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Plädoyer für die Vermischung der Kulturen, Rassen und Religionen

"Die Werkstatt der Wunder" gilt als Jorge Amados bedeutendster Roman. Zum 100. Geburtstags des brasilianischen Schriftstellers ist er jetzt in einer Neuübersetzung erschienen. Im Mittelpunkt steht Pedro Archanjo, ein Feinschmecker und Bonvivant, der das Leben in vollen Zügen genießt - und ein Apostel der Vermischung von Schwarz und Weiß.

Von Margrit Klingler-Clavijo | 05.12.2012
    Der brasilianische Autor Jorge Amado im Jahr 1982
    Der brasilianische Autor Jorge Amado im Jahr 1982 (picture alliance / dpa / Lehtikuva Oy)
    Die Werkstatt der Wunder liegt mitten in der Altstadt von Salvador da Bahia. Sie ist das Zentrum der Volkskultur, der Treffpunkt von Sambatänzern, Cordel Poeten, Capoeira Artisten und Candomblé Anhängern. Sie beherbergt das Atelier des Wundermalers Lidió Corró und Pedro Archanjo, die facettenreiche Hauptfigur des Romans, geht dort ein und aus und erzählt, was er in der Stadt gehört und gesehen hat.

    Der 1943 völlig verarmt gestorbene Mulatte ist ein Frauenheld und Feinschmecker, ein Bonvivant, der das Leben in vollen Zügen genießt. Außerdem hat er noch vier Bücher geschrieben, darunter das Kochbuch "Bahias Küche - Ihre Ursprünge und Regeln". Jorge Amados Tochter Paloma, die das umfangreiche Werk ihres Vaters betreut, hat bei einer gründlichen Revision seiner Romane für die brasilianische Gesamtausgabe eine ganze Reihe Kochrezepte entdeckt.

    Paloma Amado: ""Meinem Vater lag das leibliche Wohl seiner Romanfiguren am Herzen, allerdings gab es auch welche, die nichts zu essen hatten. Ich habe das alles eingehend untersucht und hatte danach genügend Material für zwei Bücher. Ich habe zwei Kochbücher geschrieben, eins über die kulinarischen Köstlichkeiten Bahias, allein schon deshalb, weil das Gros der Romanfiguren aus Bahia stammt. Außerdem eins über Früchte, die in der brasilianischen Küche eine wichtige Rolle spielen. Als ich an dem Buch über die Küche Bahias saß, gab ich es meinem Vater zu lesen, woraufhin er entgegnete, die Avocadocreme fehlt. In Brasilien gehört sie zum Nachtisch: reife Avocados mit Milch mixen, eine Prise Zucker und Zitrone dazugeben, eisgekühlt einfach köstlich."

    In den übrigen Werken von Pedro Archanjo geht es um soziale und politische Themen, insbesondere in seinem Hauptwerk "Aufzeichnungen über die Rassen-Mischungen in Bahia", an dem der Autodidakt schrieb, wenn er nicht als Pedell an der Medizinischen Fakultät arbeitete. Etliche Literaturkritiker halten Pedro Archanjo für ein Alter Ego von Jorge Amado, dem er seine Überlegungen zur Vermischung der Rassen, Religionen und Kulturen in den Mund gelegt hat.

    Paloma Amado: "'Die Werkstatt der Wunder' lag ihm von allen Romanen, die er geschrieben hat am meisten am Herzen, weil er hier seine Vorstellungen vom Menschen am Besten zum Ausdruck brachte. Er setzte große Hoffnungen in eine Vermischung der Rassen. In dem Maß, wie sich die Menschen miteinander vermischten und die Rassentrennung hinter sich ließen, gäbe es auch weniger Vorurteile. Und das ist in Bahia weithin sichtbar. Dort lässt sich schwer bestimmen, wer was ist. Ich bin hellhäutig, blond, wie meine italienischen Großeltern. Ich habe schwarzes Blut, indigenes Blut, da die Mutter meines Vaters aus einem Indianerstamm kam. Großväterlicherseits gab es einen schwarzen Sklaven aus Afrika und 'Neue Christen' wie die Amados, das heißt sephardische Juden. Im Roman ist der Oberst, der nicht möchte, dass seine Tochter einen Schwarzen heiratet, selbst ein Mulatte, ein Mischling."

    Jorge Amado bezieht in dem Roman "Die Werkstatt der Wunder" Volks -und Hochkultur aufeinander sowie europäische und afrikanische Kulturtraditionen. Pedro Archanjo analysiert und kommentiert die von Europa nach Brasilien gedrungenen rassistischen Diskurse, von Arthur de Gobineau bis hin zur Naziideologie. Sein Gegenspieler ist der Ordinarius für Gerichtsmedizin Nilo Argolo de Araújo. Er verbreitet an der Universität faschistisches Gedankengut und bereitet somit den Nährboden für die wachsende Intoleranz gegenüber dem Candomblé. Diese Religion war mit dem transatlantischen Sklavenhandel nach Brasilien gelangt. Dass sie in den 1920er in Salvador verfolgt wurde, erzürnte Jorge Amado, der dem Candomblé nah stand, obwohl er Atheist war.

