Filip Springer: "Kupferberg: Der verschwundene Ort"

Das Seelenleben einer vergessenen Stadt

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Das Buchcover zeigt ein Pferd auf einer Weide, dahinter ein aquarellierter Hintergrund.
Von einer verschwundenen Stadt handelt die Spurensuche von Filip Springer. © wbg Verlag / Deutschlandradio
Von Patrick Wellinski  · 24.09.2019
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In "Kupferberg" erforscht der polnische Reporter Filip Springer das Schicksal einer ehemaligen niederschlesischen Bergstadt. Daraus entsteht nicht nur eine vereinnahmende Biografie eines Ortes, sondern ein Mosaik europäischer Geschichte.
"Zum ersten Mal sackt der Erdboden unter Preus‘ Schmiede und Reimanns Kaufladen ab." Das ist der Anfang vom Ende des kleinen niederschlesischen Städtchens Kupferberg. Plötzlich kracht es: Erdverschiebungen, Verschleißerscheinungen der jahrelangen Bergbaukultur. Es ist nicht das erste Mal, dass in seiner siebenhundertjährigen Geschichte Kupferberg (oder Miedzinaka, wie es auf Polnisch heißt) von zerstörerischen Kräften heimgesucht wird. Der Dreißigjährige Krieg, die Tücken der Industrialisierung im 19. Jahrhundert oder die Folgen der beiden Weltkriege – Kupferberg und seine Bewohner erwiesen sich als zäh. Bis der Erdboden unter Preus‘ Schmiede absackte.
Als der polnische Reporter und Fotograf Filip Springer vor ein paar Jahren in Niederschlesien unterwegs war, sah er Fotos vom schönen Marktplatz in Kupferberg. Auf die Frage, wo dieser Ort denn sei, hörte er immer wieder: Kupferberg gibt es nicht mehr. In zweijähriger Recherche rekonstruierte er die Geschichte der Stadt und seiner Bewohner. Er erzählt die Geschichte des polnischen Priesters, der den letzten Deutschen bestattete oder vom Erfolgsgeheimnis der örtlichen Brauerei, die mit dem "Kupferberger Gold" ein Bier von "tadelloser Sauberkeit" schuf.

Fotografien, Landkarten, Chroniken

Gekonnt spielt der Autor dabei auf der Klaviatur der literarischen Reportage. Man spürt in jedem Kapitel die Einflüsse seiner Mentoren, wie etwa der Schriftstellerin Hanna Krall oder der Journalistin Malgorzata Szejnert. Collagenhaft arbeitet er mit kurzen Absätzen und klaren Hauptsätzen. Die anfänglich noch chronologisch gewissenhafte Rekonstruktion der Ortsgeschichte offenbart mit der Zeit ihr größeres literarisches Unterfangen.
Springer montiert kunstvoll aus einer Anekdotensammlung unterschiedliche Einblicke in das Seelenleben des Ortes. Damit wird sein Buch ganz beiläufig zu einem Brennglas, unter dem die massiven Umbrüche europäischer Geschichte deutlich zu Tage treten: wechselnde Besatzungen, Konfessionen, gerissene Lebenslinien. Dazu nutzt er alle möglichen Materialien wie Fotografien, alte Landkarten, Chroniken und Aufzeichnungen.

Kupferberg erlebt durch das Buch eine Renaissance

Wirklich spannend wird Springers Recherchearbeit, wenn es um die Ursachen des Verschwindens in den 1970er-Jahren geht. Eine Theorie: Der Berg, auf dem Kupferberg einst stand, war vor allem durch den aggressiven Uranabbau durch die Rote Armee nach dem Zweiten Weltkrieg so weit ausgehöhlt, dass der Ort einsank. Allerdings ist der Abbau bis heute ein offenes Geheimnis, andere Verschwörungstheorien machen die Runde.
Das Verschwinden von Kupferberg wird so teilweise mysteriös und mystisch überhöht. Etwas, das durch die schnörkellose Art von Lisa Palmes Übersetzung wunderbar ins Deutsche geholt wird. In Polen, wo das Buch vor sechs Jahren erschien, erlebt der beschriebene Ort eine unvorstellbare Renaissance. Jeden Sommer findet das Miedzianka-Festival mit Lesungen und Musik, Erinnerungen und Kultur an dem Ort statt, den es eigentlich nicht mehr gibt. Und den Filip Springer mit seinem Buch vor dem Vergessen bewahrt hat.

Filip Springer: "Kupferberg - Der verschwundene Ort"
Übersetzt von Lisa Palmes
Zsolnay Verlag, Wien 2019
352 Seiten, 25 Euro

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