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Polen, die EU und der Brexit
Lieber drinnen als außen vor

Mehr als 850.000 Polen leben in Großbritannien. Jeder vierte von ihnen erwägt im Fall eines Brexits die Rückkehr in die Heimat. Obwohl auch dort Kritiker der nationalkonservativen Regierung in Warschau vorwerfen, das Land aus der EU führen zu wollen. Einen Austritt kann sich in Polen zum jetzigen Zeitpunkt aber kaum jemand vorstellen. Zu frisch sind die Erinnerungen an das Dasein als europäischer Außenseiter.

Von Johanna Herzing und Florian Kellermann | 23.06.2016
    Eine polnische Flagge und eine Europafahne wehen im Wind.
    Die EU-Kommission wirft der polnischen Regierung vor, Demokratie und Menschenwürde nicht mehr gebührend zu schützen. (dpa/Beate Schleep)
    Ein Tag im Mai. Zu Füßen von Lord Nelson, mitten auf dem Trafalgar Square in London, werden weiß-rote Fähnchen geschwenkt. Auf der kleinen Tribüne vor dem berühmten Denkmal beschwört Dagmara Chmielewska den Nationalstolz der ringsum Versammelten – allesamt in Großbritannien lebende Polen. Anlass: Der so genannte Flaggentag, ein polnischer Feiertag, der zusammenfällt mit dem Tag der Polonia, der Gemeinschaft der Auslands-Polen.
    Mehr als 850.000 von ihnen leben in Großbritannien; damit stellen Polen die größte Gruppe von EU-Ausländern auf der britischen Insel. Chmielewska, Mitglied der liberalen polnischen Partei Nowoczesna - auf Deutsch: die Moderne -, lebt seit 2008 in England. Die Stimmung in der polnischen Gemeinde, sagt sie, ist seit einiger Zeit gedrückt:
    "Innerhalb der Polonia ist in letzter Zeit das Gefühl einer Bedrohung deutlich spürbar. Medien und Politiker äußern sich zu den Folgen eines möglichen Austritts Großbritanniens aus der EU. Jeder Pole in Großbritannien ist sich darüber im Klaren, dass es in allen Bereichen – Wirtschaft, Gesellschaft, Bildung – zu großen Problemen kommen kann."
    Hinzu kommt, dass die Brexit-Befürworter im Zuge ihrer Kampagne lauthals die bisherige Einwanderungspolitik und die europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit kritisiert haben. Eine übergroße und nicht zu schulternde Last für Großbritannien, hieß es immer wieder. Als EU-Nichtmitglied – so ihr Versprechen – könne Großbritannien die Migration hingegen klar begrenzen.
    Polens Präsident rät Auslands-Polen in Großbritannien von Rückkehr ab
    Premierminister David Cameron wiederum versuchte, den EU-Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen und erwirkte in Brüssel eine Sonderregelung. Künftig sollen EU-Bürger im Vereinigten Königreich erst nach rund vier Jahren Zugang zu Sozialleistungen erhalten. Ein Zugeständnis, das auf polnischer Seite für auffallend wenig Protest gesorgt hat. Die Devise schien zu lauten: Retten, was zu retten ist. Besser eingeschränkte Rechte als ein Brexit.
    Jeder vierte Pole in Großbritannien, so heißt es in einer aktuellen Studie, erwägt im Falle eines Brexit die Rückkehr in die Heimat. Besonders besorgt sind diejenigen Polen, die erst seit Kurzem auf der Insel leben und noch keinen dauerhaften Aufenthaltstitel haben. Sie fürchten, keine Visa zu erhalten und über kurz oder lang abgeschoben zu werden. Selbst manchen, die seit vielen Jahren schon dort leben, ist mulmig zumute:
    "Es ist nicht so, dass ich die Europäische Union für die tollste Sache der Welt halten würde. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie das wäre, wenn England tatsächlich austreten würde. Ich zum Beispiel habe hier einen unbegrenzten Aufenthaltstitel; ich denke also, dass mir keine Gefahr droht. Aber ganz sicher weiß ich es auch nicht, denn Großbritannien könnte ja vielleicht diese Dinge in Zukunft anders regeln. Ich habe keinen englischen Pass, deswegen weiß ich nicht, wie es dann letztlich um mich bestellt ist."

