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Piraten entern grüne Wahlprozente

Die Piraten liegen in Schleswig-Holstein bei elf Prozent, die Grünen bei zwölf Prozent. Als echte Konkurrenz wollen die Grünen die Piraten aber noch nicht wahrhaben.

Von Dietrich Mohaupt | 12.04.2012
    Straßenwahlkampf der Grünen mit Cem Özdemir in der Fußgängerzone in Eckernförde. Der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen hat Geschenke mitgebracht, die er großzügig verteilt:

    "Sonnenblumenkerne von den Grünen"
    – "Die werden wir gleich bei uns einpflanzen."
    – "Genau, Sie müssen alle zur Wahl gehen."
    – "Ja, genau."
    – "Das ist wichtig, also..."

    Vielleicht sollte der Grünenchef auch ganz konkret dazu sagen, wen die Passanten aus seiner Sicht wählen sollten. Offenbar tendieren nämlich auch in Schleswig-Holstein immer mehr Wähler dahin, ihr Kreuzchen lieber bei den Piraten als bei den Grünen zu machen. Die neuesten Zahlen von heute, ermittelt von Infratest dimap im Auftrag des NDR, sprechen eine klare Sprache: Mit satten elf Prozent ziehen demnach die Piraten am 6. Mai in den Landtag an der Kieler Förde ein – das ist ein Plus von sechs Punkten gegenüber der März-Umfrage. Für die Grünen dagegen geht es weiter bergab – von zuletzt 15 auf jetzt zwölf Prozent. Ein Kopf an Kopf-Rennen mit den Piraten. Kein Problem, verkündet die Grünen-Landesvorsitzende Eka von Kalben tapfer:

    "Wir gehen da gelassen mit um, insofern, dass wir sagen, wir machen weiter unseren Straßenwahlkampf. Wir glauben, das Wichtigste ist, dass wir in Kontakt treten mit Bürgerinnen und Bürgern. Das ist genau das, was die Piraten jetzt nach vorne gebracht hat, dass sie gesagt haben, die Politiker sind zu weit weg vom Bürger. Und wir machen genau das, was eigentlich gefordert wird: Wir sind auf der Straße präsent und zeigen hier mit guter Laune unsere Inhalte."

    Kurze Rückblende: Ende September 2011 bei der Präsentation des Wahlprogramms der schleswig-holsteinischen Grünen – damals lagen sie in den Umfragen bei 21, die Piraten bei vier Prozent. In Berlin hatten die Polit-Neulinge gerade mit knapp neun Prozent das Abgeordnetenhaus geentert. Kein Grund zur Aufregung damals für Eka von Kalben:

    "Bisher beobachten wir diese Stärke in Schleswig-Holstein noch nicht. Und es ist wohl so, dass die Wahlanalysen zeigen, dass gerade auch das städtische Milieu sehr stark angesprochen wird von den Piraten. Aber – was positiv ist-, dass eben auch Nichtwählerinnen und Nichtwähler sich offensichtlich von den Piraten angesprochen fühlen. Wir wünschen uns natürlich, dass es uns gelingt, diese Wählerinnen und Wähler für uns zu gewinnen."

    Irgendwas muss dabei schief gegangen sein – und zwar ganz gehörig. Noch einmal kurz die entscheidenden Zahlen: Absturz der Grünen in Schleswig-Holstein seit September 2011 von 21 auf zwölf Prozent. Die Piraten klettern im gleichen Zeitraum von vier auf elf Prozent. Falsch eingeschätzt oder gar unterschätzt habe aber niemand die Piraten, betont Cem Özdemir:

    "Das glaube ich nicht, die Piraten gibt es ja jetzt schon seit sechs Jahren, also das ist ja jetzt keine Neugründung mehr. Ich guck mal so ein bisschen zurück, wir sind 79/80 gegründet worden, nach sechs Jahren hatten wir ein Programm. Die Piraten arbeiten noch am Programm. Das zeigt: Es geht nicht so sehr ums Programm der Piraten, sondern es geht auch so ein bisschen um die Art Politik zu machen und um das Versprechen, anders zu sein wie die anderen. Das ist ein bisschen auch ein Trend. Gegen Trends anzukämpfen, ist immer ein bisschen schwierig."

