Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Plattform für Klangexperimente

Im Düsseldorfer Forum Freies Theater treffen die Teilnehmer von Interface II, einer Klangkunst-Workshop-Reihe, gegen Ende der Woche zusammen. In den letzten Jahren hat sich die Klangkunst ein wenig emanzipiert von der akademischen elektronischen Musik.

Von Peter Backof | 09.01.2012
    "Nö, in die Richtung hab ich bisher noch gar nicht gedacht. Das ist jetzt mein erster Versuch in dem Bereich - und ich hab jetzt noch keine Ambitionen, irgendwo hinzuführen."
    Milan Schell hat gerade erst begonnen, am Institut für Musik und Medien in Düsseldorf zu studieren. Eine Klanginstallation von Paul Sharits aus dem Jahr 1975 hat ihn beeindruckt - da sah und hörte man: abstrakte Bildbalken und Klänge, die sich immer wiederholten und sich gleichzeitig ständig veränderten; wie ein zum Klingen gebrachter Barcode. - So etwas wollte er auch machen, aber: eigen und neu.

    "Der Name ist übernommen von dem Instrument Drehleier - auf englisch: Hurdy Gurdy – in dem eine sich drehende Scheibe an Saiten entlangfährt und Geräusch macht."

    Hurdy Gurdy realisiert Milan Schell mit drei Plattenspielern, deren Scratchgeräusche dann als Streichtrio interagieren.

    "Ich mach sonst eher Musik – und über Musik komm ich halt auf die Idee."

    Musik, die als Scratching-Technik in noch keinem Pophit - als kopierbarer Sound - ihren Platz fand: Bei Interface II geht es um die reine Freude am Spiel. Und genau deshalb haben die Kuratoren Janine Hüsch und Christoph Rech "Hurdy Gurdy" im Programm platziert.

    "Das Selbstgemachte, das Handgemachte, das Readymade spielt eine wichtige Rolle. Dabei werden modernste Technologien wie selbstverständlich benutzt, aber nicht vergöttert."

    Was nutzt die mit High Tech-Dünger gezogene Pflanze, wenn sie nicht blüht, im eigenen Topf; welchen Charme haben die Klänge von prozessorgesteuerten Autos und Überwachungsdronen in der Militärtechnik, jenseits von Hollywood? - Die Klang-Künstler von Interface gehen - technisch - ganz bewusst einen Schritt hinter die aktuelle Entwicklung zurück und revoltieren - wie Klang-Punks:

    ""Abhören" von Paul Hübner und Christoph Macha, die sich mit dem Thema Überwachungsgesellschaft auseinandersetzen."

    Ein Workshop, der Erfindergeist des 19. Jahrhunderts atmet und nach den ersten Telefonapparaturen klingt.

    "Man kann zum Beispiel Stimmen hören, die im Nebenraum sprechen – oder Fragmente von anderen Projekten – von Lauschangriffen, dem Staatstrojaner, der vor Kurzem ein Thema war, bis dahin, dass sich der Bürger freiwillig durchleuchten oder abhören lässt, indem er auf Facebook ist, bin hin zu WikiLeaks – das ist so das Spektrum."

    Ein Gesamtkunstwerk aus Apparaten und Klängen, die im Verlauf der Workshop-Woche zusammengelötet, programmiert und ausprobiert werden; viel sinnlicher als jede abstrakte Diskussion über Datenschutz.

    "Das Interessante ist, dass die Künstler sich heutzutage durch die Verfügbarkeit von Situationen, Quellen, Epochenbeispielen in beliebige Kontexte einordnen können."

    Beispiel Eiskunstlauf, vage angesiedelt zwischen Winterromantik von anno dazumal und Profisport, eingerahmt von Werbebannern an den Banden: Ein Highlight von Interface II dürfte am nächsten Sonntag die Performance "Wahnsinnig wichtig on Ice" werden. Die Truppe "New Guide to Opera" hat dafür klassische Musiker engagiert, die sich unter das Volk mischen werden und bietet 500 Musik- und Geräuschschnipsel auf Kopfhörern "on Demand" für Besucher an, Sinnfragmente, von der Live-Reporter-Stimme bis zum Opernhäppchen von CD. Der normale Stadionbetrieb läuft derweil weiter. Keine Show also, die sich in den Vordergrund drängt, sondern ein vielstimmiges Experiment im öffentlichen Raum, jenseits festgefahrener Bahnen.