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Piraten: Öffentlichkeit muss über Flughafendebakel informiert werden

Für Martin Delius von den Piraten ist es unfassbar, dass sich beim Flughafenskandal in Berlin alle Beteiligten aus der Landes- und Bundespolitik aus der Verantwortung stehlen konnten. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses betont, sein Gremium werde die Wirtschaftlichkeitsanalyse des Flughafens beleuchten.

Bettina Klein im Gespräch mit Martin Delius | 15.01.2013
    Bettina Klein: Flughafen Berlin-Brandenburg und kein Ende - wir hörten Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (SPD), den CDU-Fraktionschef dort im Landtag, Dieter Dombrowski und Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer von der CSU.
    Wann wusste Peter Ramsauer eigentlich bescheid über das, was sich beim geplanten Flughafen abspielt, oder besser gesagt nicht abspielt? SPD-Chef Gabriel, dessen Partei die Regierungschefs beider betroffener Bundesländer angehören, spielt nun via "Süddeutsche Zeitung" den Ball zurück an den Unionspolitiker. Ob der Bundesverkehrsminister auch dazu heute Auskunft geben wird?
    Im Berliner Abgeordnetenhaus versucht seit einiger Zeit, ein Untersuchungsausschuss die Geschichte des Debakels rund um den geplanten Flughafen Berlin-Brandenburg aufzuklären. Vorsitzender ist der Abgeordnete Martin Delius von der Piratenpartei, und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Delius.

    Martin Delius: Guten Morgen!

    Klein: Beginnen wir mit den aktuellen Meldungen. Wir haben es im Bericht gerade auch noch einmal gehört: SPD-Chef Gabriel erhebt nun schwere Vorwürfe gegen den Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und behauptet zunächst mal, er hätte viel früher über das Debakel bescheid gewusst, Wochen früher zumindest, als er zugegeben habe. Können Sie dazu irgendetwas Substanzielles beitragen?

    Delius: Substanzielles wäre nach meiner Auffassung eine Akte, in der drinsteht, wer anwesend war bei Gesprächen und was dort besprochen wurde. Das haben wir aber nicht. Es ist aber nicht plausibel, was Herr Gabriel sagt, weil wenn er Herrn Ramsauer vorwirft, dass er Mitte Dezember des letzten Jahres schon bescheid wusste über die Terminverschiebung, dann müsste er das seinen Kollegen in den Ministerien beziehungsweise Herrn Platzeck und Herrn Wowereit auch vorwerfen. Auf der einen Seite kann es sein, dass Herr Ramsauer das getan hat, was man eigentlich von Aufsichtsratsmitgliedern erwartet, nämlich sich selbstständig zu informieren, wenn man merkt, dass dort etwas schief läuft im Vorstand der Flughafengesellschaft. Auf der anderen Seite könnte es aber genauso gut sein, dass Herr Ramsauer genauso viel wusste, wie alle anderen auch, was vielleicht nicht ausreichend war, um offiziell die Verschiebung zu verkünden, aber auf jeden Fall ausreichend war, um seine Bedenken ob des Starttermins zu äußern, und dann hat auch Herr Ramsauer das getan, was ich eigentlich von einem Aufsichtsratsmitglied erwarten würde, nämlich die Öffentlichkeit zumindest über Irritationen in Kenntnis zu setzen.

    Klein: Also im Wesentlichen muss man sagen, im Augenblick ist das noch Spekulation, auch nach Ihrem Eindruck?

    Delius: Ja. In beiden Fällen handelt es sich dabei um Spekulation, weil wir nicht wissen, was passiert ist, weil auch die Verantwortlichen Platzeck und Wowereit in den Parlamenten nicht aufgeklärt haben, was eigentlich genau seit Mitte Dezember vorgefallen ist. Allerdings jetzt nur Herrn Ramsauer vorzuwerfen, er hätte davon was gewusst, halte ich für unplausibel, denn dann hätten alle anderen Gesellschafter auch ihren Teil wissen müssen, und wenn sie es nicht wussten, dann ist das eigentlich deren Verfehlung.

    Klein: Ja. Peter Ramsauer wird wohl heute vom Haushaltsausschuss gehört werden. Erwarten Sie da konkrete Angaben von seiner Person?

    Delius: Erwarten tue ich eigentlich gar keine konkreten Angaben von politisch Verantwortlichen zu Sachen dieses Projektes mehr.

    Klein: Das ist traurig!

    Delius: Ich erhoffe es mir natürlich. Das ist sehr traurig, aber das ist die Erfahrung, die ich aus über einem halben Jahr Krisenmanagement mit Klaus Wowereit gesammelt habe. Nun muss man sehen, dass andere politische Interessen dann auch vielleicht eine andere Informationspolitik bedeuten, aber ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass auch Herr Ramsauer keine konkreten Protokolle oder Ähnliches vorliegen wird im Haushaltsausschuss. Dennoch wird es interessant sein zu hören, was er denn zu sagen hat zu den Vorwürfen von Herrn Gabriel.

