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Mecklenburg-Vorpommern
Gefängnisstrafe wegen Misshandlung im Pflegeheim

Weil mehrere Bewohner von Pflegeheimen verwahrlost und in ihren Zimmern eingesperrt worden waren, ist die ehemalige Heimbetreiberin jetzt zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Im Prozess hatte sie selbst sich nicht zu den Vorwürfen geäußert. Nun will sie in Berufung gehen.

Von Katharina Elsner | 29.08.2019
Eine Bewohnerin sitzt am 05.06.2014 in Neu-Isenburg (Hessen) im Altenpflegeheim "Am Erlenbruch" im Rollstuhl in ihrem Zimmer.
Ein Pflegeskandal im Kreis Rostock endete mit einer Gefängnisstrafe (picture-alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
Als der Richter am Amtsgericht in Güstrow das Urteil verkündet, empfängt die Angeklagte es regungslos. Zwei Jahre und vier Monate lang muss Ani S. ins Gefängnis. Fünf Jahre lang darf sie nicht mehr im Pflegebereich arbeiten. Das Gericht sieht sie als ehemalige Betreiberin von drei Pflegeheimen dafür verantwortlich, dass Bewohner nachts eingeschlossen wurden, manche auch tagsüber mehrere Stunden lang.
"Das Urteil ist strafangemessen, das Urteil hat deutlich gemacht, dass die meisten Vorwürfe sich auch bestätigt haben, das sieht man an elf Verhandlungstagen und der Vernehmung von 41 Zeugen, das ist eine große Menge für ein Amtsgericht. Die Tatvorwürfe stimmen im Wesentlichen, besonders schwer wiegt, dass die Opfer so hilflos waren, es sind ja alte Menschen und die brauchen einen besonderen Schutz." Das erklärt Andreas Millat, er ist Gerichtssprecher am Amtsgericht Güstrow.
Erste Beschwerden bereits 2013
Die Pflegeheimbetreiberin Ani S. gründet im Jahr 2012 ihren ersten Pflegedienst "Elisa" in Krakow am See. Die gelernte Kauffrau mit Studium im Bereich Finanzmanagement ist damals 25 Jahre alt. Später ist sie für bis zu 80 Patienten verantwortlich, in drei Häusern. Doch bereits 2013 gehen die ersten Hinweise und Beschwerden bei den zuständigen Behörden des Landkreises Rostock ein. Auch Hannelore Henke wohnt in einem der Heime der Angeklagten. Sie tritt während des Prozesses als Nebenklägerin auf, selbst kann sie nicht aussagen, sie war und ist dement. Dafür ist Petra Henke im Gericht an der Seite ihrer Mutter. Auch drei Jahre später, nachdem die Heime 2016 geschlossen wurden, fällt es Petra Henke schwer, über die Vorfälle zu sprechen:
"Weil meine Mutter schlecht, sehr schlecht gepflegt wurde. In einem sehr schlechten Zustand war, hätten wir sie nicht rausgeholt, ich glaube, sie hätte das nicht überlebt." Petra Henke wendet sich mit Tränen in den Augen ab. "Zu sehen, wie abgemagert sie aussieht, das kennt man nur vom Fernsehen, aber nicht von meiner Mutter."
Bilder wie von einer Hungerkatastrophe
Als Staatsanwaltschaft und Behörden die Heime im April 2016 durchsuchen, öffnen sie alle Räume. Ganz oben ist noch eine Tür, eigentlich vermutet die Staatsanwältin dahinter einen Putzraum. Eine Krankenschwester muss eine Stiege aufsteigen, ins Dachgeschoss. Oben ist es dampfig, schwül und in dem Raum steht ein Gitterbett, darin liegt Hannelore Henke: Ihre Füße sind dreckig, unter den Fingernägeln hat sich Schmutz angesammelt, der Bauch ist eingefallen, die Zunge borkig. Es riecht nach Urin. Auf dem Nachttisch neben dem Bett steht ein Schnabeltasse mit einem letzten Schluck Wasser, Henke kann es sehen, aber selbst nicht erreichen. So jedenfalls beschreiben es die Krankenschwester und die Staatsanwältin, die Henke finden. Sie wird dehydriert ins Krankenhaus eingeliefert.
Insgesamt wird Ani S. in neun Fällen wegen Freiheitsberaubung und Misshandlung Schutzbefohlener verurteilt. In der Urteilsbegründung sagte der Richter, es habe zwar auch zufriedene Bewohner in den Heimen von Ani S. gegeben. Die Fotos von Hannelore Henke, die die Polizei bei den Durchsuchungen gemacht hat, hätten ihn an Fotos von ehemaligen KZ-Häftlingen erinnert.
Heute geht es Hannelore Henke besser, erzählt ihre Tochter: "Viele haben schon den krassen Unterschied gesehen wie sie aussah, als sie zu mir kam und wie sie jetzt aussieht, und sind erstaunt, wie sie sich erholt hat. Nicht mehr so krumm geht, sondern gerade. Sie isst regelmäßig, manchmal mit Verzögerung, aber das Wichtige ist: Sie isst und trinkt."
Verurteilte will das Urteil anfechten
Ani S. will gegen das Urteil in Berufung gehen. Im Gerichtsprozess hat sie sich zu den Tatvorwürfen selbst nicht geäußert. In einem Interview vor Prozessbeginn hatte Ani S. einmal gesagt, dass sie nur als Vermieterin der Bewohner auftrete, die Pflegeleistungen dazukaufen könnten. Die Behörden wollten sie als Unternehmerin vom Markt drängen. Das Gericht ließ diese Argumentation nicht gelten. Ani S. habe gewusst, dass sie alte, kranke und vor allem pflegebedürftige Menschen aufnehme. Für die habe sie eine Fürsorgepflicht, und die habe sie verletzt. Ihr Verteidiger, der Rechtsanwalt Ulf Blase erklärt:
"Vom Ergebnis ist es ein sehr hartes Urteil, weil das Gericht hat eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten ausgesprochen, diese Freiheitsstrafe kann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden und das ist etwas, womit meine Mandantin nicht gerechnet hat."