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Piratenpartei im Saarland
Ratlos vor der Programmfrage

Die Saarländer Piraten schwanken zwischen Zuversicht und Realitätsferne: Sie glauben an einen Wiedereinzug in den Landtag 2017. Und auch bei anderen Landtagswahlen sehen sie für ihre Parteikollegen gute Chancen. Dabei ist man sich innerparteilich nicht einmal über die programmatische Ausrichtung einig.

Von Tonia Koch | 08.01.2015
    Die saarländischen Piraten suchten auf ihrem Landesparteitag Ende des vergangenen Jahres nach Mut und Geschlossenheit, denn sie wollen es wieder wissen.
    "Und ja verdammt, ich wünsche mir, dass wir 2017 wieder in diesen Landtag einziehen."
    Gerd Weber ist zum Vorsitzenden gewählt worden. Er ist mit Leib und Seele Kommunalpolitiker. Er sitzt im Kreistag, redet über Schulen, den öffentlichen Personenverkehr und über Bauanträge. Im Restaurant bestellt Zopfträger Weber Rindfleischsalat mit Bratkartoffeln, so wie ein ganz gewöhnlicher Politnormalo.
    "Das ist ein Prozess der Erdung halt und das heißt, dass wir uns jetzt auf der kommunalen Ebene natürlich mit den Themen, die real und greifbar sind, das sind ja nicht irgendwelche gesamtpolitischen Diskussionen, sondern das sind Themen, die die Leute vor Ort halt betreffen, selbst mit einbringen können, selbst mit gestalten können."
    Die Wahl Webers zeige, dass die Saar-Piraten - anders als andere Landesverbände - ihre Mandatsträger nicht länger nur misstrauisch beäugten, glaubt der Fraktionsvorsitzende im saarländischen Landtag, Michael Hilberer:
    "Wir haben in unserer kurzen Geschichte schon turbulente Zeiten gehabt, wo der Mandatsträger nicht unbedingt der Beliebteste war, weil, am Anfang sich die Piratenpartei als Opposition gegen das bestehende politische System verstanden hat. Aber diese Zeiten sind vorbei."
    Wer sich nicht habe überzeugen lassen, der sei eben nicht mehr dabei, sagt Hilberer. Recht hat er; es lässt sich an den spärlichen Besucherzahlen des Landesparteitages ablesen. Doch die, die gekommen sind, verbreiten Zuversicht. Andreas Augustin zum Beispiel:
    "Wenn ich mir anschaue, wer heute hier ist, das sind genau die, die am Anfang dabei waren und schon einmal die Karre aus dem Dreck gezogen haben. Damit habe ich nicht gerechnet und nun bin ich schon deutlich positiver gestimmt, allein schon, weil ich die Leute hier sehe."
    Ähnlich wie die Grünen vor 30 Jahren?
    Die Saar-Piraten stellen vier Abgeordnete im Landtag, leiten und beleben die Ausschüsse und bringen sich ein in die politischen Diskussionen über Bildung, Verkehr oder Umwelt. Aber sie wissen auch, dass sie ihre Strukturen weiter professionalisieren müssen, wenn sie im Politgeschäft mithalten wollen. Ob das gelingen wird, steht in den Sternen. Denn immer mehr prominente Piraten, wie Christopher Lauer in Berlin, kehren der Partei den Rücken. Für die Austritte sind offenbar nicht allein mangelnde Strukturen verantwortlich, sondern auch fehlende gesellschaftspolitische Visionen. Denn auf dem Bundesparteitag vergangen Sommer in Halle, hat sich bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden der Bayer Stefan Körner durchgesetzt. Er vertritt die Ansicht, die Piraten sollten sich auf ein Thema, die digitale Revolution konzentrieren. Ähnlich wie es vor 30 Jahren die Grünen gemacht hätten.
    "Damals war das Thema Umweltpolitik für viele sehr, sehr abstrakt und nicht relevant und vor allem für die Politik nicht wirklich vorstellbar. Und heute haben wir ein Umweltministerium und es ist völlig sonnenklar, dass alle politischen Entscheidungen daraufhin geprüft werden, welche Auswirkungen sie auf die Umwelt und die nachfolgenden Generationen haben. Und ich denke, eine ähnliche Situation haben wir jetzt wieder, nur dass es dieses Mal nicht die Umwelt ist, sondern die digitale Welt, vor der die etablierten Parteien ziemlich ratlos stehen."
    Die Grünen scharten sich hinter der Botschaft: Atomkraft? Nein, danke! Wofür die Piraten stehen, weiß jedoch niemand so genau, wohl nicht einmal sie selbst. Für mehr Transparenz, ja, aber auch für mehr Ordnung und Sicherheit im Netz? Es fehle an Gemeinsamkeit und damit an politischer Schlagkraft, argumentiert Saar-Pirat Michael Hilberer.
    "Selbst wenn man uns da die große Kernkompetenz zutrauen würde, dafür wird man bei einer Bundestagswahl nicht gewählt."
    Hilberer, der eher im linken Spektrum zu verorten ist, verlangt eine Rückbesinnung.
    "Wir wünschen uns einen Bundesvorstand, der unser breites Programm, das wir auf Bundesebene erarbeitet haben, nach außen präsentiert und die Piraten als Zukunftspartei positioniert, zeigt: Wir haben eine andere Vorstellung, wie Politik in diesem Land funktionieren muss, wir wollen die meistern, wir haben neue Ideen und damit an die Öffentlichkeit geht, das passiert aber im Moment nicht. Deshalb hoffen wir, als Landesverband, dass wir in Zukunft eine andere Bundesspitze haben werden, die das kann."
    Durchhalteparolen vom Parteivorsitzenden
    Zu den Ideen zählt zum Beispiel das bedingungslose Grundeinkommen. Der Bundesvorstand mit Stefan Körner an der Spitze ist für die Dauer eines Jahres gewählt und verteidigt die Einengung auf die Netzpolitik. Stefan Körner:
    "Ich glaube, wenn man sich anschaut, wie das Parteienspektrum in Deutschland ausschaut, dann macht es wenig Sinn, eine Linkspartei mit Internetanschluss oder eine Grüne 2.0 zu produzieren. Es gibt schon eine Reihe von Parteien im normalen Spektrum und ich denke, dass die Zukunft völlig neue Herausforderungen an die Politik stellt und die müssen von einer neuen Partei erfüllt werden."
    Dass die Piraten für eine programmatische Ausrichtung der Partei nicht mehr allzu viel Zeit haben, scheint den Vorsitzenden nicht zu beunruhigen.
    "Dass die Umfrageergebnisse in den letzten Monaten dramatisch schlechter sind, als das, was man sich als Parteivorsitzender wünscht, ist ein Schönheitsfehler am Rande vielleicht."
    Bei den Landtagswahlen dieses Jahr in Hamburg und Bremen stünden die Chancen der Piraten nicht schlecht, ist Körner überzeugt. Angesichts der Wahlprognosen eine wagemutige Sicht der Dinge. Durchhalteparolen gehören zwar zum Markenzeichen eines jeden Parteivorsitzenden, Realitätsferne allerdings nicht.