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Pkw-Maut
"Gerechtigkeitslücke ist nicht offensichtlich"

Der Europarechtler Volker Boehme-Neßler steht den Maut-Plänen von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) skeptisch gegenüber. Eine Rückzahlmöglichkeit einer möglichen Maut für deutsche Autofahrer über die Kfz-Steuer sei nicht europarechtskonform, sagte er im DLF.

Volker Boehme-Neßler im Gespräch mit Birgid Becker | 07.07.2014
    Autos fahren über die Autobahn A2 nördlich von Hannover
    "Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die sagen, Ausländer zahlen überproportional für die Benutzung der Autobahnen", so Boehme-Neßler. (Julian Stratenschulte, dpa picture-alliance)
    Birgid Becker: Mitgehört hat der Berliner Europarechtler Volker Boehme-Neßler. Guten Tag.
    Volker Boehme-Neßler: Guten Tag, Frau Becker.
    Becker: Keine Zusatzbelastung für deutsche Autofahrer und dennoch konform mit Europarecht - das war die nicht ganz unkomplizierte Aufgabenstellung für den Bundesverkehrsminister. Hat er das jetzt hingekriegt mit seiner Infrastrukturabgabe?
    Boehme-Neßler: Da bin ich mir nicht sicher. Da bin ich noch ein bisschen skeptisch. Was nicht geht ist - und so klang das eben auch -, dass die deutschen Autofahrer die Infrastrukturabgabe oder die PKW-Maut auch zahlen und das dann einfach über eine Ermäßigung der Kfz-Steuer zurückbekommen. Das ist rechtlich gesprochen, europarechtlich gesprochen eine sogenannte indirekte mittelbare Diskriminierung. Die ist europarechtlich genauso verboten wie die direkte Diskriminierung.
    "Es muss eine echte Umgestaltung sein"
    Becker: Aber Kfz-Steuer ist frei gestaltbar, sagte der Bundesverkehrsminister. Man muss also erst mal sich erschließen, dass das eine mittelbare Diskriminierung ist, oder?
    Boehme-Neßler: Das ist richtig. Es ist auch so - und da ist auch der Weg, sozusagen die Quadratur des Kreises zu schaffen -, es ist tatsächlich so: Die Europäische Union lässt natürlich den Nationalstaaten die Steuerhoheit. Die Nationalstaaten können also ihre Kfz-Steuer selbstständig gestalten, auch Deutschland. Der entscheidende Punkt ist aber: Die Gestaltung darf nicht einfach nur trickreich darauf zielen, die Inländer von der Kfz-Steuer zu entlasten, sondern es muss eine wirklich echte Umgestaltung sein, die sozusagen nebenbei auch noch dazu führt, dass deutsche Autofahrer entlastet werden. Dann wäre es keine indirekte Diskriminierung mehr, sondern einfach eine neu gestaltete Kfz-Steuer. Dafür kommt es aber darauf an, wie stark die Neugestaltung ist.
    Becker: Das heißt, wäre jetzt der Bundesverkehrsminister noch gründlicher gewesen in seinen Plänen, dann wäre das Ganze rechtsfester gewesen?
    Boehme-Neßler: Das kann sein. Ich glaube aber, wir haben heute sowieso nur eine Skizze gehört. Das sind ganz grobe Eckpunkte gewesen. Das ist noch nicht der Gesetzesentwurf und schon gar nicht das Gesetz. Und er sagt ja auch selber, er wird noch mit der Europäischen Kommission weiterarbeiten. Es gibt eine gemeinsame Kommission mit der Europäischen Kommission oder eine Arbeitsgruppe. Er wird auch mit dem Finanzminister reden und zusammenarbeiten. Wir sind am Anfang eines Prozesses. Es kann sein, wenn dieser Prozess in die Richtung geht, dass die Kfz-Steuer in Deutschland richtig grundlegend umgestaltet wird. Dann kann es sein, dass wir eine europarechtskonforme Pkw-Maut bekommen. Aber nur dann!