    Klein: Wir werden all dies natürlich abwarten müssen. Aber Ihre Aufgabe im Untersuchungsausschuss ist ja, Fakten an die Oberfläche zu bringen. Wenn Sie da so pessimistisch sind, was planen Sie als nächste Schritte denn im Augenblick?

    Delius: Im Untersuchungsausschuss werden wir uns jetzt vorarbeiten zu der Frage, wie plausibel denn die Wirtschaftlichkeitsanalyse des Flughafens war und ob und inwiefern das was mit dem Standort, dem gescheiterten Privatisierungsverfahren, dem Abspringen des Generalbeauftragten einer Firma, die den Flughafen eigentlich bauen sollte, zu tun hat. Das sind die nächsten Punkte und da arbeiten wir natürlich auf einer ganz anderen Basis, als das in den Parlamenten diskutiert wird, weil wir haben ja die Unterlagen zugänglich.

    Klein: Das heißt, Sie haben alle Unterlagen zugänglich, da gibt es von Ihrer Seite aus keine Klagen mehr zu erheben? Sie haben alles an Daten, Fakten und Informationsmaterial dann doch vorliegen, das Sie brauchen?

    Delius: Sukzessive alles, alles, was wir beantragen. Das liegt natürlich an uns. Wenn wir was vergessen, dann ist das unser Fehler. Aber wir bekommen die Unterlagen geliefert, die wir anfordern. Das muss natürlich alles durchgearbeitet werden, insofern kann ich jetzt nicht auf die Vollständigkeit der Unterlagen hinweisen. Wir bekommen allerdings derzeit nicht bei unserem Untersuchungsauftrag die Unterlagen, die im Dezember gemacht wurden, beziehungsweise die Aussagen belegt, die Herr Amann in diesem Jahr gemacht hat. Dazu reicht unser Untersuchungsauftrag noch nicht aus.

    Klein: Aber da sind Sie nicht angewiesen im Grunde genommen auf Aussagen von Politikern, wenn Sie die Unterlagen, wenn Sie die Akten haben?

    Delius: Was die Vorgänge im letzten Jahr und in den Jahren davor betrifft, nicht. Da müssen wir die Akten durcharbeiten . Und dann haben wir natürlich Zeugenbefragungen, wo wir noch mal prüfen werden, was denn eigentlich den Verantwortlichen dort im Gedächtnis geblieben ist.

    Klein: Welche Informationen sollten möglichst schnell an die Öffentlichkeit? Wo haben Sie den Eindruck, da ist die Öffentlichkeit eigentlich nicht informiert über das, was abgelaufen ist, und was können Sie auch schnell veröffentlichen?

    Delius: Die Frage, die man sich stellt, ist ja eigentlich: Was ist in den letzten acht Monaten passiert. Was genau ist passiert an der Baustelle, was soll sich verbessert haben, welche Prüfungen wurden vorgenommen und welche Probleme sind dort genau aufgetaucht. Das haben wir teilweise in kurzen Protokollnotizen in Ausschüssen und den Parlamenten, das haben wir in Interviewaussagen von Verantwortlichen oder jetzt hier Herrn Amann als technischem Leiter. Aber schriftlich als Prüfbericht, als Aufsichtsratsprotokoll, als Controllingbericht liegt uns das und vor allem der Öffentlichkeit nicht vor, und das müsste sich ändern.

    Klein: Das heißt, Sie werden das beantragen?

    Delius: Wir werden das beantragen, soweit wir das können. Ich fordere aber den politischen Verantwortlichen eher dazu auf, das Ganze der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, denn der Ausschuss ist ja auch an die Einstufung der jeweils herausgehenden Stellen gebunden, was die Vertraulichkeit angeht, und das nützt natürlich der Öffentlichkeit gar nichts, wenn die Flughafengesellschaft dem Ausschuss etwas unter "Verschlusssache" gibt, das der Ausschuss dann nicht weiterkommunizieren kann, ohne die Vertraulichkeit zu brechen.

    Klein: Herr Delius, Sie haben vor etwa einer Woche hier im Deutschlandfunk gesagt, dass Sie kein Vertrauen mehr in den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit in Berlin haben. Er wie auch sein brandenburgischer Kollege Matthias Platzeck, auch von der SPD, haben beide in den vergangenen Tagen die Vertrauensfrage gestellt, sie ist positiv beantwortet worden. Beide sind gestärkt und gestützt von den Regierungsparteien in den beiden Landesparlamenten. Das heißt, es wird niemand politisch zur Verantwortung gezogen?

    Delius: Ich weiß nicht genau, wie es in Brandenburg aussieht. Aber wenn ich mir die Lage in Berlin in dieser Koalition oder mit dieser Koalition angucke, dann kann ich nicht feststellen, dass Klaus Wowereit gestützt aus der Abstimmung hervorgegangen ist. Es geht im Prinzip um ein Zweckbündnis, ein Bündnis der Koalition, das zum Selbsterhalt dient. Das hat die Abstimmung gezeigt. Weil auf die Kritiken und auf die Probleme, die jetzt auch in der Regierung durch dieses Flughafendebakel und im Krisenmanagement aufgetaucht sind, ist gar nicht eingegangen. Und deswegen wird auch für Klaus Wowereit zum Beispiel das Thema weiter erhalten bleiben, er wird sich weiter rechtfertigen müssen, andere Projekte werden hinter dem Flughafendebakel anstehen. Da kann ich jetzt keine wirkliche Stärkung erkennen.

