Donnerstag, 25. April 2024

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Pleiten, Pannen und das Arbeitslosengeld II

Software. - Bei der Bundesagentur für Arbeit hat es am Dienstag gebrannt. Und durch diesen Schmorbrand musste früher als geplant auf das neue sogenannte Hartz-IV-Rechenzentrum umgeschaltet werden. Einige Stunden lang konnten weder die Arbeitsagenturen noch die Stadtverwaltungen die Daten der Antragsteller für das Arbeitslosengeld II eingeben oder bearbeiten. Ohnehin haben in den letzten zwei Wochen Programmierfehler und Serverpannen die Hartz-IV-Software immer wieder abstürzen lassen. In der Nürnberger Bundesagentur wird deshalb seit dem Brand über eine "warme Sanierung der Hartz-IV-Software" gewitzelt.

Gespräch mit Peter Welchering | 20.11.2004
    Moderator: Heute wird die Testphase abgeschlossen, wie sieht das Ergebnis aus?:

    Welchering: Es gibt zwei Ergebnisse, ein offizielles und ein wirkliches. Bundesagenturchef Weise hat ja in dieser Woche noch einmal betont, dass Anfang des Jahres ganz planmäßig mit der Auszahlung des Arbeitslosengeldes II begonnen werden könnte, man liege gut im Zeitplan, die Softwarefehler würden planmäßig alle beseitigt werde. Und zur Testphase will sich die Bundesagentur ja nicht äußern. Schaut man mal bei den Arbeitsagenturen vor Ort nach und vor allen Dingen in den Stadtverwaltungen, bei den Sozialämtern, die ja mit der Hartz-IV-Software arbeiten müssen, dann ergibt sich ein völlig anderes Bild. Die meisten Sozialämter konnten mit der Eingabephase erst nach dem 2. November beginnen, statt ab dem 20. Oktober. Von den 180 Arbeitsagenturen und bei den 340 betroffenen Stadtverwaltungen müssten eigentlich schon in diesen Tagen 40.000 Sachbearbeiter mit dem ALG-II-System arbeiten. Freigeschaltet sind laut offizieller Angabe der Bundesagentur 16.000. Und als wir in München, Hamburg, Bochum, Düsseldorf, Leipzig, Bremen und Stuttgart mal bei den Mitarbeitern vor Ort nachgefragt haben, hat sich herausgestellt, dass nur ein Viertel der freigeschalteten Arbeitsplätze auch wirklich durchgängig funktioniert. An den restlichen freigeschalteten webbasierten Arbeitsplätzen kann keiner arbeiten, weil es immer wieder zu Ausfällen kommt.

    Moderator: Zwanzig Programmierfehler bei der Hartz-IV-Software hat die Bundsagentur vor einigen Wochen ja zugegeben. Die sollen bis zum Jahresende behoben sein. Wie ist denn da der Stand.

    Welchering: Offensichtlich scheint es sich bei diesen 20 Fehlern um eine Art Konstante zu handeln. Einige werden behoben, andere werden neu entdeckt. Und das macht es natürlich für die Sachbearbeiter sehr schwierig. Es gibt auch eine Erfolgsmeldung: Einer der gravierendsten Fehler der zugrundeliegenden Datenbankverwaltung, der ist behoben worden. Und zwar konnten bisher alle Antragsteller und ihre Familienangehörigen die an einem Ersten eines Monats geboren sind, nicht bearbeitete werden. Also 1. November – Geburtsdatum, das gibt es für das System nicht. Gleichzeitig ist das Geburtsdatum ein sogenanntes Pflichtfeld, muss also ausgefüllt werden, sonst kann der Antrag nicht bearbeitet werden, weil ja ach die Sozialversicherungsnummer das Geburtsdatum enthält. Der Fehler ist seit sieben Tagen behoben. Allerdings müssen einige zehntausend Anträge deshalb jetzt neu eingegeben werden. Ein zweiter Fehler ist noch immer nicht behoben. Und der macht den EDV-Verantwortlichen in Nürnberg richtig Kopfzerbrechen. Die A2-2-Software, das ist der interne Name für die Hartz-IV-Software, greift auf eine Datenbank der Bundesagentur zu, die sich Personendatenverwaltung nennt. ZPDV ist das amtliche Kürzel dieser Sofware. Das ist im wesentlichen eine Informix-Datenbank, die unter einem Unix-System läuft und mit dem AppCenter von Borland an die A2-II-Software angepasst werden sollte. Genau diese Schnittstelle funktioniert aber nicht richtig. Die A2-2—Software findet Datensätze nicht, steigt aus wegen Zeitüberschreitung, hat plötzlich keine Zugriffsrechte mehr auf die Personendatenverwaltung. Und ganz übel ist, dass diese Fehler, die da passieren, offensichtlich nicht reproduzierbar sind. Man weiß also nicht unter welchen Bedingungen es hier zu Fehlverhalten der Software kommt. Also das gesamte System ist sehr fragil.

