Dienstag, 23. April 2024

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Pinakothek der Moderne
Grau in Grau und abwechslungsreich

In der Werkreihe "Grisaille" setzen sich die Zwillingsbrüder Gert und Uwe Tobias mit der Graumalerei auseinander. Die Druckgrafik-Künstler haben sie für die Münchener Pinakothek angefertigt und neu interpretiert.

Von Julian Ignatowitsch | 03.08.2016
    Pinakothek der Moderne in München
    Gut 50 Kunstwerke haben die Zwillingsbrüder Gert und Uwe Tobias in weniger als einem halben Jahr für die Pinakothek der Moderne in München gefertigt. (imago / Westend61)
    Der Blick geht ins Graue – und man verliert sich bereits nach wenigen Momenten darin. Insbesondere die großformatigen Holzschnitte: Wilde Blumen ranken sich über die Leinwand, verschnörkelte Ornamente fügen sich zu fantastischen, dann minimalistischen Mustern zusammen, Formen und Rundungen bekommen plötzlich Gesichter, Arme, Beine, Fühler, ein Blatt schwebt schwerelos vor dem Fenster und ein Spiegel lässt einen mitten hinein sehen, in die endlose Tiefe dieser Farbe, dieser Nicht-Farbe, des Graus, das hier den ganzen Raum, die ganze Ausstellung einnimmt.
    Gert Tobias: "Grau ist für mich ein Abenteuer und ein ganz weites Spektrum, wo man sich lange drin verlieren kann."
    Uwe Tobias: "Grau ist eine sehr spannende Angelegenheit, weil es relativ neutral und abstrakt ist. Dazu kommt, dass meine Haare auch immer grauer werden."
    Mittelpunkt der Schau: meterlange Holzschnitte
    Gut 50 Kunstwerke haben die Zwillingsbrüder Gert und Uwe Tobias in weniger als einem halben Jahr gefertigt: Collagen, Skulpturen, ein vierteiliges Wandgemälde, Schreibmaschinenzeichnungen und eben die meterlangen Holzschnitte, die so typisch für ihr Werk sind und den Mittelpunkt der Schau bilden.
    Als Münchner Veduten und Fensterbilder kombinieren die Holzschnitte verschiedenste Formen der Stadt- und Kunstgeschichte, zitieren den Palmettenbaum des Münchner Äphaiatempels in der Glyptothek genauso wie die naturaffine, zarte Motivik des Japonismus und asiatischer Kunst. Die scheinbar antiquierte Technik des Holzschnitts gereicht den Tobias-Brüdern zum ganz eigenen, unvergleichlichen Stil:
    Gert Tobias: "Den Holzschnitt haben wir schon während der Schulzeit und Anfang des Studiums für uns entdeckt."
    Uwe Tobias: "Man hat das Motiv und den Druckstock. Der Druckstock ist in mehrere Teile aufgeteilt, die Zeichnung wird gesägt und jedes Fragment wird mit Händen und Füßen abgedruckt auf Papier oder auch auf Leinwand. Wie das funktioniert? Vereinfacht gesagt, wie der Kartoffeldruck aus der Schule – so kann man sich das vorstellen."
    Bei den Tobias-Brüdern ist Grau leicht und verspielt, manchmal rätselhaft und doppeldeutig. Das ist umso überraschender, als dass Gert und Uwe Tobias in ihren bisherigen Bildwelten meist sehr farbintensiv und kontrastreich gearbeitet haben. Jetzt zehren sie einerseits von kunsthistorischen Erkenntnissen der Grisaille, andererseits stellen sie die Farbe Grau in einen sehr aktuellen Kontext.
    Kurator Michael Hering: "Graumalerei wird immer argwöhnisch betrachtet, es ist nicht so leicht zugänglich für den Betrachter und doch spielt es seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle. Angefangen in der Antike und dann neuentdeckt im Mittelalter, anschließend vom 16. bis zum 18. Jahrhundert als Entwurfskizze, weil man Grau in Grau sehr schnell eine Komposition, Licht, Schatten oder Raum festlegen kann, ohne die Farbe zu wechseln – und nicht zuletzt in der Gegenwartskunst, sind Gerhard Richter, Luc Tuymnas oder Cy Twombly zu nennen, die mit Grau gearbeitet haben."
    Kleinteilige Schreibmaschinenbilder
    Die kleinteiligen Schreibmaschinenbilder sind ein weiterer Höhepunkt. Man möchte gar nicht glauben, dass diese fantasievollen Formen von keimenden Blüten, erstarrten Insekten oder astgleichen Armen wirklich nur durch die Drucktypen einer herkömmlichen Schreibmaschine entstanden sind. Handwerkliche Präzision und Perfektion auf jedem Quadratzentimeter. Dazu noch mal Gert und Uwe Tobias:
    "Wie viel Leute beschäftigen wir? Ich beschäftige den Uwe und er mich. Wir sind tatsächlich nur zu zweit."
    "Sägen, zeichnen, drucken: Jeder hat sein Ego und jeder sieht, was er nach all den Jahren gemacht hat. Aber uns ist es nicht wichtig, dass es von außen erkennbar ist. Ab einem gewissen Punkt kann man das auch nicht mehr, weil wir uns gegenseitig beeinflussen und Formen des Anderen übernehmen."
    Spätestens mit dieser Münchner Ausstellung haben die Zwillingsbrüder, die das &-Symbol zwischen ihren Namen längst zum Markenzeichen gemacht haben, einen Platz unter den wichtigsten zeitgenössischen Druckgrafik-Künstlern in Deutschland sicher. Die Pinakothek freut sich da umso mehr über diverse Neuerwerbungen und Schenkungen aus ihrem Werk.