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Pirateriebekämpfung ist Symptombekämpfung

Um die Piraten am Horn von Afrika zu bekämpfen, komme für Deutschland keine "echte Bodenoperation" infrage, sagt Joachim Spatz. Es müsse eine politische Stabilisierung Somalias erreicht werden. Das sei aber mit einem Militäreinsatz nicht erreichbar, sagt der FDP-Politiker.

Joachim Spatz im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.12.2011
    Sandra Schulz: Und am Telefon begrüße ich jetzt Joachim Spatz, den stellvertretenden verteidigungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Tag!

    Joachim Spatz: Guten Tag, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Spatz, wie verstehen wir das: Zerstörung von Piraterie-Logistik am Strand, was kommt da auf die Bundeswehr zu?

    Spatz: Also wir müssen erst mal sehen, was wir vorgelegt bekommen. Das politische Komitee der Europäischen Union hat ja die Operationsführung beauftragt, den Operationsplan und die Einsatzregeln entsprechend zu überarbeiten und dann vorzulegen. Wenn diese dann vorliegen, werden wir natürlich auch als Deutscher Bundestag darauf schauen müssen, ob wir das Mandat gegebenenfalls ausweiten müssen.

    Schulz: Also darüber wissen Sie bis jetzt noch gar nichts?

    Spatz: Wir brauchen natürlich erst offiziell die entsprechende Vorlage, und dann kann man darüber sprechen. Im Prinzip ist es natürlich in der politischen Diskussion auch im Spätherbst schon bekannt gewesen, aber man muss natürlich gerade bei Themen wie Einsatzregeln schon dann genau wissen, was alles erlaubt sein soll, und was eben nicht erlaubt sein soll. Denn es geht ja nicht um einen generellen Bodeneinsatz, sondern um ganz speziell auf die Seeräuberei-Logistik ausgerichteten Maßnahmen, und das muss eben genau bewertet werden.

    Schulz: Ist das denn ein übliches Vorgehen, das Ihnen zum Beispiel jetzt über die Zeitung zu kommunizieren?

    Spatz: Ja, gut, wie gesagt, das Thema ist ja auch schon bei der Debatte im Bundestag generell wie gesagt thematisiert worden, dass man Piraten natürlich sinnvollerweise auch an Land bekämpft und nicht nur auf See. Aber wenn es dann zum Thema Einsatzregeln geht, muss man dann schon aufs "Kleingedruckte" achten, und das muss man erst vorliegen haben, bevor man endgültig sagen kann, wir machen das so oder vielleicht mit geringen Änderungen.

    Schulz: Was das für das Mandat heißt, können Sie jetzt im Moment noch gar nicht sagen?

    Spatz:So ist es, das kann man erst nach genauer Prüfung wissen, was wirklich vorgelegt wird an neuen Operationsplänen und dann eben vorlegen, und es ist auch wichtig, drauf zu achten, weil wir haben ja auch in jüngster Vergangenheit erlebt, dass zum Beispiel die Freunde aus Großbritannien und Frankreich manches vielleicht ein bisschen robuster sehen als wir in der Bundesrepublik Deutschland, deswegen kommt es - unabhängig mal von der Prinzipiendiskussion - dann schon drauf an, was ganz konkret an Operationsplan vorgelegt wird, und was die Deutschen gewissermaßen dann auch als Truppensteller dazu beitragen sollen.

    Schulz: Ja. Wie stehen Sie denn dazu? Soll die Mission ausgeweitet werden auf Einsätze auch an Land?

    Spatz: Ich denke, wenn die klare Begrenzung auf das, was eben Piraterie-Logistik ist, auch in einem Text gefasst werden kann, könnte ich mich dem Thema natürlich entsprechend positiv nähern, das ist keine Frage. Aber wie gesagt, das alles - und da sollten wir vielleicht auch noch drüber sprechen - geht natürlich immer nur an den Symptomen entlang. Langfristig hilft natürlich nur die politische Stabilisierung von Somalia.

    Schulz: Ja, aber wenn wir dabei bleiben: Sie sagen, die Grenzen müssten klar formuliert sein - wie könnte dann so eine Formulierung aussehen? Dazu müssen Sie ja auch eine Position haben.

    Spatz: Ja, gut, also ich formuliere jetzt nicht hier die Einsatzregeln, aber es muss in dem Text klar sein, dass es hier nicht um Einstieg in eine ausgeweitete Militäraktion in Somalia gehen kann. Das ist nicht Job von Atalanta, dazu sind andere Truppen der Afrikanischen Union unterwegs im Auftrage der Übergangsregierung. Das wollen wir eben nicht, sondern eine ganz klare Begrenzung eben auf die Logistik vor Ort, zum Beispiel Schiffsanlegestellen oder ähnliche Dinge, und das muss eben entsprechend deutlich werden.

