Freitag, 19. April 2024

Archiv


Pionier des Inklusionsgedankens

Inklusion ist ein für Deutschland relativ neuer Begriff. Allerdings gibt es einige wenige Bildungseinrichtungen, die das Prinzip "Eine Schule für alle" schon lange praktizieren. Die erste Schule dieser Art befindet sich in Berlin - die Fläming-Grundschule hat bereits 1975 damit begonnen, behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam zu unterrichten.

Von Claudia van Laak | 26.03.2011
    "Einen schönen guten Morgen. Guten Morgen Herr Kollwich, Frau Hartmann, Frau Liebert."

    Donnerstagmorgen 8.00 Uhr in der Fläming-Grundschule. Die 17 Kinder der 6d sind zur Begrüßung aufgestanden, der Klassenlehrer und die zwei Pädagoginnen stehen vorn an der Tafel. Donnerstags wird die Klasse geteilt: Alexa Liebert begleitet die geistig behinderten Kinder der 6d hinaus - für die drei steht lebenskundlicher Unterricht auf dem Stundenplan.

    "Die Klasse weiß ja auch, dass wir eine Produktion starten. Wollt ihr verraten, was wir machen? Nein. Pizza. (Lachen). Also Pizza."

    Die verbliebenen 14 Kinder würden jetzt wohl auch lieber Pizza backen und essen - aber für sie steht Mathe auf dem Stundenplan - bei Klassenlehrer Michael Kollwich.

    "Alle bereiten ihren Arbeitsplatz so vorbildlich vor wie Paul. Denkt bitte auch an den Zirkel."

    Michael Kollwich macht keinen Frontalunterricht, er erarbeitet den neuen Stoff gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern. Sein Prinzip: Die Kinder sollen möglichst voneinander lernen und sich gegenseitig helfen - egal ob mit oder ohne Behinderungen.

    "Woher weiß man, dass man einen 30-Grad-Winkel hat oder wie macht man das? Ich weiß es! Na, dann geht mal zu Tim und lasst es euch erklären."

    Während der größere Teil der 6d sich weiter mit Zirkel, Bleistift und Geodreieck herumschlägt, schreiben Luca, Ariana und Öslem gemeinsam mit ihren Betreuerinnen einen Einkaufszettel, gehen in den Supermarkt. In der Lehrküche der Fläminggrundschule kneten Öslem und Ariana dann den Teig, Luca schneidet Salami.

    Luca: "Da musst du auch noch was reintun, das ist meins. Ja, ist ja gut."
    Ariana: "Ich mach Pizza. Wir essen einmal Thunfisch, dann Pizza Salami. Unsere Klasse."

    Später werden die drei geistig Behinderten ihren Mitschülern stolz die Pizza servieren - und alle essen gemeinsam. So einfach ist Inklusion, sagt Schulleiterin Rita Schaffrinna.

    "Bei uns ist es so: In unserem Einzugsgebiet wohnen eben verschiedene Kinder. Und so wie diese Kinder an unsere Schule kommen, haben sie auch die Möglichkeit, beschult zu werden. Das heißt, wir schicken die Kinder nicht weg."

    Jedes achte Kind der Berliner Fläming-Grundschule hat einen besonderen Förderbedarf, die Schule ist räumlich und personell darauf eingestellt. Aufzüge machen das Gebäude barrierefrei. In Extra-Räumen geben Lehrerinnen Einzelunterricht. Auf den breiten Fluren sitzen kleine Gruppen von Schülern, erarbeiten gemeinsam ihre Aufgaben.

    "Man muss natürlich für eine ganze Schule so etwas ordentlich planen, das ist eine aufwendige Angelegenheit. Aber es lohnt sich","

    sagt Schulleiterin Schaffrinna. Sie ist der festen Überzeugung, dass dieses Schulkonzept allen nutzt - Behinderte werden nicht aussortiert, Nicht-Behinderte lernen, mit dem Unvollkommenen umzugehen.

    - ""Luca spuckt manchmal rum, das kann sehr störend sein. Aber er kann auch sehr nett sein."
    - "Man braucht Geduld auf jeden Fall, und auf jeden Fall Zeit, damit die das noch einmal angehen."
    - "Zum Beispiel wenn wir Arbeiten schreiben und die platzen einfach rein, das nervt dann manchmal, aber das ist selbstverständlich geworden, dass die mit zu unserer Klasse gehören."

    Die 6d sitzt im Stuhlkreis - Schulleiterin Rita Schaffrinna möchte von Charlotte, Paul, Maxim und den anderen wissen, was sie mitnehmen aus der gemeinsamen Schulzeit mit den behinderten Kindern - jetzt, wo sie in wenigen Monaten aufs Gymnasium oder die Oberschule wechseln.

    - "Also ich denke, dass es im späteren Leben hilft, mit Behinderten umzugehen, weil man ja schon soviel Zeit mit ihnen verbracht hat. Aber auf der anderen Seite es schwer ist, den anderen zu verklickern, dass man Behinderte nicht ärgert."

    - "Da finde ich, dass es schon ziemlich praktisch war, dass man in der Grundschule in einer Integrationsklasse war, weil es einem im späteren Leben hilft, das zu verstehen."