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Pofalla: Keine linke Mehrheit in Deutschland

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla hat von der SPD eine eindeutige Abgrenzung von der Linken gefordert. Die Union habe immer dafür gesorgt, dass rechts von ihr keine Partei im radikalen Bereich entstehen könne, sagte Pofalla. Der Unfall sei jetzt auf der linken Seite passiert. Er erwarte von den Sozialdemokraten, dass sie sich klar distanzierten.

Moderation: Michael Groth | 08.07.2007
    Michael Groth: Der CDU-Vorstand hat in dieser Woche ein neues Grundsatzprogramm gebilligt. Über den 97 Seiten starken Entwurf soll Anfang Dezember auf einem Parteitag abgestimmt werden. Auch Ihr Koalitionspartner, die SPD, berät derzeit über ein neues Programm. Dabei sind die Überschriften nahezu identisch. Der Dreiklang Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit setzt den Rahmen. Wo, Herr Pofalla, liegen für Sie die wesentlichen Unterschiede zu den Sozialdemokraten?

    Ronald Pofalla: Es gibt eine Reihe von Unterschieden, die man ausmachen kann. Ich will mich hier auf wenige beschränken. Das erste ist, die CDU ist die Volkspartei der Mitte. Die SPD bezeichnet sich selber als linke Volkspartei. Und die sogenannte neue Mitte von Schröder aus dem Jahre 1998 ist, glaube ich, im Aktenschrank der SPD verstaubt.

    Der zweite ist, wir sind für die freie Entfaltung der Person, wir sind für Leistung, wir sind für Wettbewerb und Subsidiarität. Und für uns ist der Staat quasi nur subsidiär einsetzbar, nämlich dann, wenn Menschen der Hilfe benötigen. Bei der SPD ist es genau umgekehrt, die SPD will den alles regelnden Staat und sie will die Bevormundung des Staates über die Menschen.

    Der dritte Unterschied ist, nach unserer Familiendefinition ist Elternschaft von zentraler Bedeutung, in der Familiendefinition der SPD spielt Elternschaft überhaupt gar keine Rolle mehr. Und schließlich sprechen wir uns für die transatlantischen Beziehungen aus. Wir sprechen davon, dass die Amerikaner unsere Freunde sind, die SPD spricht von einer Äquidistanz zu Russland und Amerika. Das sind jetzt mal einige, wie ich finde, beachtliche Unterschiede.

    Groth: Auf die einzelnen Punkte werden wir noch eingehen, Herr Pofalla. Bleiben wir aber zunächst einmal bei der Überschrift Freiheit, Solidarität, Gerechtigkeit. Das steht ja zunächst mal gleichrangig nebeneinander. Hört man auf die Reden und Diskussionsbeiträge führender CDU-Mitglieder, bekommt man aber den Eindruck, dass die Freiheit vielleicht doch das zentrale Element in diesem Programm ist. Habe ich das richtig verstanden?

    Pofalla: Zunächst erstmal, glaube ich, liegt da ein weiterer Unterschied. Wir haben zwar die gleichen Grundwerte, aber nach unserem Verständnis haben unsere Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit kein Rangverhältnis. Es gibt keine Hierarchie. Wir sagen, in jeder Zeit muss um das richtige Verhältnis gerungen werden. Wir sprechen uns in der Tat in unserem Grundsatzprogramm für eine neue Dimension von Freiheit aus. Wir sagen, der Staat ist in den letzten Jahrzehnten überfordert worden mit zu vielen Aufgaben. Er muss sich zurücknehmen. Deshalb brauchen wir einen schlanken Staat, aber wir sagen, wir brauchen auch einen starken Staat, damit die verbleibenden Aufgaben im Bereich der Bildung, im Bereich der inneren Sicherheit, wirkungsvoller und effizienter zu Gunsten der Menschen eingesetzt werden können.