    Nach Polen zurückzukehren, das kann sich die 38-jährige Maja Malinowska nicht vorstellen. Vor zehn Jahren verließ die Lehrerin ihre Heimatstadt Gdynia an der Ostsee und zog nach England. Auch das nationalkonservative Regierungslager in Malinowskas Heimatland zögert, die Polonia in Großbritannien zur Rückkehr zu ermuntern. So riet etwa Andrzej Duda, der polnische Präsident, im Herbst des vergangenen Jahres bei einem Besuch im Vereinigten Königreich seinen Landsleuten davon ab, ihr Glück in Polen zu suchen. Zum wiederholten Mal:
    Andrzej Duda spricht bei einer Pressekonferenz in ein Mikrofon, im Hintergrund die Flaggen Polens und der EU.
    Polens Präsident Andrzej Duda riet den in Großbritannien lebenden Polen von einer Rückkehr in die Heimat ab. (picture alliance / dpa / Leszek Szymanski)
    "Ich habe damals gesagt, ich wünschte, ihr könntet zurückkehren, und dass ich überzeugt bin, dass viele von euch davon träumen. Zugleich habe ich auch gesagt, dass ich es nicht wage, zur Rückkehr aufzufordern, denn ihr seid nicht weggegangen, weil ihr euer Heimatland verlassen wolltet, sondern weil ihr in unserem Land, in Polen, nicht die Möglichkeiten hattet, euch zu entwickeln, Arbeit zu finden oder eine angemessen bezahlte Arbeit zu finden."
    Nach dem EU-Beitritt stieg das polnische Bruttoinlandsprodukt stetig an
    Zwar versprechen Duda und auch die nationalkonservative Regierung unter Beata Szydlo immer wieder, das zu ändern, doch noch ist das ökonomische Gefälle zwischen Großbritannien und Polen unübersehbar hoch. Und so betonte die polnische Premierministerin beim Besuch ihres Amtskollegen David Cameron zu Beginn des Jahres:
    "Für Polen ist Großbritannien ein strategischer und ein sehr wichtiger Partner. Und für uns ist es entscheidend, dass Großbritannien in der EU bleibt, weil es ein Land ist, das das Fundament der EU darstellt. Und für Polen, für seine Wirtschaft ebenso wie für die polnische Politik, ist es ungemein wichtig, dass Großbritannien in der EU bleibt. Wir schätzen diese Zusammenarbeit sehr."
    Zugleich verwies Szydlo nicht ohne Stolz auf den Beitrag ihrer Landsleute zum britischen Bruttoinlandsprodukt. Unerwähnt blieb dabei, dass davon wiederum auch Polen profitiert: Wandern doch nicht unerhebliche Summen des Arbeitslohns von der Insel gen Heimat. Die Familie in Polen geht einkaufen mit dem Geld, das die in Großbritannien arbeitenden Verwandten schicken.
    Dass viele Briten aus der EU austreten wollen, ist auch für die Polen, die im Heimatland wohnen, schwer verständlich. Sie sind längst nicht mit allem einverstanden, was in Straßburg und Brüssel passiert. Und die rechtskonservative Regierung, die laut auf Souveränität pocht, steht in Umfragen weiterhin gut da. Doch bei aller Skepsis, einen Austritt des eigenen Landes aus der EU will kaum jemand in Polen. In den zehn Jahren nach dem EU-Beitritt 2004 stieg das Bruttoinlandsprodukt um 40 Prozent. Aber das ist nur ein Grund für die EU-Begeisterung.
    Auf einer Bank in der Innenstadt von Nowa Sol sitzt Tomasz. Er ist aus England zurückgekommen. Fünf Jahre hat er mit seiner Familie in Brighton gewohnt, nur ein paar hundert Meter vom Strand entfernt. Trotzdem ist der 33-Jährige froh, dass er und seine Familie in die Stadt in Westpolen zurückgekehrt sind:
    "Man kann mehr verdienen in England, aber Geld ist ja nicht alles. Als hier eine neue Fabrik entstanden ist, habe ich meinem Bruder gesagt, er soll mich sofort anrufen, wenn es dort Arbeit gibt. Eine Woche später haben wir unsere Koffer gepackt und sind zurückgekehrt. Heute ist es sogar so, dass die Arbeitgeber hier nach Fachkräften suchen."
    Tomasz sagt auch, wem die Stadt das seiner Ansicht nach zu verdanken habe: Dem Bürgermeister Wadim Tyszkiewicz, der regelmäßig mit über 80 Prozent wiedergewählt wird:
    "Und der Union, der Europäische Union. Mit ihrer Hilfe sind die meisten der neuen Fabriken entstanden, auch unsere. Darüber bin ich sehr froh."
