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Plattform für Elektronik und Software
Den Kabelbaum vom Auto stutzen

Autoradio, Einpark-Assistent, elektrische Bremsen - in einem modernen Auto steckt jede Menge Elektronik, die jede Menge Kabel benötigt. In Elektrofahrzeugen sogar noch mehr als in Autos mit Verbrennungsmotoren. Die Firma Siemens will das nun ändern und entwickelt eine ganz neue Architektur für die Auto-Elektronik.

Von Piotr Heller | 08.04.2015
    Die A14 - hier wurden 700.000 Euro für eine nicht funktionierende Verkehrssteuerung ausgegeben.
    Autos brauchen jede Menge Kabel, in solchen mit Verbrennungsmotor sechs Meter. (imago / Steffen Schellhorn)
    Das Auto, so hört man dieser Tage ständig von Experten, wird immer mehr zu einem "fahrenden Computer". Tatsächlich ist es bei einem modernen Wagen nicht nur ein Computer, der da umherfährt. Es sind mehr als 70, weiß Karl-Joseph Kuhn von der Firma Siemens. Im Jargon der Automobilbranche nennt man diese Computer "Steuergeräte".
    "Wir haben ein Motorsteuergerät, ein Bremssteuergerät, ein Infotainment-Steuergerät, wir haben ein Steuergerät für die Scheinwerfercluster."
    "Der Kabelbaum in einem Fahrzeug ist das komplexeste Teil"
    Wie das alles aussieht, wenn es verkabelt ist, zeigt Karl-Joseph Kuhn am Kabelbaum eines "Street Scooter". Das ist ein elektrischer Lieferwagen, den eine junge Firma für die Deutsche Post entwickelt hat.
    "Man sagt heute: Der Kabelbaum in einem Fahrzeug ist das komplexeste Teil und manchmal auch ein sehr schweres. Weil da sind viele, viele Drähte. Das ist ja so dick. Also hier ist es dicker als mein Zeigefinger, deutlich dicker. Und wenn man sich das anschaut in einem großen Auto, dann hat das Unterarmdicke."
    Karl-Joseph Kuhn und seine Kollegen wollen die Kabelbäume stutzen. Dazu haben sie eine Plattform Namens RACE entwickelt. Die besteht aus einheitlichen Steuergeräten, die in einer Ring-Struktur angeordnet sind.
    "Auf denen werden alle Funktionen des Fahrzeugs gerechnet. Sodass wir die Anzahl der verschiedenartigen Steuergeräte deutlich reduzieren. Der zweite wichtige Punkt ist, dass wir dann diese vermaschte Netzstruktur, die wir zwischen diesen Steuergeräten haben, auflösen. Das heißt, wir haben an jedem Steuergerät eine Verbindung zu seinem Nachbar-Steuergerät. Und wir haben eine Verbindung zu den Endgeräten. Ein Blinker muss nach wie vor angesteuert werden, ein Scheibenwischer genauso."
    Die Ingenieure haben die neue Elektronik so entworfen, dass sie erweiterbar ist. Und zwar auch dann, wenn ein Auto bereits produziert und verkauft wurde. Dass so etwas sinnvoll ist, zeigt ein Beispiel: Die Entwicklung eines neuen Autos dauert heute etwa drei Jahre.
    "Das bedeutet aber mindestens sechs Handy-Generationen. Das heißt, wenn Sie heute mit der Entwicklung eines Fahrzeugs beginnen, legen Sie eine Schnittstelle für die Anschaltung von Handys fest, die es, wenn das Fahrzeug auf der Straße sein wird, fast gar nicht mehr gibt."
    Einheitliche Software
    Die Idee von RACE geht noch etwas weiter. Neben der einheitlichen Elektronikbauteile hat das System auch eine einheitliche Software, dank der Entwickler Programme für Autos schreiben können. Man kann diese Idee mit dem iPhone vergleichen: Als das auf den Markt kam, lieferte Apple eine Programmierumgebung mit. Und mittlerweile haben Tausende Entwickler über 1,2 Millionen Programme geschrieben, die auf dem Handy laufen. Dass so etwas in Zukunft auch für Autos vorstellbar wäre, zeigt ein Wettbewerb:
    "Wir haben im RACE-Forschungsprojekt einen Studentenwettbewerb gemacht. Ein Team hat eine Schildererkennung gebaut. Die haben gesagt: Wir hängen da eine Kamera dran. Die Können Straßenschilder erkennen. Ein anderes Team war der Meinung, sie müssten ihr Fahrverhalten permanent veröffentlichen. Daraus haben sie wiederum einen Wettbewerb gebaut: Wer fährt wie effizient, zum Beispiel. Man kann diskutieren, ob ich das brauche oder nicht. Aber es werden Funktionen kommen, in einer Geschwindigkeit, von der wir heute noch keine Vorstellung haben."
    Ob es tatsächlich so kommt und ob die Autoindustrie sich auf so etwas einlässt, ist fraglich. Schließlich ist die Branche konservativ. Und eine ganz neue Art, die Elektronik eines Autos aufzubauen - das wäre eine Revolution. Da wundert es nicht, dass Siemens mit Streetscooter einen jungen Partner hat. Innerhalb von drei Jahren wollen sie die Elektronik des Postzustellfahrzeugs komplett auf die neue Architektur umstellen. Gespräche mit anderen Herstellern führe man auch, sagt Karl-Joseph Kuhn. Aber konkrete Pläne gibt es nicht. Doch selbst wenn erst mal kein großer Autokonzern einsteigen sollte, muss das nicht das Ende für das Projekt bedeuten. Mit dem gleichen Ansatz wollen die Ingenieure andere komplexe Systeme vereinfachen. Züge zum Beispiel oder die Stromnetze der Zukunft, die sogenannten Smart Grids.