    Groth: Wenn man die Freiheit betont. folgt oft der Vorwurf des Neoliberalismus. Je stärker die Union die wirtschaftsfreundlichen Beschlüsse des Leipziger Parteitags bekräftigt, desto mehr Angriffsfläche bietet sie der Linken. Und die jüngste Bundestagswahl hat ja auch gezeigt, dass die Bevölkerung eine Umsetzung von Leipzig nicht unbedingt wünscht.

    Pofalla: Diese Auffassung teile ich überhaupt nicht. Die Bevölkerung will wirtschaftliches Wachstum. Die Bevölkerung will die Abnahme von Arbeitslosigkeit, und sie will insgesamt an dieser positiven Entwicklung auch in breiten Bevölkerungsschichten partizipieren. Und zur Wahrheit gehört auch, wir brauchen in den Sozialversicherungssystemen und im Steuersystem vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung weitere Reformen, um sowohl die Sozialversicherungssysteme wie das Steuersystem zukunftsfest zu machen.

    Groth: Am Dienstag traf sich auf Einladung der Kanzlerin ein Energiegipfel. Anders als die Bundesregierung setzt die CDU, so steht es im Programmentwurf, als Übergangslösung auf eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken. Mit der SPD wird das nicht zu machen sein. Wird hier der Wunsch deutlich, die ungeliebte Koalition nach der nächsten Bundestagswahl zu beenden und mit der FDP unter anderem dann diese Sache zu regeln?

    Kernkraftwerke sollen länger am Netz bleiben
    Pofalla: Die Wahrheit ist, dass die sozialdemokratische Mengenlehre quasi dazu führt, dass einerseits der CO2-Ausstoß reduziert werden soll und gleichzeitig man aus der Atomenergie aussteigen will. Beides zusammen geht nicht. Wir haben uns deshalb in unserem Grundsatzprogramm dafür ausgesprochen, in den nächsten Jahrzehnten auch auf die sichere Kernenergie der sicheren Kernkraftwerke zu setzen, weil wir sagen, das ambitionierte CO2-Ziel kann nur mit einer Verlängerung der sicheren Kernkraftwerke in Deutschland sichergestellt werden. Und deshalb sprechen wir uns dafür aus, die Laufzeiten der sicheren Kernkraftwerke in Deutschland zu verlängern.

    Groth: Ein anderer koalitionsinterner Streitpunkt ist der Einsatz der Bundeswehr im Inland. Die Parteivorsitzende Merkel spricht von einer neuen Lage, in der die äußere und innere Sicherheit verknüpft seien. Sie fordert wie Bundesinnenminister Schäuble,die Streitkräfte zur Gefahrenabwehr auch hierzulande einzusetzen über das schon Mögliche hinaus. Die SPD macht das nicht mit. Auch alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien lehnen das ab. Also ein Vorschlag für die Ablage?

    Pofalla: Wir haben im Grundsatzprogramm uns dafür ausgesprochen, da innere und äußere Sicherheit seit dem 11. September nicht mehr von einander getrennt werden können, dass vor diesem Hintergrund die Bundeswehr in besonderen Gefährdungslagen auch ausnahmsweise zur Verteidigung der inneren Sicherheit eingesetzt werden können muss. Die SPD Verlangt aus ideologischen Gründen, dass das nicht sein soll. Und aus ideologischen Gründen verkennt die SPD die Realität. Das kann eine der Auseinandersetzungen werden, über die gestritten werden muss. Ich glaube, dass wir die besseren Argumente haben, weil der 11. September gezeigt hat, dass es Angriffe auf die innere Sicherheit geben kann, wo die klassischen Organe zur Verteidigung der inneren Sicherheit sowohl personell wie technisch dazu gar nicht imstande sind.

    Groth: Sie verknüpfen in Ihrem neuen Programm die Begriffe Freiheit und Sicherheit. Was für andere manchmal unvereinbare Gegensätze sind, scheint für die CDU eine Medaille mit zwei Seiten.