    Tatsächlich war Nowa Sol mit seinen 40.000 Einwohnern eine Stadt im Untergang. In den Jahren nach der demokratischen Wende folgte ein Tiefschlag auf den anderen. Die beiden großen Fabriken entließen die meisten Mitarbeiter, die Arbeitslosigkeit stieg auf über 40 Prozent. Dann trat auch noch die Oder über die Ufer. Beim großen Hochwasser 1997 standen große Teile der Stadt unter Wasser, erinnert sich Leslaw Czajkowski, der am Ufer entlang spaziert:
    "Der Fluss stieg auf eine Höhe von 6,80 Meter. Hier war alles überschwemmt, sogar das Zentrum, die Antoni-Kirche, dieses roten Gebäude dort. Gut, dass wir jetzt diese Mauer hier haben, die uns schützt."
    EU-Förderprogramme für polnische Kommunen
    Ein Kilometer lang ist die Mauer. Oben, am Ufer, führt heute ein idyllischer Boulevard entlang. Der 69-jährige Rentner Czajkowski erinnert sich auch an ein weiteres Hochwasser, zwölf Jahre später: Die Bewohner von Nowa Sol kamen zur Oder und staunten, wie das Wasser diesmal anschwoll, aber nicht mehr bedrohlich wurde. Sie konnten den einstigen Unglücksfluss wieder in ihr Herz schließen, auch dank der Europäischen Union, die die Mauer mitfinanzierte:
    "Wir sind dort, wo wir schon lange hätten sein sollen, in der EU. Nach 1945 nahmen sich unsere östlichen Nachbarn unserer an, die Sowjetunion, und wir konnten uns nicht frei bewegen. Ein bisschen spät, denn Polen gehört einfach zu Europa."

    Inzwischen gibt es hier sogar wieder zwei Touristenschiffe auf der Oder, die von den anliegenden Kommunen betrieben werden und flussabwärts bis nach Frankfurt/Oder und Kostrzyce fahren. Die meisten neuen Firmen haben sich auf dem Gewerbegebiet im Norden der Stadt angesiedelt, vor allem Automobil-Zulieferer. So ist die Arbeitslosigkeit in der Stadt inzwischen auf zehn Prozent gesunken.
    Straßenszene in Nowa Sol in Polen: Das Eckhaus liegt an den ehemaligen Straßen Berliner Straße und Angerstraße.
    Die Stadt Nowa Sol in Polen profitiert von EU-Förderprogrammen. (dpa / picture alliance / Forum)
    Schon 2012 wurde Nowa Sol als Kommune ausgezeichnet, die am meisten von EU-Förderprogrammen profitieren konnte. Die heutige polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo aber kam im vergangenen Jahr aus einem ganz anderen Grund hierher. Sie wollte zeigen, wie schlecht es um Polen steht und hielt ihre Pressekonferenz vor einer halb verfallenen Fabrik für Nähfäden ab:
    "Wir befinden uns hier auf dem Gelände der ehemaligen Faden-Fabrik Odra, wo eigentlich das Leben pulsieren sollte, wo Leute arbeiten sollten, wo auch Steuern für Nowa Sol und für den Staatshaushalt erwirtschaftet werden sollten. Aber Sie sehen ja, wie es hier aussieht, weil es keine Programme gibt, um solche ehemaligen Industrie-Standorte zu unterstützen."
    PiS-Partei ist im offenen Streit mit der EU-Kommission
    Für viele Bewohner von Nowa Sol zeigte schon diese Pressekonferenz, wie die rechtskonservative Partei PiS von Ministerpräsidentin Szydlo zur Europäischen Union steht. Denn was mit deren Hilfe in Nowa Sol geschaffen wurde, interessierte sie nicht. Heute befindet sich die polnische Regierung, geführt von der PiS-Partei, in einem offenen Streit mit der EU-Kommission.
