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Platons "Gesetze"
Staatsziel: Entfaltung!

Kurz vor seinem Tod schrieb der griechische Philosoph Platon "Nomoi", einen sehr umfangreichen Entwurf einer Staatsverfassung. Platon ging darin von der Frage aus, was dem Menschen gut tue - damit ist der Text erstaunlich aktuell. Die Politische Akademie Tutzing lud im Dezember zu einer Tagung ein, bei der auch seine Nutzbarkeit als Anregung für heutige Politik behandelt wurde.

Von Carl-Josef Kutzbach | 07.01.2016
    Statue des Platon in Athen
    Statue des Platon in Athen (picture alliance / dpa / Foto: D.P.P.I.)
    "Natürlich vermittelt das Gesetzessystem auch ein bestimmtes Wertesystem. Jedem Gesetz liegt eine Ansicht darüber zugrunde, was richtig und was falsch ist, was dem Menschen gemäß ist, was ihm nicht gemäß ist, jedenfalls in der jeweiligen politischen Ordnung. Und das wird in Platons Buch "Die Gesetze" ganz besonders zum Ausdruck gebracht und untersucht."
    ...beschreibt Barbara Zehnpfennig, Professorin für politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau, einen Aspekt von Platons Spätwerk "Nomoi". Dieses altgriechische Wort könnte aber ebenso mit "Gesetzmäßigkeiten" übersetzt werden, sich also auch auf die Naturwissenschaften beziehen. Michael Spieker, Dozent für Ethik und Theorie der Politik an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, bietet noch eine weitere Übersetzungsmöglichkeit an:
    "Der Titel "Nomoi" kommt aus der Musiktheorie. Und da ist der Nomos so etwas, wie die Melodie, der Grundton in einer Sache. Und Platon verehrte sehr einen Musiktheoretiker namens Damon, von dem er sehr sehr viel gelernt hat unter anderem wohl auch dieses Wort dann mit übernommen hat."
    Das zeigt schon, wie schwierig es ist einen rund 2350 Jahre alten Text richtig zu übersetzen und zu verstehen. Dabei kann ein Blick auf die Biografie Platons helfen, sagt Henning Ottmann, emeritierter Professor für politische Theorie und Philosophie der Ludwig-Maximilians-Universität München, der eine neunbändige "Geschichte des politischen Denkens" verfasst hat.
    "Platon stammte aus einer der ältesten Familien Athens und da hätte er eigentlich in die Politik, in die praktische Politik gehen müssen. Das hat er nicht getan und dafür waren zwei Erfahrungen ausschlaggebend:"
    Erstens hatten die Athener seinen Lehrer Sokrates wegen angeblicher Gottlosigkeit zur Selbsttötung gezwungen. Damit hatte sich Athen eines anstrengenden, aber aus Platons Sicht sehr redlichen Menschen entledigt. Etwas, das Politik seiner Meinung nach nicht darf. Zweitens gehörten einige Onkels Platons zu den 30 Tyrannen, die 1500 Athenern den Tod brachten.
    "Vater der Utopien"
    Platon lehnt deshalb die Tyrannis, die Willkürherrschaft in seinen beiden Staatsentwürfen "Politeia" und "Nomoi" ab. Grob vereinfacht beschreibt die Politeia den idealen Staat, den Platon bei drei Reisen nach Sizilien umzusetzen versuchte, was aber nicht gelang.
    "Platon ist ja auch der Vater der Utopien geworden. Morus hat den Begriff geschaffen "Utopia". Es geht aber im Grund auf Platon zurück, und ich sag mal Visionen in der Politik zu haben – das was heute weitgehend fehlt – das kann man von Platon lernen."
    "Utopia", der "Nicht-Ort", spielte beim zweiten Entwurf, den "Nomoi" keine Rolle, denn da bestand die Chance, dass er in einer der vielen griechischen Kolonien, vielleicht in Magnesia, umgesetzt werden könnte. Platon bemüht sich daher die Menschen so zu sehen, wie sie sind. Es geht also um den zweitbesten, aber realisierbaren Staatsentwurf. Der Staat soll den Rahmen dafür schaffen, dass die Menschen sich entfalten können. Professor Francisco Lisi von der Madrider Universität, der Platons Nomoi ins Spanische übertragen hat, fasst das so zusammen:
    "Das "Menschsein" ist eigentlich ein "Mensch werden". Wir müssen jeden Tag besser werden. Und das ist gerade, was die platonische Philosophie von den Menschen will."