    Pofalla: In der Tat. Der Zweiklang aus einer neuen Dimension von mehr Freiheit und einer neuen Dimension von mehr Sicherheit gehört für uns zusammen. Für uns ist Freiheit ohne Sicherheit nicht vorstellbar, aber auch Sicherheit ohne Freiheit nicht. Deshalb betonen wir, dass wir ein Mehr an Freiheit nur bekommen, wenn wir den Menschen gleichermaßen auch mehr Sicherheit geben.

    Groth: Machen wir es mal konkret, Herr Pofalla. Was sind denn die größten Bedrohungen, denen wir uns nach Ihrer Ansicht hierzulande gegenüber sehen?

    Pofalla: Wenn Sie es unter dem Gesichtpunkt der klassischen inneren Sicherheit sehen, dann stehen wir in der Gefahr, durch einzelne Terroristen gefährdet zu sein, weil Selbstmordattentäter heute dazu in der Lage sind, wenn sie sich hochsprengen, einen, wie ich finde, beachtlichen und nicht hinnehmbaren Schaden anzurichten.

    Groth: Also ist der militante Islamismus auch eine konkrete Gefahr für die Bundesrepublik?

    Pofalla: Ja, ich würde es jetzt nicht darauf alleine beschränken, aber es ist einer der Aspekte, die wir im Auge behalten müssen, weil der militante Islamismus unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie nicht akzeptiert.

    Groth: Bis zur nächsten regulären Bundestagswahl dauert es noch gut zwei Jahre. Hält die Koalition bis dahin?

    "Die Koalition hält"
    Pofalla: Die Koalition hält. Beide Partner haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir bis zum Herbst des Jahres 2009 gemeinsam zusammenarbeiten wollen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass das auch genau so kommen wird.

    Groth: Welche Projekte sollten bis dahin noch verwirklicht werden?

    Pofalla: Wir haben ja alleine in diesem Jahr noch Gewaltiges umzusetzen. Wir müssen die Vereinbarungen zur Pflegeversicherungsreform, die Vereinbarungen zur Erbschaftssteuerreform, die Vereinbarungen zur Bahnprivatisierung, die Vereinbarungen zur Haushaltskonsolidierung und schließlich die Aufstellung des Bundeshaushaltes 2008 alleine im zweiten Halbjahr diesen Jahres beraten und beschließen. Die Koalition hat deshalb viel zu tun, und die Arbeit ist wichtig.

    Groth: Die Bundesregierung hat die Arbeitslosenversicherung bereits von 6,5 auf 4,2 Prozent gesenkt. Nun will man weitere 0,3 Prozent abziehen. Könnte es angesichts der vollen Kassen der Bundesagentur und der guten Konjunktur noch etwas mehr sein?

    Pofalla: Die Bundesagentur hat am Freitag ja ihre neuesten Bilanzzahlen veröffentlicht. Und diese Zahlen sind so positiv, dass ich glaube, dass wir ein Absenken des Arbeitslosenversicherungsbeitrages zum 1. Januar des kommenden Jahres auf 3,5 Prozent vornehmen können und dass das drin ist. Das wäre der niedrigste Stand seit 1981, und wir schaffen es damit, die Sozialversicherungsbeiträge insgesamt wieder auf unter 40 Prozent zu senken, sowohl ein gutes Signal für die deutsche Wirtschaft, aber auch ein sehr gutes Signal für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil insgesamt damit die Belastungen noch einmal deutlich gesenkt werden.

    Groth: Im Zuge der Debatte um Lohnuntergrenzen steht das sogenannte Mindestarbeitsbedingungengesetz aus dem Jahre 1952 vor der Novellierung. Erwarten Sie neuen Streit mit der SPD darüber, wie dieses nie angewandte Gesetz passgenau für die heutigen Probleme zugeschnitten wird, damit eben in diesem Gesetz die Branchen berücksichtigt werden können, die die Voraussetzungen für eine Aufnahme im Entsendegesetz nicht erfüllen?