    Im Januar leitete Brüssel ein Verfahren ein: Die Kommission wollte prüfen, wie es um den Rechtsstaat in Polen bestellt ist. In einem Zwischenbericht, den sie vor kurzem nach Warschau schickte, kam die EU-Kommission zu einem vernichtenden Urteil: In Polen stehe die Menschenwürde nicht mehr unter dem ihr gebührenden Schutz, ebenso die Freiheit, die Demokratie und die Gleichheit vor dem Gesetz. Beata Szydlo zeigte sich unbeeindruckt, zumindest nach außen. Im Parlament erklärte sie:
    "Wir wollen, dass Europa unsere Entscheidungen achtet, unsere Traditionen. Wir wollen, dass Europa unsere Souveränität achtet, wie die aller europäischer Länder. Die polnische Regierung wird sich nie einem Ultimatum beugen. Die polnische Regierung wird nicht zulassen, dass den Polen ein fremder Wille aufgezwungen wird. Ich wiederhole noch einmal: Ich bin Europäerin, aber vor allem bin ich Polin."
    Der Streit betrifft vor allem das Verfassungsgericht. Die Regierung wollte dessen Einfluss durch ein neues Gesetz stark begrenzen. Diese Bestimmungen seien verfassungswidrig, urteilte das Verfassungsgericht. Aber die PiS-Regierung erkennt dessen Urteile nicht mehr an und verletzt damit das Prinzip der Gewaltenteilung.
    Bürgerbewegung demonstriert gegen PiS-Regierung
    Kritiker werfen der Regierung vor, dass sie durch ihren Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien Polen nach und nach aus der EU dränge. Eine Demonstration brachte deshalb über 100.000 Menschen in die Warschauer Innenstadt. Das Motto lautete: "Wir sind und bleiben in Europa." Nicht nur wegen des Geldes, sagt die Finanzmaklerin Anna Dolgolewska, die mitmarschierte:
    "Jahrelang waren wir eingesperrt, jahrzehntelang waren wir hinter dem Eisernen Vorhang. Mit dem EU-Beitritt haben die Menschen aufgeatmet. Sie konnten sich endlich frei in Europa bewegen. Unsere Geschäftsleute können sogar im EU-Ausland Firmen gründen! Und selbst diejenigen, die nicht unmittelbar profitieren, fühlen sich einfach geadelt. Wir sind Bürger Europas geworden, Bürger der freien Welt."

    Die 63-jährige Anna Dolgolewska ist selbständig. Deshalb könne sie es sich leisten, die Demokratiebewegung in Polen auch wochentags zu unterstützen. Immer wieder schiebt sie Wache - am kleinen Warschauer Protest-Zeltlager, gegenüber dem Gebäude des Ministerkabinetts. Organisiert wird es vom "Komitee für Verteidigung der Demokratie", kurz KOD. Bürger haben es gegründet, um sich gemeinsam der PiS-Regierung entgegenzustellen.
     EPA / TOMASZ GZELL POLEMenschen führen einen Banner mit der Aufschrift "Stop PiSlam" von der KOD. Sie protestieren gegen die regierende PiS-Paretei und wollen die Demokratie verteidigen. Der Marsch ist ein Ausdruck der Unterstützung für die polnische Präsenz in der Europäischen Union.
    Demonstranten des Komitee zur Verteidigung der Demokratie in Polen. (picture-alliance/dpa/ epa/Tomasz Gzell)
    Die Bewegung KOD ist ein großer Erfolg. Auffällig bleibt jedoch, dass relativ wenige junge Menschen mitmachen. Für sie sind bürgerliche Freiheiten einfach selbstverständlich geworden, auch die Zugehörigkeit zur EU. Die Redner bei der großen Europa-Demonstration spitzten ihre Rhetorik wohl auch deshalb gezielt zu. So erklärte Kamila Gasiuk-Pihowicz von der liberalen Partei "Die Moderne":
    "Wir glauben, dass der Platz Polens im Herzen der Europäischen Union ist. Die PiS-Regierung kehrt Europa den Rücken zu. Ein Reisepass aus dem Land, in dem die PiS regiert, wird uns bald nur noch dazu berechtigen, dass wir in langen Schlangen an den Grenzen der Europäischen Union warten dürfen."
