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Plagiate im digitalen Zeitalter

Doktortitel durch Plagiate - Karl-Theodor zu Guttenberg oder Annette Schavan sind da nur die Spitze des prominenten Eisbergs. Auf einer Tagung in Mainz diskutierten Wissenschaftler darüber, wie man Plagiate verhindern und Lust an korrektem wissenschaftlichen Arbeiten fördern kann.

Von Dörte Hinrichs | 07.06.2012
    "Ich möchte schon ganz böse sagen, wenn eine Universität noch nie eine Doktorarbeit beanstandet hat und noch nie zumindest eine Rüge erteilt hat – es muss ja nicht immer gleich der Titel aberkannt werden – dann ist da was seltsam. Weil die Wahrscheinlichkeit, dass es eine völlig plagiatsfreie Hochschule gibt mit zahlreichen externen Doktorandinnen aus Wirtschaft und Politik, ist null."

    So Gerhard Fröhlich, Prof. für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Linz. Nie war es so leicht, sich dank des Internets aus einer enormen Datenfülle zu bedienen. Karl-Theodor zu Guttenberg oder Annette Schavan, der entlassene Verteidigungsminister und die amtierende Bildungsministerin, sind nur die prominente Spitze des Eisbergs unter den Plagiatoren, die in ihrer Doktorarbeit von eigenen oder fremden wissenschaftlichen Texten abgeschrieben haben, ohne dies ausreichend kenntlich zu machen. Und sie alle haben das Vertrauen in die Wissenschaft beschädigt: Dass wissenschaftliches Fehlverhalten kein Kavaliersdelikt ist und wie ethisches Verhalten an den Hochschulen gefördert werden kann - damit hat sich unter anderem letzte Woche eine Tagung an der Universität Mainz beschäftigt. Hier wurde offensichtlich, wie vielschichtig das Problem ist:

    "Wir müssen schon zwischen Plagiatoren in der Wissenschaft im engen Sinn unterscheiden von Plagiatoren eben im akademischen Titelerhaschungssektor. Ein gestandener Wissenschaftler, eine gestandene Wissenschaftlerin, die plagiiert und fälscht in Forschungsanträgen, nachdem sie als Gutachterin in anderen Forschungsanträgen Material bezogen hat. Weil es geht ums Geld. Das sind oft ethische Probleme: Mogel ich ein bisschen und unser Forschungsbereich mit 20 Mitarbeitern und 30 Kindern und Gattinnen etc. bleibt, oder bin ich integer und wir gehen zugrunde? In der externen Doktoratsmühlenindustrie bekomme ich Anrufe: Ich bin Topmanager, habe 10.000 Angestellte unter mir. Ich habe keine Zeit, zu ihrem Seminar zu kommen. Dem sagte ich, für mich sind Sie ein Doktorrand wie jeder andere. Der hat sich beim Rektor beschwert, was ich für ein unverschämtes Etwas sei."

    Egal ob es um den Doktortitel geht, mit dem sich Manager oder Politiker gerne schmücken oder um die Promotion für eine Karriere als Wissenschaftler - es gilt: gleiche Spielregeln für alle. Dabei stellt uns das digitale Zeitalter vor neue Herausforderungen. Es erleichtert und erschwert das Plagiieren zugleich, denn alles, was im Netz steht, kann nicht nur genutzt, sondern auch überprüft werden auf korrekte Quellenangaben. 1218 Plagiatsfragmente aus 135 Quellen auf 371 von insgesamt 393 Seiten – so lautet der Fundbericht bei zu Guttenbergs Doktorarbeit, wie bei "guttenplag" nachzulesen ist. Wer suchet, der findet – nach diesem Prinzip arbeiten die Internetplattformen "guttenplag" oder "vroniplag", letztere benannt nach der Tochter von Edmund Stoiber, Veronika Sass die auch des Plagiats überführt wurde und ihren Doktortitel abgeben musste. Das hat sie u. a. Debora Weber-Wullf zu verdanken, Professorin für Medieninformatik an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Sie ist als Plagiatsjägerin gefürchtet, sie selbst bezeichnet sich als -Sammlerin. Aber was ist überhaupt alles ein Plagiat?