    Pofalla: Der Bundesarbeitsminister und Vizekanzler Franz Müntefering hat die Federführung zur Umsetzung der Beschlüsse im Zusammenhang mit der Verhinderung von Lohndumping. Ich gehe davon aus, dass er sowohl die Erweiterung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen, wenn die Tarifparteien einen gemeinsamen Antrag stellen, wie bei der Umsetzung des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes sich an die Vereinbarungen des Koalitionsausschusses hält. Und ich glaube, da Franz Müntefering selber an der Umsetzung ein großes Interesse hat, dass es darüber erneut keine Auseinandersetzung geben wird.

    Groth: Erwarten Sie denn auf der anderen Seite einen Ansturm auf Aufnahme in das Entsendegesetz? Die Rede ist ja von bis zu einem Dutzend Wirtschaftszweigen, die auf diese Weise Mindestlohnregelungen in ihrem Bereich einführen wollen.

    Pofalla: Die Tarifparteien sind in einer großen Verantwortung. Im Blick auf die Vergangenheit, wenn wir die Erfahrungen der Vergangenheit heranziehen, wird es wahrscheinlich nicht sehr viele Anträge geben, die gemeinsam in Branchen gestellt werden, um im Bereich der Lohnuntergrenze zu einer Allgemeinverbindlichkeit zu kommen. Und die spannende Frage ist doch nur die, ob wir, wenn es zu wenig Anträge gibt, insgesamt glauben, dass darüber hinausgehend Branchen aufgenommen werden müssen. Die Frage kann man wirklich erst beurteilen, wenn man weiß, welche Anträge vorliegen.

    Groth: Aber umso mehr Branchen Mindestlöhne wünschen, umso fragwürdiger wird doch die Haltung der Union, die eine staatliche Definition von Lohnuntergrenzen weiterhin ablehnt.

    Pofalla: Ganz im Gegenteil. Sie macht nur deutlich, wo unsere Position ist. Wir wollen, dass die Tarifvertragsparteien für die Lohnfindung zuständig sind und nicht die Politik. Und wenn jetzt die Tarifparteien in verschiedenen Branchen, meinethalben auch in mehreren Branchen, uns die Empfehlung geben, dann treffen wir ja nicht die Entscheidung, sondern die Tarifvertragsparteien bitten die Politik - nur im Blick auf die Lohnuntergrenze, nicht für den gesamten Tarif -, eine Allgemeinverbindlichkeit zu erklären. Insofern bleibt es dabei: Die Tarifautonomie steht im Mittelpunkt unserer Überlegung.

    Groth: Im Grundsatzprogrammentwurf sprechen sie sich abermals für Kombilöhne aus. Da bleibt der Verdacht, der Steuerzahler werde dort zur Kasse gebeten, wo eigentlich der Arbeitgeber mit der Entrichtung eines anständigen Lohnes in der Pflicht wäre.

    Pofalla: Ganz im Gegenteil, übrigens auch schon in der praktischen Politik dieser Bundesregierung. Wir haben zwei sehr ambitionierte Kombilohnmodelle in der Bundesregierung vereinbart für unter 25-Jährige und für über 50-Jährige. Und für beide Gruppen macht es doch Sinn. Gut zehn Prozent der Schulabgänger eines jeden Jahrganges machen nicht einmal einen Schulabschluss. Die werden wir nur aus einer Kombination von Lohnleistungen, die die Unternehmen zahlen und einem Kombianteil, den der Staat zahlt, in den Arbeitsmarkt bringen. Und das Gleiche gilt für die über 50-Jährigen. Wir hatten am Beginn der Arbeit der jetzigen Bundesregierung einen Anteil der Beschäftigungsquote von über 50-Jährigen von knapp 40 Prozent. Nach zwei Jahren ist es uns gelungen, diesen Anteil auf jetzt fast 50 Prozent zu steigern. Und wir haben die Chance, bis zum Ende dieser Legislaturperiode vielleicht diesen Anteil auf 55 oder 60 Prozent zu erhöhen. Und damit hätten wir den Anteil der Beschäftigungsquote der über 50-Jährigen dann um fast ein Drittel erhöht - ich finde, einbeachtlicher Erfolg. Und der geht nur mit Kombilohnmodellen.

