gibt sehr viele Fälle, wo Piloten schon mit Ende 40, Anfang 50 einfach aussortiert werden. Die Hauptgründe sind dann meistens Bluthochdruck und Diabetes, das sind ebenfalls Erkrankungen, die auftreten können im fortgeschrittenen Alter. Und man möchte nicht, dass ein Pilot zum Beispiel eine Unterzuckerung bekommt im Cockpit. Und dann bekommt er einfach Flugverbot. Das ist für die Betroffenen sehr tragisch, sie sind dann Frührentner, weil ein Pilot, der ein Flugzeug nicht mehr fliegen darf, ist im Endeffekt ein ungelernter Arbeiter. Und...
    Klein: Was jetzt die psychologische Betreuung angeht, da wurde jetzt viel drüber diskutiert, die Luftfahrtgesellschaften würden eben keinerlei solche Tests mehr vornehmen über einen längeren Zeitraum. Haben Sie den Eindruck, dass das geändert werden muss?
    Keine Überwachung, sondern Betreuung
    Stocker: Darüber wird im Moment tatsächlich heftig diskutiert, und zwar auf beiden Seiten. Ich habe in Internetforen gelesen, wo sich Piloten auch austauschen, die sich darüber beklagen, sie wollen jetzt nicht alle halbe Jahre einen Idiotentest machen und zu irgendeiner Psychotante geschickt werden oder so. Da hat man das Gefühl, es richtet sich gegen die Piloten. Und dagegen wehren die sich natürlich auch, sie wollen jetzt quasi nicht in Generalverdacht gestellt werden. Auf der anderen Seite ist es tatsächlich so, dass es keine intensive psychologische Betreuung über die gesamte berufliche Laufbahn hinweg gibt, sondern nur eben diesen einen psychologischen Einstellungstest ganz am Anfang. Es sei denn, es passiert irgendwas Außergewöhnliches, dass man Medikamentenmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit vermutet. Aber ansonsten eher nicht. Und da denken im Moment Experten drüber nach, dass man eine kontinuierliche psychologische Betreuung anbietet. Das soll nicht eine Überwachung sein oder ein Test, sondern es soll eine Betreuung sein, die den Piloten hilft, auch beispielsweise schwere Lebenskrisen an sich selber zu erkennen und frühzeitig dort Hilfe anzunehmen, wenn sie das brauchen.
    Klein: Geht es auch dabei um das Berufsbild und darum, wie gut oder schlecht es sich möglicherweise verträgt mit einem offenen Umgang mit Problemen? Zumindest früher galt ein Pilot als toller Typ, der alles im Griff hat und ja auch haben muss, und auch als überdurchschnittlich erfolgreich. Gilt das noch in der Branche?
    Stocker: Nein, das war früher tatsächlich ein Problem und das war ein so großes Problem, dass es sogar Flugzeugabstürze gab, weil Piloten sich überschätzt haben, weil sie dachten, sie sind die tollsten Typen im Cockpit. Und genau die Leute werden seit vielen Jahrzehnten gezielt bei den Einstellungstests eben aussortiert. Man möchte keine Draufgänger, keine Abenteurer, keine Leute mit einem überzogenen Selbstbewusstsein, sondern eher Menschen, die sich in einem seelischen Gleichgewicht befinden und stabil sind und eher nicht selbstbewusst sind, sondern eher Selbstvertrauen haben in ihre gute Ausbildung. Und daher dann eben keine besonderen Risiken eingehen.
    Klein: Wie gut ist es denn möglich, da geeignete von vielleicht weniger geeigneten Kandidaten zu unterscheiden bei den Auswahlverfahren?
    Stocker: Das ist tatsächlich eine große Herausforderung. Wir wissen, dass der Einstellungstest der Lufthansa, der beim Flugmedizinischen Institut des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Hamburg durchgeführt wird, zu den besten der Welt gehört auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sind auch diese Experten nicht in der Lage, in die Köpfe der Menschen hineinzuschauen. Und mir ist ein Fall bekannt, wo jemand diesen Test bestanden hat und sich später herausgestellt hat, dass er an einer leichten Form der Epilepsie leidet. Das ist ein Ausschlusskriterium. Er wurde dazu mehrfach befragt, zur medizinischen Vorgeschichte, er hat mehrfach auch Fragebögen ausgefüllt, das einfach nicht angegeben. Und dann zeigt sich halt, dass es durchaus Möglichkeiten gibt, da durchzurutschen. Ein anderes Problem ist, dass es kommerzielle Anbieter gibt, die Bewerber gegen Geld auf solche Tests vorbereiten. Und es ist gerade beim psychologischen Teil natürlich die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass damit das Ergebnis verfälscht werden kann. Denn ein psychologischer Test, der sich mit der Persönlichkeit von angehenden Piloten beschäftigt, der kann ja nur dann funktionieren und gute Ergebnisse liefern, wenn der Prüfling nicht weiß, wie so ein Test funktioniert, wenn er nicht die Mechanismen kennt, wenn er nicht weiß, was der Psychologe eigentlich versucht, herauszufinden. Und wenn er solche Tests sehr gut kennt und auch die Fragen vielleicht kennt oder auch die Rollenspiele, die dort gemacht werden, die Diskussionsrunden kennt, dann kann er da natürlich auch das Ergebnis verändern. Und wenn die Psychologen das nicht wissen, dann kann es hier tatsächlich auch zu fehlerhaften Beurteilungen kommen.
    Klein: Was wäre denn nach Ihrer Beobachtung da jetzt die geeignete Lösung oder die Veränderung, die man vornehmen müsste?
    Stocker: Kompletten Einstellungstest noch mal überdenken
    Stocker: Ich gehe davon aus, dass die Experten jetzt sowieso den kompletten Einstellungstest noch mal überdenken und sich auch überlegen, wie sei da vorgehen können. Man kann auch überlegen, inwieweit das eigentlich im Interesse der Allgemeinheit liegt, dass es kommerzielle Anbieter gibt, die sagen, gegen Geld bringe ich dir bei, wie du den Einstellungstest bei einer Fluggesellschaft bestehen kannst. Das, glaube ich, ist auch nicht im Interesse der Allgemeinheit. Vielleicht muss man so was auch mal gesetzlich verbieten. Und wir brauchen aber vor allem, weil sich ja auch im Leben eines Menschen, eines Piloten über viele Jahrzehnte hinweg Veränderungen einstellen können, eine Begleitung, eine kontinuierliche psychologische Begleitung, die von den Piloten nicht als etwas empfunden ist, was sich gegen sie richtet, sondern die als eine Betreuung empfunden wird, die dem Piloten auch hilft, sowohl seelisch als auch körperlich ein ganzes Berufsleben lang gesund zu bleiben. Und auch aus dieser Situation heraus vorbeugen kann, dass man vorzeitig aussortiert wird und dann quasi mit 50 Jahren als Frührentner hohe finanzielle Einbußen hat.
    Klein: Die Einschätzung des Wissenschaftsjournalisten Harald Stocker heute Mittag hier im Deutschlandfunk zu den Konsequenzen möglicherweise nach dem Flugzeugabsturz am vergangenen Dienstag. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Stocker!
    Stocker: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.