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Polarforschung
Studieren auf Spitzbergen

Wer auf Spitzbergen Meeresforschung studieren will, muss erst mal schießen lernen - wegen der Eisbären. Zurzeit sind 450 Studierende an der nördlichsten Universität der Welt eingeschrieben. Arktische Wissenschaften boomen, denn das wirtschaftliche Interesse an den auftauenden Gebieten ist groß.

Von Christiane Habermalz | 16.04.2015
    Ein Eisbär auf zugefrorenem Wasser.
    Bei der Feldforschung unvermittelt auf einen Eisbären zu stoßen, ist auf Spitzbergen nicht ungewöhnlich. (imago/Westend61)
    Das vorderste Ziel ist: Konfliktvermeidung. Kommt es dennoch zur Konfrontation, gilt: Deeskalation, geordneter Rückzug, Abschreckung. Nur wenn es gar nicht anders geht, sollen die Studierenden von ihrer Schusswaffe Gebrauch machen. Bei der Feldforschung unvermittelt auf einen Eisbären zu stoßen, ist auf Spitzbergen nicht ungewöhnlich. Jeder Studierende muss hier als allererstes ein sechstägiges Sicherheitstraining durchlaufen - Schießübungen inklusive. Meistens gelingt es aber, den Eisbären zu vertreiben, ohne dass Bär oder Mensch zu Schaden kommen, erzählt, wie zur Beruhigung, Fred Skancke Hansen, der an der UNIS für die Sicherheit zuständig ist.
    "Aber wir haben viele Situationen, in denen der Eisbär gewinnt und wir unser Equipment auf dem Eis zurücklassen müssen. Dann kannst du nur zuschauen, wie der Bär auf deinen Kabeln herumkaut. Keine angenehme Situation für einen Wissenschaftler. Aber der Eisbär war zuerst hier, er hat das Wegerecht. So ist es hier."
    Studierende aus der ganzen Welt
    UNIS, das "University Center of Svalbard", ist die nördlichste Universität der Welt. Über den Fjord schwappt die Barentssee bis fast an den Campus. Schroffe, schneebedeckte Felsen ragen in die Höhe, Schnee und Eis, wohin das Auge blickt. Aktuell studieren hier 450 Studierende Polarwissenschaften an den Lehrstühlen für Arktische Biologie, Geophysik, Geologie und Technologie. Die Hälfte der Plätze ist für Norweger reserviert, der Rest wird an Studierende aus der ganzen Welt vergeben. Viele Deutsche sind darunter, auch unter den etwa 50 Dozenten und Gastprofessoren. Miriam Marquardt ist Meeresbiologin aus Kiel, sie hat sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit der Erforschung winziger Mikroalgen gewidmet, den Eukaryoten. Drei Jahre lang fuhr sie jede Woche mit dem Boot raus in den Fjord, um Proben zu entnehmen, in der acht Monate währenden Polarnacht mit dem Schneescooter. Und sie fand heraus: Die Polarnacht lebt! Jedenfalls auf mikrobieller Ebene.
    "Ich bin noch am Zusammenschreiben, da ist noch nix veröffentlicht in dem Sinne, aber was ich halt interessant finde ist, dass es doch im Winter mehr divers ist als man denkt. Man hat ja so im Hinterkopf dieses arktische Paradigmen, es gibt kein Leben in der Polarnacht. Und was ich halt an meinen Daten jetzt ziemlich spannend finde, dass es ziemlich divers ist in der Nacht. Ich rede jetzt nur über diese kleinen Mikroalgen, mit denen ich arbeite."
    Auswirkungen von globaler Chemikalienverschmutzung
    Carmen Klausbrückner kommt aus Österreich, eigentlich kein Land, in dem polare Meeresforschung ein naheliegender Studiengang wäre. Doch die 31-Jährige studiert Ökotoxikologie, auf Spitzbergen untersucht sie die Auswirkungen von globaler Chemikalienverschmutzung auf das arktische Ökosystem.
    "Es kommt eben relativ viel an. Es ist so, dass gerade persistente Substanzen in arktischen Säugern, vor allem in Eisbären gefunden werden, in extrem hohen Konzentrationen. Und das stellt eben für arktische Ökosysteme ein großes Problem dar. Dessen ist man sich zwar bewusst, aber es ist eben sehr spannend, wenn man sich mit dem Bereich beschäftigt, sich das auch vor Ort anzusehen."
    Waffe auf Tour immer dabei
    Studiengebühren werden hier nicht erhoben. UNIS wird von der norwegischen Regierung finanziert, das Hochschulzentrum fungiert als gemeinsamer Campus für die acht norwegischen Universitäten. Seit der Klimawandel in den Fokus der Politik geraten ist, boomen die Polarwissenschaften. Doch die schmelzenden Pole lassen auch wirtschaftliche Begehrlichkeiten entstehen. Rohstoffunternehmen haben großes Interesse an der Entwicklung von neuen Fördertechniken im Eis. Und vieles ist noch unerforscht, überall werden Experten gebraucht. Bald, kündigt Dekan Ole Misund stolz an, sollen an der UNIS Kapazitäten für 700 Studierende bereitstehen. Für den 2.000 Einwohner zählenden Ort Longyearbyen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Es gibt ein Studentenwohnheim und sogar Kneipen, erzählt Miriam. Und das Leben sei irgendwie leichter hier oben im Eis.
    "Na, es gibt hier nicht so einen Stress, wie es ihn in der Großstadt gibt. Natürlich gibt's aber so anderen Stress. Also wie zum Beispiel dass man halt immer eine Waffe dabei haben muss, wenn man auf Tour geht. Oder wenn mal im Supermarkt die Milch alle ist, kann es sein, dass kein Flieger hochkommt in zwei Tagen, wegen schlechtem Wetter oder so, und dann hat man keine Milch. Also es gibt so andere Probleme, aber es gibt nicht so Großstadtprobleme."
    Hinweis: Recherchen für diesen Beitrag wurden unter anderem durch eine Reisekostenbeteiligung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ermöglicht.