    "Das ist nicht nur 'copy and paste', sondern auch die Übersetzung oder die Bearbeitung von einem Text, eine Paraphrase kann auch ein Plagiat sein, wenn die Quelle nicht referenziert ist. Und letzten Endes ist es ganz einfach: Sie müssen sagen, wo fängt die Übernahme an, wo hört die auf und wo habe ich das her. Ich kann es mit Gänsefüßchen machen, ich kann sagen: 'Wie Kant sagt in sowieso, blablabla', und dann am Ende die Fußnote, damit man weiß, jetzt ist es abgeschlossen, da an der Stelle. Ich höre von Studierenden manchmal, wie viel Wörter muss ich ändern, damit es nicht mehr ein Plagiat ist? Es bleibt ein Plagiat. Und dann die Strukturplagiate, also die übernommenen Strukturen von jemand anderem kann auch ein Plagiat sein, oder eben, wenn man zwar die Fußnote angegeben hat, aber übersehen hat, dass man die Aussage, den Text, die Wortwahl nach wie vor identisch übernommen hat, das ist auch ein Plagiat."

    Auch mit Bildern wird in der Wissenschaft getäuscht: Fotos können per Photoshop manipuliert sein, um z. B. als Nachweis für ein aufsehenerregendes Experiment in der Molekulargenetik herzuhalten. Außerdem lassen sich am Computer beliebige Kurven, Formeln und Daten produzieren. Man findet Erfundenes, aber auch Unterdrücktes: So werden z. B. bei Medikamentenstudien schon mal negative Effekte verschwiegen oder nicht alle Auftrag- und Geldgeber genannt.


    "Früher waren Gutachter Zeugen, die mussten beim Experiment dabei sein und bekunden, da wurde nicht gefälscht. Dann kam die Publikationsflut, die kam schon sehr früh, und seitdem verlassen sich die Gutachter auf die Berichte, in denen drin steht, was angeblich durchgeführt wurde. Und es gibt schöne Studien, wie sehr die Realität der Forschung sich unterscheidet von diesen hypergefilterten Papers, in denen nur das Wichtige und Schöne genannt wird. Und manche Tricks verheimlicht werden: Dass man die Suppe mal auf 60 Grad aufwärmen muss und dann wieder kühlen, sonst funktioniert das Experiment nicht, weil die Wissenschaftler wollen ja nicht der Konkurrenzgruppe alle Informationen liefern, damit die Morgen uns schon überholen. "
    Einerseits gibt es mehr technische Möglichkeiten, Plagiate durch Publikationen im Internet zu entdecken, so Prof. Mechthild Dreyer, Vizepräsidentin der Universität Mainz.
    "Das andere ist, dass natürlich der Wissenschaftsmarkt inzwischen ein sehr schwieriger ist. Leute, die um ihre Existenz sich Sorgen machen müssen usw. Das heißt, der Druck, bestimmte Publikationen zu machen, Drittmittel einzuwerben usw. ist noch mal ein Hintergrund, der auch zu solchen Versuchungen führt."

    Während die Versuchungen, ein Plagiat zu begehen, offenbar größer geworden sind, sind die Chancen relativ gering, dass hochschulintern Plagiate aufgedeckt werden. Ulrich Herb, Soziologe und Referent für elektronisches Publizieren an der Saarländischen Landes-und Universitätsbibliothek:

    "Es sind 90 Prozent der Leute, die in Deutschland promoviert sind und dann an Hochschulen arbeiten, sitzen auf befristeten Arbeitsverhältnissen, deren Verlängerung einzig vom Gutdünken ihres Professors abhängt. Wie will ich den jetzt eines Plagiats bezichtigen, ohne mir selbst zu schaden? Also müsste man irgendwas wie Whistleblowing in der Wissenschaft, ein Wikileaks für Wissenschaftler vielleicht überlegen, um Transparenz zu bringen."