    Es ist auch ein Problem, dass irgendwann die Öffentlichkeit erkennen wird oder erkennen werden muss, dass alle politisch Verantwortlichen - derer sind es ja drei: Der Bundesminister und die beiden Landesregierungen - sich sukzessive aus der Verantwortung gestohlen haben, und dann bleibt ja keiner mehr übrig.

    Klein: Aber es zieht keiner Verantwortung. Wer zieht denn politische Verantwortung? Niemand im Augenblick!

    Delius: Niemand! Das ist der große Trick. Das ist das, wo wir alle staunend davor sitzen, wie man es schaffen kann, dass drei auch aus verschiedenen politischen Richtungen politisch Verantwortliche der Exekutive aus Länder- und Bundesparlamenten oder Regierungen sich sukzessive aus der Verantwortung stehen können, ohne dass man etwas dagegen tun kann.

    Klein: Eine interessante Spekulation, Herr Delius, ist ja auch eine Spekulation, für die natürlich niemand eine Bestätigung bekommt. Aber die Grünen, so heißt es, würden in Berlin nicht so vehement Wowereits Rücktritt fordern, wenn sie selbst an der Regierung wären. Umgekehrt kann sich niemand eine CDU vorstellen, die Wowereit aus der Opposition heraus verteidigen würde. Wie sehen Sie das?

    Delius: Ja, das klingt plausibel, aber das müsste man prüfen, wenn es denn diese Situation gäbe. Die Möglichkeit haben wir dazu ja nicht. Das Problem ist auch, dass die Frage nach den Konsequenzen aus dem Debakel jetzt immer mit parteistrategischen Überlegungen verbunden ist. Das ist mir zumindest fremd. Ich habe ja auch vorher, vor der Abstimmung darauf hingewiesen, dass gerade die CDU sich überlegen muss, welche Schnittmengen sie denn wirklich mit der SPD hat, wie wichtig ihnen oder wie stabil ihnen inhaltlich wirklich diese Koalition erscheint, anstatt zu überlegen, was denn passieren würde, wenn es Neuwahlen gäbe und wie sie dann am besten dabei herauskommt. Das sind parteistrategische Überlegungen, die meiner Meinung nach bei der Frage nach Verantwortung nichts zu suchen haben. Leider kann ich da auch nicht in die Köpfe der CDU-Abgeordneten oder der SPD-Abgeordneten reingucken und deren Beweggründe genau nachvollziehen.

    Klein: Sie haben auch gesagt, Herr Delius, dass Sie den Eindruck haben, dass die Berliner, um noch mal bei Ihrem Land zu bleiben, nicht mehr hinter ihrem Regierenden Bürgermeister stehen, auch das Vertrauen verloren hätten. Nun haben wir eine Umfrage, das ist offenbar bisher die Einzige veröffentlichte von Forsa am vergangenen Freitag, erhoben im Auftrag der Zeitung "BZ", und die zeigt, dass nur gut ein Drittel der Berliner für einen Rücktritt Wowereits wären. Die Mehrheit findet, der Rücktritt vom Aufsichtsrat reicht aus. Das heißt, die Berlinerinnen und Berliner stehen mehrheitlich weiter zu ihrem Regierenden Bürgermeister, also so groß ist der Verdruss offenbar nicht.

    Delius: Ja gut, bei der Umfrage von Forsa im Auftrag der "BZ" wurden 502 Berliner mit Festnetzanschluss befragt. Wenn da die Mehrheit für einen Verbleib von Klaus Wowereit im Regierungsamt ist, sind das über 250 oder 257 Menschen. Das im Vergleich zu 3,5 Millionen oder 1,7 Millionen Wahlberechtigten in Berlin halte ich jetzt nicht für besonders glaubwürdig. Man wird sehen, was zum Beispiel die Umfragen, was aber auch die Beliebtheitswerte jetzt im Verlauf von Klaus Wowereit ergeben. Ich warte ganz gespannt auf die nächste Sonntagsfrage, das wird sicherlich noch mal ganz anders aussehen, und am Ende zählt sowieso nur das Wahlergebnis und das, worauf sich die politisch verantwortlichen Mandatsträger einigen. Ich glaube nicht, dass die Regierung Klaus Wowereit jetzt in der Bevölkerung von dem Debakel BER freigesprochen wird, oder dass es Klaus Wowereit jetzt einfacher haben wird als im letzten Jahr, damit umzugehen, und auch der Senat.

    Klein: ... , sagt Martin Delius. Er gehört der Piratenpartei an und ist Vorsitzender des Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Delius.

    Delius: Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.