    Schulz: Aber ...

    Spatz: Das müssen die militärischen Spezialisten formulieren.

    Schulz: Ja, aber Logistik am Strand, das ist ja ein Einsatz an Land, sozusagen auf festem Boden - ist das nicht ein Dammbruch?

    Spatz: Ja, um das eben beurteilen zu können, brauchen wir die klare Vorlage, und genau weil wir diesen Dammbruch eben letztendlich nicht wollen. Und wie gesagt, alles ist auch nur sinnvoll eingebettet in eine politische Strategie zur Stabilisierung von Somalia.

    Schulz: Jetzt sitzen die Hintermänner nicht am Strand - das ist eben im Beitrag vorgekommen, das haben Sie auch schon angesprochen. England und Frankreich haben da durchaus andere Vorstellungen. Wie wollen Sie denn die Verbündeten davon überzeugen, dass die Zurückhaltung geboten sei?

    Spatz: Gut, also das wird natürlich der Job der Planer sein und auch unseres Vertreters im politischen und im sicherheitspolitischen Komitee der EU, unsere Vorstellungen da deutlich zu machen. Und wenn die konkrete Atalanta-Aktion vorliegt, werden wir im Deutschen Bundestag dann zu beurteilen haben, inwieweit wir unser Mandat anpassen oder vielleicht unsere Soldaten auch nur an gewissen Operationen teilnehmen dürfen, an anderen entsprechend nicht. Solche Differenzierungen gibt es zum Beispiel auch im Afghanistan-Einsatz - da ist US-Truppen zum Teil auch mehr erlaubt als der Deutschen Bundeswehr -, und diese Differenzierung muss man notfalls auch für sich einfordern.

    Schulz: Jetzt ist die Mission, das haben wir auch eben gehört, ja schrittweise ausgeweitet worden. Was spricht denn dafür, dass in dem Fall die Grenzziehung jetzt gelingen könnte?

    Spatz: Ja gut, es ist ja ausgeweitet worden, weil man gesagt hat: Okay, Piraterie-Bekämpfung muss an der einen oder anderen Stelle noch nachgebessert werden und ähnliche Dinge. Und es ist immer so geschehen, dass man politisch drüber gesprochen hat und dann eben akzeptiert hat, dass man bei der Ausweitung mitgehen kann. Es wurden also keinesfalls Einsatzregeln gebrochen oder missachtet oder sonst irgendwas, und dabei soll es auch in Zukunft bleiben. Und für uns ist ganz klar, eine - ich sage mal - echte Bodenoperation mit entsprechenden Auswirkungen dann, das wird für uns nicht zu machen sein, denn wir sehen auch in anderen Ländern, dass eine politische Stabilisierung mit dem Militäreinsatz nicht erreicht werden kann.

    Schulz: Nicht erreicht werden kann, aber kann die denn erreicht werden über den Einsatz, so wie er jetzt im Moment konfektioniert ist, eben über die Zugriffsrechte auf See?

    Spatz: Gut, also wir wollen natürlich die Piraterie bekämpfen, aber ich sagte vorhin, es ist natürlich eine Symptombekämpfung. Die Ursachen liegen an Land und haben damit zu tun, dass Somalia eben ein gescheiterter Staat ist, und deshalb müssen alle Anstrengungen unternommen werden, das eben wieder zu beheben, und da sind wir ja durchaus auch unterwegs. Wir unterstützen Somaliland, das ist der nördliche Teil von Somalia, der quasi grassrout-mäßig von unten her gute Strukturen aufgebaut hat. Zum Teil ist das auch in Puntland der Fall, das ist eben die Spitze vom Horn von Afrika. Aber im Bereich des Südens, auch rund um die Hauptstadt, um Mogadischu, ist es ein schwieriges Unterfangen, dem sich die Afrikanische Union stellt, auch mit Unterstützung, also Ausbildungsunterstützung in diesem Falle, aber es wird noch ein langer Weg sein. Aber das machen wir eben auch. Das heißt, es gibt nicht nur die Militärmission, die das Symptom Piraterie bekämpft, sondern auch die Bemühungen zur Stabilisierung von Somalia.

    Schulz: Joachim Spatz, für die FDP im Bundestags-Verteidigungsausschuss, und uns heute Mittag per Mobiltelefon zugeschaltet. Vielen Dank!

    Spatz: Ja, gerne, Frau Schulz!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.