    Ein Instrument, das für mehr Offenheit und Transparenz und weniger Plagiate und Fälschungen sorgen könnte, ist der sog. "Open Access", der entgeltfreie Zugang zu wissenschaftlichen Informationen.
    "Wenn ich den Open Access stelle, den Text, also online für jedermann lesbar, rezipierbar, dann ist das Dokument ja publiziert und dann kann ja 'guttenplag' kommen, dann ist es ja raus aus dem internen System und dann kann jedermann überprüfen und sagen oder Fremde, die nicht abhängig sind, die können ja dann den Finger draufzeigen und sagen: Das ist plagiiert. Also ist Open Access schon eine sehr gute Strategie, aber der Schutz von Leuten, die schon vorab vor der Publikation feststellen, dass manipuliert wird, der müsste eben besser werden, aber das ist eben sehr schwer, solange die so abhängig sind."

    An der Universität Linz ist man dazu übergegangen, alle Master- und Doktorarbeiten über den Hochschulserver online zu stellen - man will mit Stolz die wissenschaftlichen Arbeiten präsentieren und die Autoren motivieren. Möglicherweise fördert das die wissenschaftliche Sorgfalt. Andere Universitäten setzen sogenannte Plagiatserkennungssoftware ein: Sie heißt "CatchitFirst", "Ephorus" oder "Plagscan" – um nur einige Beispiele zu nennen auf dem boomenden Markt. Professor Debora Weber-Wulff hat 48 Systeme getestet, 26 waren bewertbar. Ihr Fazit:

    "Plagiatssoftware ist jetzt schon überflüssig, weil es kann mit Plagiatssoftware nie festgestellt werden, ob eine Arbeit wirklich plagiiert ist oder nicht. Man kann mit Software Indizien bekommen, man kann Hinweise bekommen, wo man noch mal näher nachgucken kann, aber die Software schlägt manchmal an bei korrekten Zitaten, andererseits viele Sachen, die leicht überarbeitet worden sind, wird von der Software nicht gefunden."

    An der Universität Mainz wird dennoch über den Einsatz von Plagiatserkennungssoftware nachgedacht. Allein die Ankündigung ihrer Einführung kann eine abschreckende Wirkung haben. Viele Hochschulen bemühen sich derzeit verstärkt, in Seminaren und mit Klausuren den Studierenden korrektes wissenschaftliches Arbeiten nahezubringen – und gleichzeitig ein wissenschaftliches Ethos.

    Plagiate sind keine Einzelfälle, sie sind ein systemimmanentes Problem, darüber waren sich die Wissenschaftler bei der Tagung an der Universität Mainz eing. Um wieder mehr Vertrauen in die Wissenschaft zurückzugewinnen ist ein Umdenken bei Studierenden und Lehrenden erforderlich. Der Lehre müsse wieder zu mehr Ansehen verholfen, die Doktoranden intensiver betreut und die Lust am korrekten wissenschaftlichen Arbeiten gefördert werden. Der Philosoph Prof. Gerhard Fröhlich kommt zu dem Schluss:

    "Man kann einen neuen, guten Weg einschlagen und mit Sir Karl Popper würde ich sagen: eine fehlerfreie Wissenschaft zu fordern, ist völlig unmenschlich und völlig unmöglich. Das heißt, wir brauchen eine Fehlerkultur, damit eben auch nicht jeder Fehler gleich als Verdammungsurteil endet. Ich würde auch nicht jedem gleich seinen Doktortitel nehmen. Aber wir müssen zu den Fehlern stehen und wir müssen aus den Fehlern lernen."

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