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Polen
Gewerkschaften nehmen Regierung in die Zange

Seitdem die polnische Regierung bei Verhandlungen mit Bergbau-Gewerkschaftern eingeknickt ist, kommen die Arbeitnehmervertreter mit immer neuen Forderungen. Sie haben die Gunst der Stunde erkannt: 2015 Polen ist in Polen ein Superwahljahr.

Von Florian Kellermann | 22.01.2015
    Dieses Bild prägte sich ein: Ministerpräsidentin Ewa Kopacz knetete nervös die Hände, die Gewerkschaftsvertreter strahlten über das ganze Gesicht. Dabei war es doch ein Kompromiss gewesen, den Regierung und Arbeitnehmervertreter unterschrieben hatten. So stellte es jedenfalls Ewa Kopacz dar. Der polnische Bergbau werde reformiert, sagte sie, wenn auch nicht ganz so rasch wie geplant.
    Nur wenige Tage später saßen die Chefs der drei großen Gewerkschaften wieder zusammen, wieder waren sie gut gelaunt. Piotr Duda, Vorsitzender des wichtigsten Verbandes, der "Solidarnosc", auf deutsch "Solidarität", erklärte:
    "Wir fordern die Ministerpräsidentin zu unverzüglichen Verhandlungen mit uns auf. Wir wollen über Mindestlöhne und über die Renten, über die Probleme verschiedener Berufsbranchen sprechen. Erst nach einem ersten Treffen werden wir beurteilen, ob die Ministerpräsidentin auch wirklich guten Willen für solche Gespräche mitbringt. Und nur, wenn das der Fall ist, stoppen wir unsere Vorbereitungen für landesweite Streiks."
    Duda setzte auch gleich ein Ultimatum: Bis 31. Januar müssten die Verhandlungen beginnen. Als Ziel gab er aus, die vor drei Jahren beschlossene Rentenreform zu kippen. Sie hebt das Renteneintrittsalter schrittweise an. Das zweite Ziel der Gewerkschaften: ein Gesetz gegen Lohndumping. In Polen gibt es zwar einen Mindestlohn. Aber er liegt - für einen Vollzeitjob - bei nur 400 Euro im Monat. Außerdem umgehen Firmen ihn oft, indem sie ihre Mitarbeiter als Scheinselbständige beschäftigen.
    Ihr Erfolg bei den Kohleverhandlungen gebe Gewerkschaften Aufwind, so der ehemalige Ministerpräsident Wlodzimierz Cimoszewicz.
    "Jetzt werden immer weitere Berufsgruppen ihre Forderungen vorbringen. Die Gewerkschaften haben Blut geleckt. Sie haben die Regierungschefin als schwach erlebt."
    Vor allem der Soliarnosc-Vorsitzende Duda versucht seit Langem, die Politik in Polen maßgeblich mitzubestimmen. Schon vor zwei Jahren drohte er mit einem Generalstreik - wegen eines Gesetzes für flexiblere Arbeitszeiten.
    Warnung vor einem Generalstreik in Polen
    Aber damals konnte die Regierung die Proteste relativ gelassen abwarten - und tatsächlich verliefen sie im Sand. Das ist heute anders. In Polen ist ein Superwahljahr angebrochen. Zunächst bestimmen die Bürger ihren Präsidenten und im Oktober auch ein neues Parlament. Kein günstiger Zeitpunkt für die regierende Bürgerplattform, kurz PO. Denn die liberale Partei des heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk kämpft mit Affären. Sorgen macht ihr vor allem der ehemalige Außenminister und heutige Parlamentspräsident Radoslaw Sikorski. Zuletzt kam er in die Schlagzeilen, weil er sich seine Reden als Minister von einem befreundeten britischen Diplomaten gegenlesen ließ. Das Ministerium überwies dafür dicke Honorare.
    Entsprechend dünnhäutig reagierte die Umgebung von Ministerpräsidentin Kopacz auf den wachsenden Druck der Gewerkschaft, so ihre enge Mitarbeiterin Malgorzata Kidawa-Blonska.
    "Natürlich sollten wir uns unterhalten, aber nicht in dieser Form. Wenn im Vorhinein Ultimaten gestellt werden, dann vergiftet das die Atmosphäre. Oder drastischer ausgerückt: Wenn einem die Pistole an den Kopf gehalten wird, dann vergeht einem die Lust am Gespräch."
    Die Gewerkschaft "Solidarnosc" arbeitet zudem mehr oder weniger offen mit der Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, zusammen. Das macht die Situation für die Bürgerplattform nicht einfacher. Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski erklärte bereits vollmundig, die PiS werde, wenn sie an die Macht kommt, die Rentenreform korrigieren.
    Die PiS ist zwar weltanschaulich deutlich konservativ, gibt sich in Wirtschaftsfragen aber sozial. Ihr Abgeordneter Jacek Sasin erklärte:
    "Die 'Solidarnosc' handelt eigenständig, aber wir verstehen sie gut. Die Regierung verweigert den Dialog mit den Arbeitnehmern. Da kann es dann schon zu einem Generalstreik kommen - oder zu gesellschaftlichen Unruhen."
    Die Bürgerplattform und die PiS liegen in Umfragen derzeit gleich auf. Bei einer Parlamentswahl jetzt kämen sie demnach jeweils auf 35 Prozent. Königsmacher wäre bei so einem Ergebnis wieder die Bauernpartei PSL. Bei der Präsidentenwahl dagegen scheint der amtierende Bronislaw Komorowski von der Bürgerplattform konkurrenzlos zu sein. Er könnte schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit holen, zeigen Umfragen.