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Polarkreis
Deutsch-russische Gaszusammenarbeit in Westsibirien

In Nowyj Urengoj am Polarkreis fördern der deutsche Konzern Wintershall und der russische Konzern Gazprom gemeinsam Erdgas. Das Projekt ist langfristig angelegt. Aber die Sanktionen und die von Putin vorangetriebene Umorientierung auf die östlichen Märkte sorgen für Unsicherheit.

Von Gesine Dornblüth | 12.12.2014
    Ein Achimgaz-Mitarbeiter mit Funkgerät steht an der neuen Gasaufbereitungsanlage im westsibirischen Nowy Urengoi (Russland, Foto vom 12.11.2008). Hier haben die russische Gazprom und Wintershall (Kassel) die Erdgasförderung aus der Achimov-Formation gestartet.
    Für die Gasförderung in der Arktis sind teure Spezialanlagen nötig. (picture alliance / dpa - Uwe Zucchi)
    Ingo Neubert steht auf einem Gitterrost, umgeben von gelben, roten und blauen Rohren und großen Tanks. Hier werden Erdgas und Kondensat getrennt.
    "Wir verdoppeln gerade die Anzahl der Hallen. Die Halle 4 ist nahezu fertig zur Übergabe, wir rechnen damit im ersten Quartal nächsten Jahres, Halle 3 ist in der letzten Woche in Betrieb genommen worden."
    Ingo Neubert ist der stellvertretende Generaldirektor von Achimgaz, einem Joint Venture der BASF-Tochter Wintershall und des Gazprom-Ablegers Gazprom Dobytscha Urengoj. Vor drei Jahren wurde begonnen, das Projekt am Nordpolarkreis in Westsibirien kommerziell zu entwickeln. Das Gas lagert in gut 3000 Meter Tiefe, der Druck dort ist hoch, die Temperatur des Gases in der Lagerstätte ebenfalls. Draußen sind an diesem Tag minus 37 Grad.
    Gasförderung trotz schwerer Bedingungen
    Das Projekt läuft gut. 2013 wurden bereits rund 2,4 Milliarden Kubikmeter Gas gefördert, in diesem Jahr stieg die Produktion um vierzig Prozent, bis 2018 soll das Maximum von acht Milliarden Kubikmeter erreicht sein. Und das trotz schwerer Bedingungen. Das ging nur gemeinsam, betonen der deutsche wie der russische Aktionär. Ingo Neubert lobt die Logistik der Russen:
    "Die erste Herausforderung ist, Materialien, mit denen man bauen möchte, rechtzeitig am Platz zu haben. Die Herstellungsorte sind regelmäßig mehrere tausend Kilometer weg. Wenn ein Ventil fehlt, können wir unter Umständen eine ganze Anlage nicht in Betrieb nehmen."
    Der russische Generaldirektor Oleg Osipowitsch seinerseits hebt die Zielstrebigkeit der Deutschen hervor.
    "Gazprom verfügt heute über ein hohes technologisches Niveau. Wir können solche Vorkommen auch allein erschließen. Aber dass wir das in so kurzer Zeit geschafft haben, ist ganz klar das Verdienst von Wintershall."
    Für die Gasförderung in der Arktis sind teure Spezialanlagen nötig. Bisher kommen die zu einem großen Teil aus der EU. Letzte Woche hat Russlands Präsident Putin angekündigt, dass russische Großkonzerne künftig heimischen Erzeugnissen den Vorzug geben sollen. Von möglichen Quoten ist die Rede, besonders für Staatsbetriebe. Manche sprechen von einer Rückkehr zur Planwirtschaft. Oleg Osipowitsch, Generaldirektor von Achimgaz:
    "Wir haben immer marktwirtschaftlich gearbeitet, haben Anlagen gekauft, die ein optimales Verhältnis zwischen Preis und Qualität aufwiesen. Und wir haben sehr gut mit europäischen Produkten gearbeitet. Es haben sich Symbiosen gebildet, in denen russische und westliche Erzeuger und Lieferanten verflochten sind. Wir haben doch alles schon auf Jahre im Voraus geplant. Die Aktionäre haben Pläne. Die Budgets stehen."
    Bürokratischer Aufwand schreckt Anbieter ab
    Von den westlichen Sanktionen ist Achimgaz bisher nicht unmittelbar betroffen. Doch wenn zum Beispiel ein europäisches Unternehmen einen Bohrkopf liefere, müsse es eventuell eine Ausfuhrgenehmigung für Russland einholen, erläutert Mario Mehren, Vorstandsmitglied beim deutschen Aktionär. Vor dem bürokratischen Aufwand schrecke mancher Anbieter zurück. Mehren:
    "Das heißt, wir haben eine geringere Auswahl an Anbietern, wenn wir Equipment kaufen wollen. Wir haben dadurch vielleicht Verzögerungen oder aber auch höhere Preise zu bezahlen."
    Eine weitere Unsicherheit besteht darin, dass der russische Partner Gazprom angesichts der politischen Vorgaben die Prioritäten ändern könnte. Gazprom baut eine Gaspipeline nach China. Die dazugehörigen Gasfelder liegen in Ostsibirien, sie müssen erschlossen werden, und das wird Ressourcen binden, die eventuell in Westsibirien fehlen werden.
    Von der Politik kommen immer schrillere Töne. Der Gouverneur des Gebietes Jamal, zu dem Novyj Urengoj gehört, sagte kürzlich in seiner Jahresansprache, die Sanktionspolitik des Auslands ziele darauf, die Kontrolle über die russischen Rohstoffvorkommen zu bekommen. Die Bewohner des Nordens müssten die eisigen Umarmungen der Welt wie ein Eisbrecher durchbrechen und Russland zu neuen Horizonten führen. Ingo Neubert, der stellvertretende Chef von Achimgaz, glaubt trotz allem, die deutsch-russische Kooperation in guter Atmosphäre weiterführen zu können.
    "Ich sehe keinerlei Anzeichen, dass Russland mit diesem Projekt, welches beiden Staaten nützt, gegenseitig nützlich ist, diesem Projekt irgendeinen Stein in den Weg legen wird. Die Investitionen sind auf mehr als 40 Jahre ausgelegt, und beide Seiten werden sich von Tagesentwicklungen nicht aus der Bahn werfen lassen."