    Aber für die Grünen in Schleswig-Holstein wird es langsam Zeit, sich gegen diesen Trend zu stemmen, sonst klappt das nämlich nicht mit Rot-Grün am 6. Mai. Derzeit ist jedenfalls die Mehrheit erst einmal futsch: Die SPD steht weiter bei 32 Prozent gleichauf mit der CDU – da muss dann schon der SSW, die Partei der dänischen Minderheit, als Mehrheitsbeschaffer mithelfen. FDP und Linke sind derzeit zu vernachlässigen: Die schaffen es nicht in den Landtag, so die jüngste Umfrage.

    Die jüngeren Wählerinnen und Wähler, für die Piraten ist das immer noch Kernzielgruppe. Kein Wunder, dass sich vor allem die grüne Jugend herausgefordert fühlt. Für die Nachwuchsorganisation der Grünen sitzt Rasmus Andresen bereits im Landtag. Dass ihm jetzt ausgerechnet die Piraten so auf die Pelle rücken, damit hatte der 26-Jährige nicht unbedingt gerechnet:

    "Ja, man macht sich natürlich Gedanken über die Piraten. Aber ich glaube, das Wichtigste ist, dass man sich nicht von Umfragen jagen lässt und dass man seiner Linie treu bleibt, seinen Inhalten treu bleibt und dass man direkt mit der Bevölkerung kommuniziert. Und dann sehen wir, was am Ende dabei herauskommt."

    Die Piraten als Konkurrenz: Irgendwie scheint dieser Gedanke auch bei der grünen Jugend noch nicht so recht ins Bewusstsein gerückt zu sein. Immerhin – Trend oder Modeerscheinung sind die Piraten für Rasmus Andresen längst nicht mehr:

    "Für mich ist wichtig, dass man die Piraten ernst nimmt, dass man ihre Inhalte ernst nimmt. Für mich sind sie besser als die FDP, aber schlechter als die Grünen, weil sie halt bei vielen Punkten nicht sagen, wie sie sie umsetzen wollen. Und das ist für mich zentraler Bestandteil von Politik. Und wenn wir einen gelassenen Umgang mit den Piraten haben und eventuell dann auch punktuell mit denen zusammenarbeiten, dann sind wir, glaube ich, ganz gut davor."

    Und genau so sieht das auch der Landesvorsitzende der grünen Jugend, Tilmann Schade. Bloß nicht hetzen lassen von Umfragen, die Grünen – speziell der Parteinachwuchs – hat den Piraten schon einiges entgegenzusetzen, auch und vor allem beim Thema Netzpolitik:

    "Also, ich glaube schon, dass die Piratenpartei schon einen Anspruch hat und viele wichtige Themen hat und besetzt, aber wir als grüne Jugend waren schon immer sehr progressiv und haben uns zum Beispiel mit dem ganzen Thema Internet schon sehr, sehr weitreichend beschäftigt. Wir haben in den letzten Jahren unser Grundsatzprogramm erarbeitet, wo das Thema Neue Medien schon eine sehr, sehr wichtige Rolle spielte. Und dort stehen wir den Piraten, glaube ich, keinen Deut nach."

    Das muss jetzt nur noch dem Wahlvolk klargemacht werden. Und da greift dann wieder Cem Özdemir, dafür ist er schließlich nach Schleswig-Holstein gekommen. Umfragen hin – Trends her, bange machen gilt nicht.

    "Ich bin da sehr zuversichtlich, weil diese Wahl unterscheidet sich von anderen Wahlen dadurch, dass es hier halt um eine Richtungswahl geht. Das heißt, es gibt hier zwei klare Alternativen. Bei den Wahlen davor konnte man auch mit einer Wahl für die Piraten oder die FDP oder die Linkspartei mal Protest ausrücken. Das ist hier anders. Hier heißt Protest: CDU an der Regierung."

    Und genau das wollen die Grünen in Schleswig-Holstein mit aller Macht verhindern. Bisher sah es so aus, als könnte das gelingen. Doch jetzt scheinen ihnen die Piraten einen ganz dicken Strich durch die Rechnung zu machen.


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