    Paloma Amado: "Mein Vater war 'Obá de Xangó', das heißt er hatte keinen religiösen Bezug zum Candomblé, setzte sich jedoch für ihn ein. Ein Obá ist eine Art Minister. Als Pedro Archanjo gefragt wurde, wie er zum Candomblé stünde und ob er Materialist wäre, entgegnete er, dass ihn sein Materialismus nicht einschränken würde. Und das dachte auch mein Vater."

    In dem Roman "Die Werkstatt der Wunder" gibt es zwei verschiedene Zeitebenen. Zum einen die schlaglichtartigen Rückblicke auf Pedro Archanjos Leben und Schreiben, zum anderen die Vorbereitungen der Gedenkfeierlichkeiten anlässlich seines einhundertsten Geburtstages im Jahr 1968. In diesem Jahr wurden in Brasilien per Dekret die demokratischen Grundrechte außer Kraft gesetzt. Daraufhin mussten der Dichter Thiago de Mello, der Dramaturg Augusto Boal, Musiker wie Caetano Veloso, Chico Buarque und Gilberto Gil und viele andere Künstler ins Exil gehen.

    Mit schwarzem Humor und untrüglichem Gespür für die Fallstricke der Macht beschreibt Jorge Amado die stümperhaften Versuche, aus dem unbeugsamen Pedro Archanjo post mortem einen honorigen Nationalschriftsteller zu machen. Ein Symposium zum Thema Rassendemokratie im internationalen Vergleich – Apartheid Regime Südafrikas, die Black Power Bewegung der USA – wird kurzerhand abgeblasen, aus Angst vor Studentenunruhen.

    Es ist ein Glückfall, dass anlässlich von Jorge Amados 100. Geburtstag der Roman "Die Werkstatt der Wunder" neu übersetzt wurde, der einen Jorge Amado zeigt, der humorvoll, klar und weitsichtig für eine Vermischung der Kulturen, Rassen und Religionen eintrat und Rassismus im internationalen Kontext denunzierte.

    Was Jorge Amado wohl zum Amado–Jahr gesagt hätte, das anlässlich seines einhundertsten Geburtstags rund um den Globus gefeiert wird? Zum Festakt im Parlament in Brasilía, zu den Lesungen, Kolloquien, Konzerten, ganz zu schweigen von den Ehrungen im Karneval von Salvador da Bahia' Seine Enkelin Cécilia Amado hat in Salvador da Bahia die Lebensbe-dingungen von Straßenkindern untersucht und daraufhin den Roman "Herren des Strandes" verfilmt.

    Paloma Amado: "Wir haben vor vier Jahren den Verlag gewechselt. Seitdem wurden allein in Brasilien von dem Roman 'Herren des Strandes' 800.000 Exemplare verkauft. Dieser Roman wurde 1935 geschrieben. Er erschien 1937 und wurde unter der Diktatur sofort beschlagnahmt und öffentlich verbrannt. Mein Vater ging daraufhin ins Exil nach Argentinien und Uruguay."

    Zehn Tage lang wurde Amados einhundertster Geburtstag unter dem Motto "Amar Amado – Amado lieben" in Ilhéus gefeiert. Während des Kakaobooms in den 1930er-Jahren waren Abenteuerlustige und Lebedamen in die Hafenstadt geströmt, was Jorge Amado, der dort aufgewachsen war, in seinem früheren Romanen, dem sog. Kakaozyklus beschrieb.

    Der Höhepunkt des gigantischen Festes war das Konzert von Caetano Veloso auf dem Vorplatz der Kathedrale.

    Paloma Amado: "In einem Lied von Caetano Veloso, das er für die Fernsehserie 'Die Werkstatt der Wunder' komponiert hat, heißt es: 'Wer Atheist ist und wie ich Wunder gesehen hat.' Salvador ist eine geheimnisvolle, mystische Stadt. Es kann sich keiner ihren Geheimnissen entziehen. Wunder gehören dort zum Alltag und das hat nichts zu tun mit der Religion, der man angehört."

    Jorge Amado: Die Werkstatt der Wunder
    Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner
    Mit einem Nachwort von Henry Thorau
    S. Fischer Verlag 2012, 24,99 Euro

    Musik:
    Caetano Veloso: Milagres do povo
    CD Multishow ao vivo Caetano Veloso e Maria Gadú
    Universal Music