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Polen
Abholzung im letzten Urwald Europas

Der Wald von Bialowieza gilt als letzter Urwald Europas. Doch der Nationalpark an der polnisch-weißrussischen Grenze bleibt nicht mehr unberührt. Die rechtskonservative Regierung in Polen will mehr als die Hälfte des polnischen Teils bewirtschaften. Nun mehren sich die Proteste über den Umgang mit dem wertvollen Naturdenkmal.

Von Florian Kellermann | 24.06.2017
    Eine Gruppe von Öko-Aktivisten hockt verteilt über eine abgeholzte Fläche des Bialowieza-Waldes. Im Hintergrund stehen noch Bäume.
    Naturschützer protestieren gegen die Abholzung im Naturschutzgebiet Bialowieza. (dpa / Jan A. Nicolas)
    Längst sind es nicht mehr nur die Umweltschützer, die protestieren. Musiker veranstalteten in dieser Woche ein kostenloses Freiluftkonzert in Warschau, direkt an der Weichsel. "Kultur für die Puszcza", hieß es, "puszcza" - das polnische Wort für Urwald. Auch Rock- und Poplegende Stanislaw Soyka war dabei.
    "Dieser Wald ist etwas ganz wichtiges für Polen. Der Schriftsteller Czeslaw Milosz hat ihn einst mit dem Schloss auf dem Wawel-Hügel in Krakau verglichen, mit einem der wichtigsten polnischen Kulturgüter. Wir Künstler müssen darauf aufmerksam machen und den Menschen erklären, dass es sich da um einen nationalen Schatz handelt."
    Dreimal so viel Abholzung wie bisher
    Heute Nachmittag wird der Protest weitergehen - mit einem Demonstrationsmarsch durch die Warschauer Innenstadt. Denn das polnische Umweltministerium macht Ernst mit seinem Plan, große Flächen des berühmten Waldes ganz im Nordosten des Landes abzuholzen. Drei bis vier große Maschinen, sogenannte Holzvollernter, sind bereits vor Ort, schätzt Greenpeace. Sie fällen die Bäume, ziehen die Rinde ab und zerteilen die Stämme auch gleich in handliche Teile.
    Dreimal so viel Holz wie bisher soll im Wald von Bialowieza geschlagen werden. Denn viele Stellen des Waldes seien vom Borkenkäfer und anderen Schädlingen befallen, erklärt Umweltminister Jan Szyszko.
    "Viele Lebensräume für Flora und Fauna gehen so zugrunde, sogar ganze Waldstücke. Dieser Wald ist besonders wertvoll, deshalb haben wir Maßnahmen ergriffen, um diese Lebensräume zu retten. Wir werden den Wald nach dem Abholzen wieder aufforsten. Wir bedienen uns dabei der ökologischen Ingenieurskunst "
    Streit um die Borkenkäfer
    Ökologische Ingenieurskunst - das ist für die meisten Umweltschützer der glatte Widerspruch zu einem ursprünglichen Wald. Ewa Sufin von der polnischen Grünen-Partei, die nicht im Parlament vertreten ist:
    "Was ist das Einzigartige an diesem Wald, warum kommen Wissenschaftler und Touristen? Weil dieser Wald eben noch auf natürliche Art funktioniert, Wenn Bäume fallen, weil sie vom Borkenkäfer befallen sind, dann bilden sich auf ihnen neue Mikroorganismen, da entsteht neues Leben, neue Artenvielfalt. Das gibt es nicht in einem Wald, wo gefällt und neu angepflanzt wird."
    Der Vorwurf, den Umweltschützer erheben: Die rechtskonservative polnische Regierung wolle den Wald in Bialowieza schlicht kommerziell nutzen und möglichst viel Holz verkaufen. Umweltminister Szyszko weist diese Behauptung zurück, es gehe ihm vielmehr um den Erhalt des Waldes.
    Bedrohtes Naturerbe?
    Aber auch die Unesco ist besorgt: Bei einem Treffen in zwei Wochen könnte sie den Wald auf die Liste des bedrohten Naturerbes setzen. Das wäre ein symbolischer Akt. Mehr Handhabe hat die EU-Kommission. Denn der Wald ist nicht nur auf der Unesco-Naturerbeliste, er ist auch als EU-Schutzgebiet im sogenannten "Natura 2000"-Netzwerk ausgewiesen.
    Agata Szafraniuk von der Umwelt-Organisation "Client Earth": "Die EU-Kommission kann den Fall vor den Europäischen Gerichtshof bringen. Der arbeitet zwar sehr lange, bis er ein Urteil gegen Polen fällt. Er kann aber auch eine einstweilige Verfügung erlassen und die Abholzung stoppen."
    Doch so weit ist es noch nicht. Derzeit analysiert die EU-Kommission die polnischen Pläne für den Urwald Bialowieza.