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Poesie der Einsamkeit

Zum Ende seiner Amtszeit hat Klaus Pierwoß, Generalintendant in Bremen, die Kammeroper "Keine Stille außer der des Windes" von Sidney Corbett auf die Bühne der Nebenspielstätte Concordia gebracht. Der 1960 geborene Corbett hat in San Diego Philosophie und Musik studiert und in Hamburg zwei Jahre Komposition bei György Ligeti. Seine Oper fußt auf Texten des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa.

Von Frieder Reininghaus | 01.02.2007
    Aus dem Hacken einer alten Reiseschreibmaschine, diesem - aus der Distanz nicht sonderlich lauten - gackernden Ton entwickelt sich ein poetischer Theaterabend zu einer polyphonen Musik. Die unregelmäßigen Repetitionen auf der Folie eines leisen Windhauchs animieren ein Buch, aus dem letzten tiefen Dunkel vorm Anbruch der Dämmerung zu singen, dass all Morgen auch der Glaube frisch und neu und nicht mehr der vom Vortag sei. Ja, das Buch fragt sich allen Ernstes, was es denn morgen glauben werde und ob das Heute in diesem Morgen noch existieren wird. Da wird, unüberhörbar, Existentielles anvisiert.

    Grundlage einer neuen Kammeroper des amerikanischen Komponisten Sidney Corbett, die in der Bremer Concordia vorgestellt wurde, ist eine Kompilation von hochkarätigen Texten des Lyrikers Fernando Pessoa. Die in Berlin lebende brasilianische Autorin Simone Homem de Mello arrangierte sie, ausgehend von dessen "Buch der Unruhe", einem introvertierten, weithin melancholischen Monolog. Auf den verschlungenen Pfaden, die das Denken des großen portugiesischen Autors einschlugen, wurden auch die unterschiedlichen Dichternamen erschaffen und genutzt - Pessoa stattete seine Heteronymen Alberto Caeiro, Álvaro de Campos oder Ricardo Reis mit jeweils eigenen Biographien und literarischen Stilen aus, trieb mit ihnen Verwirrspiel. Schon von daher also muss ein Libretto, das sich auf solche geheimbündlerischen Zusammenhänge stützt, von Anfang bis Ende Momente des rätselhaften bewahren.

    Die Librettistin und ihr Komponist packten die literarischen Splitter in einen hermetisch geschlossenen Raum und einen Tageskreislauf, dem sich sechs bzw. sieben Figuren zu stellen haben: Neben dem Buch, das auch die Partie seines Schreibers bestreitet, agiert der Hilfsbuchhalter, ein Beobachter, ein Reisender (Hosenrolle!), die Braut und der Zwitter. Der Raum, den Rosamund Gilmore ohne aufdringliche Regieeinfälle bespielt, wird lediglich durch einen Schreibtisch auf der rechten Seite strukturiert und einen langgezogenen Esstisch, der von links in die Mitte und dann wieder an den Rand geschoben wird. In den höheren Luftraum, der voll beschriebener Blätter hängt, führen drei Leitern - hinaus nur eine Tür, die zwar geöffnet, nicht aber für Auf- und Abtritte genutzt wird. So sind und bleibt das erweiterte Solisten-Sextett auf sich verwiesen.

    Klavier und diskret eingesetztes Schlagzeug entfalten zusammen mit einem Streichquartett (bei dem statt einer zweiten Violine ein Kontrabass zum Einsatz gelangt) und einem Bläserquintett ein Klang-Kontinuum, das sich zunächst und noch im weiteren Verlauf weithin aus gegen einander abgesetzten Tönen konstituiert - aus der Fortspinnung der stockenden, immer wieder in kurze heftige Bewegung geratenden Impulse der Schreibmaschine. Eine größere Dichte der Musik entsteht durch Schichtung der Stimmen und eine scheinhafte Beschleunigung des ruhigen Gedanken- und Musik-Flusses durch raschere Abfolge der Tonimpulse im unverändert langsamen Grundtempo.

    Fernando Pessoas Poesie der Einsamkeit, deren Fragmente bei der Bremer Uraufführung weithin gut verständlich waren, zeitigten eine windige Musik, zugig und ungemütlich - mithin dem recht surrealen Sujet und den wundersamen Texten ebenso höchst angemessen wie bestens geeignet für ein Theater der ruhigen Gesten, aus dem sich Jörn Schümanns distinguierte Buch-Stimme ebenso hervorhebt wie der kräftige Beobachter-Tenor von Benjamin Bruns, die schönen Sopranstimmen von Nadine Lehner und Sybille Specht. Ihr Zusammen- und Wechselspiel, vor allem auch das beziehungslose Nebeneinander der vertrackt schwer zu singenden Partien bringt einen Theaterabend der stillen Faszination zu Wege - wie es der Stimme, der Stille des Windes eben so gänzlich angemessen scheint.