    Der Mensch steht im Mittelpunkt, nicht Macht, nicht Wirtschaft, auch nicht die Götter, obwohl sie als Verkörperung der Ideale für Platon wichtig sind. Francisco Lisi ergänzt:
    "Platon ist eigentlich sehr wichtig für unser Verständnis von Freiheit und von Demokratie und von der Bedeutung der Werte auf jeder Ebene unserer Gesellschaft."
    Platon-Stele im Garten der Politischen Akademie Tutzing am Starnberger See
    Platon-Stele im Garten der Politischen Akademie Tutzing am Starnberger See (Deutschlandradio/Cajo Kutzbach)
    Jeder Bürger solls nach der Tugend streben, meint Platon. Das ist für ihn das höchste Ziel menschlicher Entfaltung und zugleich ein genialer Gedanke für das Zusammenleben. Barbara Zehnpfennig:
    "Man kann zunächst denken, Moral, Tugenden, das ist etwas, was den Mensch von innen her lenkt und die Gesetze, das ist etwas, was den Menschen von außen lenkt. Nur da beides auf einander bezogen ist, da die Gesetze Ausdruck unserer Wertentscheidungen sind, wirkt in der Tat beides zusammen. Die Gesetze haben natürlich auch eine erzieherische Wirkung, weil sie unser Wertverständnis vermitteln. Andererseits wirkt unsere Wertordnung, das, was wir für richtig und falsch halten, wiederum auf die Gesetzgebung ein. Insofern kann man beides im Grunde nicht trennen."
    Überraschende Gesetze
    Für Bürger sollte es keinen Widerspruch geben zwischen ihrem Gerechtigkeitssinn und den Gesetzen. Wie wichtig genau das ist, beschreibt Barbara Zehnpfennig:
    "Natürlich ist eine politische Ordnung, bei der die Bürger den Eindruck haben können, dass es in ihr letztlich gerecht zugeht, die einzig stabile Ordnung, weil die Menschen mit dem System dann übereinstimmen können, auch, wenn sie nicht in jedem Einzelfall meinen gerecht behandelt zu werden."
    Aus solchen Einsichten entwickelt Platon überraschende Gesetze. Da er einsieht, dass der Besitz nicht abzuschaffen ist, wird den Bürgern das Land per Los zugeteilt. Der Handel soll auf ein notwendiges Minimum zurückgedrängt werden und möglichst von Sklaven oder Fremden betrieben werden, damit nicht die Gier nach Besitz und Reichtum die Tugend der Bürger gefährde.
    Damit die Bürger lernen, ihre Tugenden zu entfalten, greift der Staat ganz stark in die Erziehung ein. Das beginnt bereits vor der Geburt mit Ratschlägen für Schwangere und endet nie. Eine wichtige Rolle für die Erziehung spielt dabei die Bedeutung von "Nomoi" als Melodie. Michael Spieker:
    "In der Erziehung geht es genau darum, eine Melodie einzupflanzen, sodass nachher das ganze Leben - ja, so sagt er es selber - das Ziel des Lebens sei eigentlich Tanz, Gesang und Spiel zu Ehren der Götter - das würden wir heut gar nicht mehr verstehen -, aber Tanz, Gesang und Spiel, so weit können wir doch erst mal mit gehen."
    Impulse für heutige Politik
    Platon sieht die Musik als Ordnungs-System an, mit deren Hilfe der Mensch Ordnung erfahren und erlernen kann. Zugleich sind Musik, Tanz und Festefeiern Übungen im Umgang mit den Mitmenschen. Musik ist etwas, das schon kleine Kinder verstehen, lange bevor sie sprechen können. Platon schreibt seine Gedanken deshalb auch in Form von Gesprächen auf, denen man als Leser folgen kann. Henning Ottmann gibt zu bedenken:
    "Man muss bei Platon berücksichtigen, dass mit ihm alles anfängt. Also die Metaphysik, die heißt bei ihm noch nicht so, die Ethik, die Theologie, erste Formen der Logik und so weiter. Also Aristoteles hat das dann alles auf diese Disziplinen gebracht. Da gibt's die erste Logik, die erste Ethik, die erste Metaphysik, die so heißt; bei Platon ist das alles ein Paket."
    In dem zwar Manches fremd und auch unerträglich erscheint, etwa Sklaven; aber Platons Text könnte auch heutiger Politik neue Impulse geben.