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Polen befüchtet Abwanderung von Ärzten

Nach dem EU-Beitritt könnten tausende Ärzte aus Polen in andere Länder der Europäischen Union abwandern, befürchtet die polnische Ärztekammer. Eine höhere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen und Entwicklungschancen würden schon heute einen Drang nach Westen verursachen, stellte eine im Auftrag der Kammer erarbeitete Studie fest.

Von Bernd Musch-Borowska | 12.04.2004
    Wenn ab dem 1. Mai die polnischen Diplome auch in Deutschland und anderen EU-Staaten automatisch anerkannt würden, könnte ein wahrer Exodus von Ärzten aus Polen anbrechen, warnt Adam Kozierkiewicz, der Autor der Studie:

    Wenn Polen der EU beitritt, bekommen die Ärzte mehr Möglichkeiten, sich innerhalb der Europäischen Union zu bewegen. Vor allem werden die Ärzte ihre Diplome in allen EU-Ländern nutzen können. Also es wird kein Problem mit der Anerkennung geben, man muss keine zusätzlichen Prüfungen bestehen usw. Schon heute gibt es in einigen Ländern großes Interesse an Ärzten aus Polen, so dass es auch das Problem der Arbeitserlaubnis eigentlich nicht gibt. Denn in der Regel sorgt die einladende Seite dafür, dass das vor Ort gelöst wird.

    Besonders aktiv bei der Anwerbung von polnischen Ärzten sind offenbar die skandinavischen Länder, Dänemark, Schweden, Norwegen und Großbritannien. Aber auch Deutschland, sagt Adam Kozierkiewicz:

    Es gibt auch eine kontinuierliche Abwerbung nach Deutschland. Diese findet auf der Ebene der medizinischen Einrichtungen statt, also konkrete Krankenhäuser oder medizinische Institutionen aus Deutschland veröffentlichen ihr Interesse, polnische Ärzte zu beschäftigen. Ein Teil der polnischen Ärzte hat irgendwann deutsch gelernt, also die Sprachbarriere wird auch kleiner sein.

    Schon heute fehlten in Ostdeutschland mehrere tausend Ärzte, weil die Bezahlung im West besser sei, klagt Udo Wolter, der Präsident der Landesärztekammer Brandenburg. Dieser Bedarf werde unter anderem mit Medizinern aus Osteuropa abgedeckt:

    Uns haben 200 Ärzte gefehlt, nur im stationären Bereich. 200 Krankenhaus-Ärzte, bei 51 Krankenhäusern. Und von diesen besteht jetzt noch ein Mangel von 99, alle anderen sind mit osteuropäischen Ärzten abgedeckt worden. Daran können Sie sehen, dass über 100 erst ganz kurzfristig in Brandenburg ihre Tätigkeit aufgenommen haben. Die Landesregierung weiß das auch, die ist recht froh darüber und hat große Statistiken. Der Hauptanteil kommt aus den umliegenden Ländern, Polen und Tschechei. Wir haben jetzt gerade Mitte März eine Veranstaltung der Ärztekammer Brandenburg gehabt und dabei ist gesagt worden, dass wir in Brandenburg Ärzte aus 56 Ländern der Welt haben, wir also international sind, der Hauptanteil aber Polen und Tschechen sind.

    Der Ärztemangel in Ostdeutschland könnte sich nach dem EU-Beitritt auf Polen übertragen, befürchtet die polnische Ärztekammer. In den vergangenen Jahren sei man fälschlicherweise von einer Überversorgung ausgegangen, sagt Adam Kozierkiewicz und habe versucht die Zahl der Medizin-Absolventen zu beschränken. Wenn die EU-Direktive über die Versorgungsdichte im medizinischen Bereich in Kraft trete, könnte es in Polen knapp werden:

    Die Zahl der Ärzte auf tausend Einwohner beträgt in Polen 2,2. In Deutschland liegt sie bei 3,6, also fast doppelt so hoch. Wegen der Direktive über die Arbeitszeit der Ärzte schätzt man, dass in Deutschland im Laufe eines Jahres 10- bis 15-tausend Ärzte fehlen werden, um die Stellen zu besetzen. Dieselbe Direktive wird sich auf uns beziehen. Es besteht also die Gefahr, dass wir in einigen Teilen des Landes nicht genug Ärzte haben werden, um einige Stellen zu besetzen, vor allem die weniger attraktiven Stellen. Das wird zum Beispiel solche Folge haben, dass in den Rettungswagen keine Ärzte mehr mitfahren, sondern nur noch Sanitäter.

    Während die älteren bereits niedergelassenen Ärzte in Polen kaum ihre Praxis aufgeben werden, gibt es bei den jungen Medizinern offenbar eine größere Bereitschaft auszuwandern. Die polnische Ärztekammer geht davon aus, dass schätzungsweise jeder dritte polnische Arzt im Alter zwischen 25 und 35 das Land verlassen könnte.