    Moderator: In den Zeitungen der vergangenen Tage konnte man ja immer wieder lesen, dass die Datenleitungen nach Nürnberg zusammen brechen, oder die Server ihren Dienst versagen. Woran liegt das denn?

    Welchering: Zum einen ist die Serverfarm in Nürnberg unterdimensioniert. Schon bei der Freischaltung von 16.000 Anwendern hat das System Überlast gemeldet. 40.000 muss es schaffen können. Dann gab es offensichtlich Probleme beim sogenannten Virtualisierungsmechanismus. Diese Software soll dafür sorgen, dass zusätzliche Prozessoren und zusätzlicher Datenspeicher der Serverfarm dann zugeschaltet, wenn die Gesamtauslastung in einen kritischen Bereich kommt. Da gab es bei der Softwareüberwachung Probleme, und die EDV-Mitarbeiter mussten das per Hand regeln. Das dauert natürlich länger, und in der Zeit haben die Server einzelne Arbeitsstationen wegen drohender Überlast von der Serverfarm getrennt. Für den Sachbearbeiter vor Ort hat sich das dann so dargestellt, als sei der Server einfach ausgefallen. Ja und bei den Datenleitungen, die angeblich zusammengebrochen sind. Die soll es eigentlich gar nicht geben diese Datenleitungen. Das Hartz-IV-System läuft ja webbasiert. Und da werden die Daten von den Arbeitsagenturen oder den Sozialämtern über Netzknotenrechner nach Nürnberg weitergereicht. Da steckt ganz schlicht das Internet Protokoll mit dem Transfer Control Protokoll dahinter. Nur ist das nicht konsequent verwirklicht worden. Denn einige Agenturen und Sozialämter hatten die Infrastruktur für das Internet nicht. Die hat man über dedizierte Datenleitungen angeschlossen. Die darauf aufgesetzten Übermittlungsprotokolle scheinen nicht mit dem Transfer Control Protocol in allen Phasen verträglich zu sein. Und deshalb verhält sich diese große gemischte Intranet- und Extranet-Lösung, als würden immer Leitungen zusammenbrechen. Offensichtlich stecken dahinter Protokollunverträglichkeiten.

    Moderator: Wird er Schmorbrand und die dadurch verursachte frühe Umschaltung auf das Hartz-IV-Rechenzentrum zu weiteren Verzögerungen führen?

    Welchering: Die Infrastruktur in diesem eigens aufgebauten Hartz-IV-Rechenzentrum ist noch nicht ganz fertig. Aber dieses zweite Rechenzentrum ist hinsichtlich der Datenbankstrukturen, der Kommunikationsprotokolle und der Schnittstellen ziemlich einheitlich ausgestattet. Das vom Brand betroffene Rechenzentrum gilt den Agentur-Mitarbeitern als Software- und Hardware-Zoo. Da können viele Rechner nicht miteinander, da finden sich14 bis 17 unterschiedliche Betriebssystemversionen. Insofern ist die frühe Umschaltung eigentlich eine Chance. Aber will auch hier gerade solche Ad-hoc-Lösungen programmiert werden, wird das zweite Rechenzentrum wahrscheinlich zum Jahresende ein Softwaredschungel sein, nicht mal wie das erste brandgeschädigte Rechenzentrum ein Zoo. Die Kommunen haben also gut daran getan, in Sachen Arbeitslosengeld II Notprogramme aufzulegen.