    PiS-Partei: "Ja" zu Europa hat zwei dicke "Aber"
    Die PiS hält diesen Vorwurf, dass sie Polen aus der EU führen wolle, für ungerecht. Sie betont, dass sie mit der EU-Kommission über einen Kompromiss verhandele und diese schon weitgehende Zugeständnisse signalisiert habe. Der Vorsitzende der PiS, Jaroslaw Kaczynski, ließ einen Werbefilm produzieren, als Antwort auf die große Europa-Demonstration. Dort erklärte er:
    "Wir Polen sind schon immer in Europa. Seit 1050 Jahren beteiligen wir uns daran, eine christliche Zivilisation auf unserem Kontinent aufzubauen. Unsere Vorfahren hatten ihren Anteil am Aufbau der Gemeinschaft freier Nationen. Oft mussten wir dafür mehr auf uns nehmen als andere. In Europa zu sein heißt heute: in der Europäischen Union zu sein. Das ist ein Baustein für unsere Sicherheit. Wir wollen in der EU sein, weil wir Einfluss auf das Schicksal Europas haben wollen."
    Dieses "Ja" der PiS-Partei zu Europa ist mit zwei dicken "Aber" versehen. Das eine betrifft das Rechtsstaatsverfahren: Die EU-Kommission habe überhaupt kein recht sich einzumischen, heißt es in Warschau. Das andere "Aber" betrifft die Flüchtlingspolitik. Solidarität mit anderen Ländern gebe es nur bei Naturkatastrophen, sagte Ministerpräsidentin Szydlo in ihrer Regierungserklärung. Die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten komme für die Regierung nicht infrage.
    An dieser Stelle hat PiS die Mehrheit der Polen hinter sich, auch viele Anhänger des Komitees für Verteidigung der Demokratie, sagt der Soziologe Janusz Czapinski:
    "Als Bundeskanzlerin Angela Merkel Flüchtlinge aus Syrien und andere Kriegsflüchtlinge eingeladen hat, haben viele Polen das abgelehnt. Sie hätte die Türen nach Deutschland öffnen können, meinen sie, aber nicht die Türen nach ganz Europa. Die Forderung, die Flüchtlinge über Quoten zu verteilen, hat in Polen dann einen Sturm der Entrüstung entfacht. Die Polen gehören zu den am wenigsten toleranten Gesellschaften in der EU. Sie wollen keine Fremden."
    85-Prozent der Polen freuen sich über EU-Mitgliedschaft
    Das will die PiS nutzen: Sehr oft, wenn Kritik aus Brüssel kommt, erwähnen Regierungsvertreter die Flüchtlingskrise. Europa habe doch viel größere Probleme als das polnische Verfassungsgericht, heißt es dann. Auf die EU-Begeisterung der Polen hat diese Rhetorik bisher keine Wirkung. Weiterhin sind 85-Prozent der Menschen froh, dass ihr Land in der EU ist, wie Umfragen belegen. Zu frisch sind die Erinnerungen an das Dasein als europäischer Außenseiter, als Nicht-Mitglied der Europäischen Union.
    "Als ich 1997 zum ersten Mal nach England gereist bin, mit dem Bus 38 Stunden lang, stand ich an dieser gelben Wartelinie, musste dann zu diesem Fensterchen gehen, über dem stand: 'Andere Bürger'. Da musste ich dann 15, 20 Minuten lang erklären, was ich in England vorhabe, zu wem ich fahre, wie meine Adresse in England lautet usw. usw. Ich musste diesem Menschen erklären, warum ich in sein Land reisen will, obwohl ich aus Polen, also aus Europa komme – und man hätte mich auch einfach abweisen können."

    Eine unangenehme und wohl auch prägende Erfahrung für Maja Malinowska, die polnische Lehrerin, die vor zehn Jahren dauerhaft nach Großbritannien zog. Eine Erfahrung, deren Bedeutung viele jüngere Briten gar nicht nachvollziehen könnten, so Malinowska:
    Cameron und Szydlo sitzen gemeinsam vor den Flaggen ihrer Länder.
    Großbritannien solle in der EU bleiben, betonte die polnische Premierministerin Beata Szydlo beim Besuch ihres britischen Amtskollegen David Cameron. (AFP/Janek Skarzynski)
    "Als die Engländer das hörten, war das für sie wie Science Fiction. Die haben das nicht verstanden, dass wir uns vor dem EU-Beitritt Polens an der Grenze jedes Mal so erklären mussten. Die wussten nicht, dass das so ist, denn die Engländer reisen schon seit Ewigkeiten völlig frei überall hin ohne sich irgendjemanden erklären zu müssen, deshalb sag ich: Für sie war das Science Fiction!"
    Ganz anders der Brexit, eine durchaus reale Möglichkeit. In or Out – die Entscheidung fällt in Kürze und für Briten wie Polen steht fest: Die Antwort auf diese Frage wird ihr Leben wohl entscheidend beeinflussen.