    Groth: Stichwort Investivlohn. Der SPD-Vorschlag wünscht einen Deutschlandfonds. Das heißt, alle zahlen ein und das Risiko, zum Beispiel nach einem Unternehmenskonkurs, wird vergesellschaftet. Die Union will andererseits einen firmenspezifischen Investivlohn, was den Verlust der Einlage bei einem Scheitern einschlösse. Kann man da einen Kompromiss finden?

    Kompromiss beim Investivlohn möglich
    Pofalla: Ich glaube, dass die Bundesregierung die einmalige Chance hat, zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einen Investivlohn für breite Schichten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland einzuführen. Ich glaube, dass die Möglichkeit besteht, zwischen beiden Modellen Kombinationen zu entwickeln. Wir wollen in der Tat die direkte Beteiligung der Arbeitnehmer an ihrem Unternehmen, in dem sie arbeiten. Aber auch in unserem Modell sind Fondsmodelle enthalten. Und deshalb glaube ich, dass man aus einer Kombination aus Fondsmodellen und direkter Beteiligung etwas Gutes hinbekommen kann.

    Groth: Und da sehen Sie sozusagen auch Verhandlungsspielraum für die beiden Koalitionspartner?

    Pofalla: Ich bin da viel optimistischer. Ich gehe davon aus, dass es zu einer Vereinbarung in der zweiten Jahreshälfte kommt und dann der Gesetzgebungsvorgang im nächsten Jahr in Angriff genommen wird. Und ich bin wirklich optimistisch, dass wir zum 1.1.2009 zum ersten Mal eine gesetzliche Grundlage für eine breite Beteiligung der Arbeitnehmern an Unternehmen haben werden.

    Groth: Sind Sie eigentlich mit der Entscheidung zufrieden, bei der Pflegeversicherung lediglich die Beitragssätze zu erhöhen und dafür Zusatzleistungen in Aussicht zu stellen? Ihr Programm geht ja darüber hinaus. Sie wollen die Pflegeversicherung stufenweise um solidarische Prämienelemente ergänzen und möglichst auch bald durch ein kapitalgedecktes Prämienmodell ersetzen. Sehen sie da Möglichkeiten, dass sich noch etwas bewegen könnte?

    Pofalla: Zunächst einmal bin ich mit der Einigung zur Pflegeversicherung sehr zufrieden. Das ist eine große Reform. Über eine Million demenzkranke Menschen, die bisher nicht über die Pflegeversicherung versichert sind, werden demnächst durch die Pflegeversicherung abgesichert sein, auch finanziell abgesichert sein. Das ist eine enorme Hilfe für die Betroffenen selber, aber vor allem für die Familien, in denen Demenzkranke leben. Man darf also diesen Teil der Pflegeversicherungsreform durchaus auch als eine große Reform bezeichnen. Wir hätten gerne mehr gehabt. Wir hätten gerne zusätzlich einen Kapitalstock aufgebaut, um insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung der jungen Generation die Möglichkeit zu geben, die Pflegeversicherung zukunftsfest abzusichern. Das war mit den Sozialdemokraten jetzt nicht machbar. Das wird Aufgabe einer Bundesregierung nach 2009 sein.

    Groth: Im ersten Halbjahr erhielt die Kanzlerin viel Lob für ihre außenpolitische Führung. Innenpolitisch hat sich Angela Merkel bislang mehr als Moderatorin betätigt. Erwarten Sie von Ihrer Parteivorsitzenden in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode mehr Führungsstärke?

