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Pilze statt Bakterien

Medizin. - In vielen Schwellenländern mit aufstrebender Wirtschaft steigt auch die Zahl der Diabeteskranken - es fehlt aber an Geld für Medikamente. Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig haben in einer deutsch-indischen Kooperation eine neue Methode entwickelt, günstig Insulin herzustellen.

Von Michael Engel | 23.06.2010
    Der Pilz hört auf den Namen Pichia pastoris und hat den Ruf eines Sonderlings unter den Hefepilzen. Der im Boden lebende Einzeller verträgt nämlich Methanol. Als der giftige Rohstoff noch billig war - in den 70er-Jahren - wurde Pichia pastoris industriell kultiviert - als Proteinquelle für die Tierernährung, so etwa in Form von getrockneter Futterhefe. Dr. Ursula Rinas:

    "Also, das ist ein einzelliger Pilz. Der vermehrt sich durch Sprossung. Da kommt dann so eine kleine Knospe raus - also aus einer Kugel - da kommt dann so eine kleine Verdickung raus. Die schwillt dann halt an, bis sie so groß ist wie die ursprüngliche Kugel. Dann schnürt sie sich ab, und dann hat man zwei neue Tochterzellen. Wie die Bäckerhefe."

    Wie alle Hefepilze kann sich Pichia pastoris binnen kürzester Zeit explosionsartig vermehren. Hier im zehn Liter fassenden Bioreaktor des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig wird der Organismus zunächst mal mit Glycerin angefüttert. Die Flüssigkeit ist eine Leibspeise von Pichia pastoris. Der Pilz wächst rasch heran. Dann erfolgt ein Futterwechsel. Die Biochemikerin füllt Methanol auf, eine zweiprozentige Lösung, was jeden anderen Organismus töten würde. Pichia pastoris reagiert auf seine Weise. Die Hefe produziert Alkoholoxidase, um das Methanol abzubauen, und aktiviert noch weitere gentechnisch eingebaute Fähigkeiten:

    "Bei den Zellen, mit denen wir jetzt hier arbeiten, stellen wir einen Insulinvorläufer her. Und dieser Insulinvorläufer ist eine Proteinkette, und die wird von dem Pilz in dem Zellinneren gebildet und dann aber nach außen in den Überstand abgegeben. Die kann man dann ernten, diese Proteinkette, und dann muss noch ein klein wenig Chemie gemacht werden, und dann wird aus dem Insulinvorläufer das fertige Insulin, und das kann dann halt als Medikament eingesetzt werden."

    Bislang wird ein Großteil des Insulins mithilfe gentechnisch veränderter Coli-Bakterien hergestellt. Coli-Bakterien haben den Vorteil, dass sie zehn Gramm Insulin pro Liter Lösung herstellen. Jedoch befindet sich der begehrte Wirkstoff innerhalb der Bakterien und muss mit komplizierten, chemischen Verfahren aufgearbeitet werden. Pichia pastoris hingegen scheidet die medizinisch wertvollen Proteine aus. Sie schwimmen in der Reaktorlösung, erklärt Dr. Ursula Rinas:

    "Das ist bei der Pichia pastoris deutlich einfacher - die Aufarbeitung - und macht den Prozess auch eigentlich einfacher. Man muss halt nur am Anfang, wenn man die Zellen kultiviert, und die Produktion von diesem Insulin anregt, da muss man halt tricksen. Da muss man so ein bisschen Know-how etabliert haben, wie man das bei den Hefen so rauskitzeln kann, dass sie halt sehr, sehr hohe Produktmengen herstellen."

    Nach der erfolgreichen Kooperation zwischen dem Braunschweiger Helmholtz-Zentrum und dem International Centre for Genetic Engineering and Biotechnology in New Delhi wird das Insulin mittlerweile von einem indischen Unternehmen hergestellt.

    "Also, da kommen jetzt viele Länder. Uns hat auch mal eine ägyptische Firma angesprochen, die arbeiten jetzt auch mit den Indern zusammen. Weil die Stammkonstruktion in Indien gelaufen ist. Also, da sind schon einige Länder, die können jetzt in diesen Markt mit reinkommen, der vorher halt durch Patentschutz nicht zugänglich war."

    Weltweit sind 285 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt. Mit 50 Millionen Betroffenen ist Indien das Land mit den meisten Diabetikern. Für viele Menschen in ärmeren Ländern sind Medikamente zu teuer. Mit dem neuen, einfacheren Verfahren erhöht sich nun die Chance, an erschwingliches Insulin heranzukommen.