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Polen
Patriotismus statt Fanatismus

Lange war der Patriotismus in Polen eng mit Katholizismus und Stolz auf die Vergangenheit verbunden. Gerade jüngere Polen haben heute eine andere Sicht: Liebe zum Vaterland ja - aber eine gesunde, keine übertriebene.

Von Sabine Adler | 02.12.2013
    Was wir wirklich für unser Vaterland zu tun bereit sind, wissen wir erst, wenn die Probe auf Exempel stattgefunden hat, sagte, freilich viel poetischer - die Literaturnobelpreisträgerin Wiswawa Szymborska.
    Ewa, Mitte 20, versteht unter Patriotismus die Liebe zum Vaterland, allerdings eine gesunde, keine übertriebene:
    "Patriotismus lernt man von den Eltern, der Familie. Patriotismus misst zuallererst daran, wie man sich ihnen gegenüber verhält, seinen Nachbarn, derer unmittelbaren Umgebung. Zuerst müssen wir mit- und untereinander anständig umgehen. Man kann nicht Pole sein und gleichzeitig seine Landleute hassen.“
    Der Historiker Pawel Duber von der Universität Warschau ist Experte für Polen im Ersten Weltkrieg, der in diesem Lied besungen wird und als Meilenstein in Polens Geschichte einging, denn mit ihm endete auch die 123-jährige Teilung des Landes. Zuvor jedoch verlangte er große Opfer. Polen kämpften auf den Schlachtfeldern gegen Polen. Für Russland, Deutschland und Österreich-Ungarn. Und für ihre eigene Souveränität. Pawel Duber:
    "Die Unabhängigkeit hatte für die polnische, politische Elite höchste Priorität. Als der Krieg ausbrach, witterte sie sofort die Chance."
    Denn in Europa wurden die Karten neu gemischt, Grenzen verschoben. Polens Teilungsmächte erlitten schwere Niederlagen, 1918 erlangte Polen seine Souveränität zurück.
    "Das war schon paradox, dass der Krieg, in dem Hunderttausende starben, als Gelegenheit gesehen wurde, endlich das zu erkämpfen, worauf wir so lange gewartet haben."
    Polen wollte Rückständigkeit wettmachen
    Doch das Polen, das nach dem Ersten Weltkrieg entstand, war ein völlig anderes als jenes, das von der Landkarte verschwunden war. Die industrielle Revolution und Demokratisierung hatten ihre Spuren hinterlassen:
    "Der Unterschied war riesig. Während der 123 Jahren Teilung hat sich die Welt enorm entwickelt, vor allem Westeuropa. Früher Polen war eine Monarchie, danach wurde Polen eine der modernsten Demokratien Europas, in der die Frauen von Anfang an das Wahlrecht besaßen. Polen wollte seine langen Jahre der Rückständigkeit so schnell es ging wettmachen."
    Ela, die hin und wieder an Demonstrationen teilnimmt, erlebt, dass Patriotismus schnell in Fanatismus umschlägt, was sie zutiefst ablehnt:
    "Wenn ich Demonstranten höre - sowohl junge als auch alte, die den Zweiten Weltkrieg mitgemacht haben - wenn die fordern, die Regierung zu stürzen sogar erschießen oder sie aufzuhängen, dann erschreckt mich das."
    Patriotismus-Skeptiker in Polen finden, dass die Vaterlandsliebe allzu leicht umkippt, dass sie Fremde ausgrenzt und allzu häufig mit einem Glaubensbekenntnis einhergeht. Nur ein polnische Katholik demnach der größte und beste Patriot sein könne. Ela, die Demonstrantin, stellt fest, dass der Patriotismus im heutigen Polen an Bedeutung eingebüßt hat und längst nicht mehr alle das gleiche darunter verstehen:
    "Das Wort ist nicht mehr so positiv besetzt wie vor 50 oder 70 Jahren, als Polen seine Unabhängigkeit wiedererlangen hat. Heute kann Patriotismus spalten."