    Pofalla: Sie leistet ausgezeichnete Arbeit in der Außen- und Europapolitik und sie leistet genau so ausgezeichnete Arbeit in der Innenpolitik. Die ganzen Reformen, die jetzt der Großen Koalition gelungen sind, die Unternehmenssteuerreform, die Rente mit 67, die Föderalismusreform, um nur einige Beispiele zu nennen, wären doch ohne die Kanzlerin gar nicht möglich gewesen. Und im Übrigen teile ich auch gar nicht die Auffassung, dass Innen- und Außenpolitik so stark von einander zu trennen sind. Nehmen Sie doch mal den G8-Gipfel oder die europäische Präsidentschaft, das, was da vereinbart worden ist zum Klimaschutz, zum Umweltschutz, hat doch unmittelbare Auswirkungen auf die Innenpolitik und umgekehrt. Und so gesehen ist das, was Angela Merkel im internationalen Bereich im Bereich des Klima- und Umweltschutzes gelungen ist, letztlich nur die Fortsetzung ihrer ambitionierten Klima- und Umweltschutzpolitik im innenpolitischen Bereich. Und beides kann gar nicht voneinander getrennt werden.

    Groth: Bislang geht man ja, jedenfalls im Kabinett, pfleglich miteinander um. Nun wird aber spätestens 2009 ja der Wahlkampf beginnen. Ist es dann Zeit, dem Koalitionspartner auch einmal klare Kante zu zeigen?

    Pofalla: Die Bundesregierung hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ihre Arbeit zu tun. Wir werden im Herbst des Jahres 2009 Bundestagswahlen haben. Deshalb sollte man sich jetzt nicht mit der Bundestagswahl auseinandersetzen, sondern die Reformprojekte weiter entschlossen angehen. Und wir haben im Jahr 2009 genügend Zeit, die Konkurrenz der beiden großen Volksparteien im Zusammenhang mit der Bundestagswahl deutlich genug heraus zu stellen.

    Groth: Beunruhigt Sie eigentlich der Zuspruch, den die neue Linkspartei erhält?

    Die Hände einer pflegebedürftigen Frau umfassen in einem Seniorenheim in Stuttgart den Haltegriff über ihrem Bett.
    Die Hände einer pflegebedürftigen Frau. (AP)
    "Ich halte die Linkspartei für eine radikale Partei"
    Pofalla: Mich beunruhigt das überhaupt nicht. Es ist ein Problem vor allem für die Sozialdemokraten. Ich halte die Linkspartei für eine radikale Partei. Und wir haben als CDU immer deutlich gemacht, dass wir radikale Parteien, ob von links oder von rechts, gleichermaßen bekämpfen. Und wir als Union haben immer dafür gesorgt, dass rechts von uns keine Partei im radikalen Bereich entstehen kann. Der Unfall ist jetzt auf der linken Seite passiert, und ich erwarte jetzt von der SPD, dass sie sich klipp und klar von der Linkspartei abgrenzt. Und da hilft es nicht, zwischen der Bundes- und der Landesebene und zwischen dem Osten und dem Westen zu differenzieren.

    Groth: Bleibt aber für Sie die doch vielleicht beunruhigende Tatsache, dass es hierzulande eine strukturelle Mehrheit links von der Union gibt.

    Pofalla: Das geben die Zahlen in keiner Weise her. Schon die Bundestagswahlen '98, 2002 und 2005, wo wir zugegebenermaßen als CDU nicht die Ergebnisse erzielt haben, die wir uns gewünscht haben, zeigen doch, dass diese These nicht stimmt. Richtig ist, dass wir jeweils Bündnisse in der Zeit von 1998 bis 2005 hatten, die sich zu Mehrheiten zusammengefunden haben. Aber dass es jetzt eine linke Mehrheit links der Mitte in Deutschland gibt, zeigen die Zahlen nicht. Ganz im Gegenteil, die aktuellsten Umfragen zeigen, dass sogar CDU, CSU und FDP durchaus die Chance haben, gemeinsam eine Mehrheit zu haben.