    "Gerechtigkeitslücke ist nicht offensichtlich"
    Becker: Wenn wir jetzt noch mal einen Schritt zurückgehen: Nun gehört das ja zu den speziell bayerischen Wahrnehmungen, dass die Bayern beim nahegelegenen Österreich oder Italien Urlaubsmaut zahlen müssen und die deutschen Autobahnen für Ausländer aber kostenlos sind. Kann man dafür - das war ja ganz am Anfang der Geschichte - kein Verständnis aufbringen?
    Boehme-Neßler: Auf den ersten Blick schon. Das ist ja das, was Dobrindt meint mit der Gerechtigkeitslücke, die geschlossen werden muss. Aber die spannende Frage ist - darum streiten tatsächlich auch die Verkehrswissenschaftler -, ob es diese Gerechtigkeitslücke überhaupt gibt. Es gibt eine ganze Reihe von Studien, die sagen, Ausländer zahlen überproportional für die Benutzung der Autobahnen, indem sie zum Beispiel Kraftstoffsteuer, Benzinsteuer und so weiter zahlen beim Tanken. Es ist nicht ganz so einfach. Die Gerechtigkeitslücke ist nicht ganz so offensichtlich, wie Dobrindt das darstellt.
    Becker: Aber grundsätzlich ist gegen eine Maut, auch eine für alle Straßen, so wie sie der Bundesverkehrsminister jetzt vorsieht, ansonsten rechtlich nichts zu sagen, wenn man jetzt nicht diesen Trick mit der Kfz-Steuer einführen würde?
    Boehme-Neßler: Ganz eindeutig: Das Einzige, was europarechtlich problematisch ist, ist die Ungleichbehandlung von Ausländern, EU-Ausländern und EU-Inländern. Welche Straßen betroffen sind, wie die Maut im Einzelnen ausgestaltet wird, das ist dem Europarecht egal. Entscheidend ist, dass nicht nach der Nationalität diskriminiert wird.
    Becker: Ganz konkret hat ja der EU-Verkehrskommissar Siim Kallas schon gesagt, dass er es nicht akzeptieren könne, wenn ein inländischer Autofahrer die Maut über die Steuer automatisch zurückerstattet bekäme.
    Boehme-Neßler: Genau.
    Becker: Das war ganz konkret, was er angekündigt hat. Die Reaktionen heute aus Brüssel, die scheinen aber recht verhalten zu sein. Liegt das daran, dass wir im Moment tatsächlich nur Eckpunkte haben?
    Boehme-Neßler: Ich denke, das liegt daran. Die Reaktionen aus Brüssel sagen auch eindeutig, grünes Licht oder rotes Licht gibt es erst dann, wenn Details bekannt werden. Das ist eine freundliche Reaktion. Die sagen, okay, arbeite mal in diese Richtung weiter, dann werden wir weiter sehen. Weil der Punkt auch der ist: Wenn die Umgestaltung des Steuersystems tief greifend genug ist, dann wäre es ja auch europarechtlich zulässig, und das wartet Brüssel eben ab: Ist es sozusagen ein Etikettenschwindel, geht es nur darum, den deutschen Autofahrern über die Kfz-Steuerermäßigung etwas zurückzuzahlen, oder geht es tatsächlich darum, das Kfz-Steuersystem umzuorganisieren.
    "Schlimmstenfalls vor dem Europäischen Gerichtshof klagen"
    Becker: Kurz noch eins zum Schluss. Besonders wenig erfreut über die deutschen Pläne waren ja bislang die Niederländer und die Österreicher - aus naheliegenden Gründen. Was für Rechtsmittel hätten die denn überhaupt, um gegen diese Infrastrukturabgabe/Maut in Deutschland vorzugehen?
    Boehme-Neßler: Im schlimmsten juristischen Fall könnten die beide Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagen. Begründung: Deutschland verletzt das europäische Vertragsrecht. Und dann würde der Europäische Gerichtshof prüfen, ob der Antidiskriminierungsgrundsatz tatsächlich verletzt worden ist, oder doch nicht.
    Becker: Danke! - Der Berliner Europarechtler Volker Boehme-Neßler war das. Danke und einen schönen Abend.
    Boehme-Neßler: Danke schön, gleichfalls.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.