    Groth: Derzeit, Herr Pofalla, wird in der Frage der Kinderbetreuung darüber debattiert, ob Familien, die ihre Kinder zuhause erziehen wollen, ein Betreuungsgeld erhalten - das wünscht die CSU - oder ob es Gutscheine für Sachleistungen geben soll - dies ist die Vorstellung der Familienministerin aus der CDU. Die CDU-Ministerpräsidenten haben sich allerdings auch da schon dagegen ausgesprochen. Was wird nach Ihrer Ansicht kommen?

    Pofalla: Sie konzentrieren sich da auf eine totale Nebensächlichkeit. Wir haben jetzt vereinbart, bis zum Jahr 2013 den Anteil der Ganztagsbetreuung für unter Dreijährige auf 35 Prozent anzuheben und damit um 750.000 Plätze auszubauen. Das ist das größte Programm, das es jemals gegeben hat, um Ganztagsbetreuung der unter Dreijährigen sicherzustellen. Und die Frage, was nach 2013 anstehen wird, ist nicht eine Frage, die mich heute wirklich beschäftigt.

    Groth: Die CSU würde das Betreuungsgeld nicht als Nebensächlichkeit bezeichnen.

    Pofalla: Es ist aber eine Frage, die in den nächsten, aus heutiger Sicht, sechs Jahren nicht ansteht. Und von daher finde ich es wieder typisch, dass die öffentliche Meinung sich auf einen Punkt konzentriert, der in den nächsten sechs Jahren gar nicht ansteht. Wir sollten in den nächsten sechs Jahren die Ärmel hochkrempeln und dafür sorgen, dass wir diese Plätze schaffen. Die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen hat ja einen enormen, verdienstvollen Einsatz hinter sich. Wir sind stolz darauf, was ihr gelungen ist, und das lassen wir uns jetzt nicht durch Details, die nach 2013 anstehen, zum jetzigen Zeitpunkt kaputtdiskutieren.

    Groth: Einige Konservative in der Union befürchten, in der Koalition und im neuen Programm werde, um es mal so zu sagen, das ideologische Tafelsilber der Partei verscherbelt. Man laufe einem Zeitgeist hinterher, in dem sich viele Mitglieder nicht wiederfinden. Ziehen Sie sich diesen Vorwurf an?

    Pofalla: Ganz im Gegenteil. Es ist urkonservativ, für Ehe und Familie und vor allem für Kinder etwas zu tun. Und diese Bundesregierung und diese Bundesfamilienministerin hat sich aufgemacht, die Betreuungssituation für unter 3jährige Kinder substanziell zu verändern. Also hat sie sich aufgemacht, die Situation der Familien und Kinder n Deutschland zu verbessern. Konservativer kann eine Politik gar nicht sein.

    Groth: Sind die Begriffe Leitkultur und Patriotismus, die im Programmentwurf offensiv genutzt werden, ein Zugeständnis an die konservative Klientel?

    Pofalla: Der Begriff der Leitkultur in Deutschland ist deshalb ins Grundsatzprogramm aufgenommen worden, weil wir beschreiben wollten, was unser Verständnis der Grundlage eines Zusammenlebens ist. Das Sprechen der deutschen Sprache, die Anerkennung des Grundgesetzes bis hin zur Anerkennung der Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau, Patriotismus, ein klares Bekenntnis auch zur deutschen Nation, das halten wir für wichtig. Und wir glauben, dass in einem Grundsatzprogramm diese Grundlage beschrieben werden muss. Und das Ziel ist ja gerade, wenn diese Grundlage erreicht ist, verhindern wir Parallelgesellschaften in Deutschland. Und Parallelgesellschaften können immer nur da entstehen, wo beachtliche Minderheiten die deutsche Sprache nicht sprechen, wo beachtliche Minderheiten den Rechtsstaat nicht anerkennen, wo beachtliche Minderheiten Prinzipien des Grundgesetzes wie die Achtung der Würde eines jeden Menschen zur Disposition stellen. Und genau das wollen wir nicht.