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Polen
Streit über Kulturboykott gegen Russland

Eigentlich sollte es der Annäherung zwischen Nachbarn dienen: das polnische Kulturjahr 2015 in Russland und sein russisches Gegenstück in Polen. Doch angesichts der Ukraine-Spannungen hat Polen das Vorhaben abgesagt - und damit eine Debatte über den Sinn eines Kulturboykotts angestoßen.

Von Florian Kellermann | 30.07.2014
    Der polnische Premier Donald Tusk (r) und der damalige Ministerpräsident Russlands, Wladimir Putin, während einer Pressekonferenz am 1.9.2009
    Polen und Russland: Das Verhältnis der Nachbarn bleibt kompliziert. (picture alliance / dpa / epa pap Radek Pietruszka)
    Konzerte, Lesungen, eine Ausstellung über Neoklassizismus - Polen wollte sich im kommenden Jahr im großen Stil in Russland präsentieren. Über 200 Kultureinrichtungen und Künstler hatten sich beworben, 87 waren schon in der engeren Auswahl. Doch das polnische Außenministerium hat das "Jahr Polens" im Nachbarland abgesagt - und damit auch die russische Parallelveranstaltung in Polen. Die angespannte internationale Lage lasse keinen unvoreingenommenen Dialog zu, sagte eine Sprecherin.
    Mit ihrer Entscheidung löste die Regierung eine heftige Debatte aus. Zufrieden zeigten sich vor allem die Rechtskonservativen, so Tomasz Sakiewicz, Chefredakteur der Zeitung "Gazeta Polska", die diesen Schritt schon im März gefordert hatte.
    "Die Regierung hat lange argumentiert, dass man Kultur und Politik doch trennen müsse. Das wäre vielleicht möglich, wenn wir es hier mit Deutschland oder den USA zu tun hätten. Aber in Russland ist alles den Machthabern untergeordnet, selbst die Kirche, und noch viel mehr die Kultur. Wenn zu diesem 'Jahr Polens' wenigstens russische Bürgerrechtler eingeladen wären, dann wäre das vielleicht eine ganz gute Idee. Aber wenn wir einfach so tun, als ob nichts wäre, dann unterstützen wir damit das Vorgehen Russland."
    Wie ein Auftritt in Berlin 1938
    So sehen es auch manche polnische Künstler. Heute in Russland aufzutreten wäre für ihn in etwa so, wie 1938 in Berlin auf die Bühne zu gehen, sagte der Schauspieler Daniel Olbrychski.
    Anders denkt der Kulturkritiker Roman Pawlowski, der für die linksliberale Zeitung "Gazeta Wyborcza" schreibt. Die Kulturveranstaltungen richteten sich doch an diejenigen Russen, die kritisch denken, meint er.
    "Wir müssen diese 20 Prozent Russen erreichen, die Präsident Putin nicht unterstützen. In Polen war es in den 1980er-Jahren auch nur eine Minderheit, die sich in der demokratischen Opposition engagierte. Dennoch hat der Westen genau diese Minderheit unterstützt. Und nach dem Systemwandel zeigten sich diese Menschen am aktivsten. Wenn andere Länder dem polnischen Beispiel folgen und der Westen so seine natürlichen Verbündeten in Russland im Stich lässt, dann schießen wir uns damit ins eigene Knie."
    Obwohl es - in Anführungszeichen - "nur" um Kultur geht, wird die polnische Entscheidung in Russland breit kommentiert. Das staatliche Radio "Stimme Russlands" sprach von einer "präzedenzlosen Entscheidung", einer Politik, die künstliche Barrieren zwischen den Nationen aufbaue. Das Außenministerium in Moskau beklagt, der Kulturaustausch hätte die Beziehung zwischen den beiden Ländern auf ein höheres Niveau heben sollen.
    Um diese Beziehungen steht es in der Tat nicht zum Besten. In den vergangenen Jahren stritten sich die beiden Länder nicht nur um den Preis für russisches Gas. Moskau verhinderte den Import polnischer Lebensmittel, Warschau russische Investitionen im Chemiesektor. Außerdem haben Polen die sogenannte Smolensk-Katastrophe vor vier Jahren noch längst nicht vergessen. Russland weigerte sich, den Absturz eines polnischen Regierungsflugzeugs unvoreingenommen und professionell aufzuklären.
    Angespanntes Verhältnis
    Das angespannte Verhältnis zeigte sich auch in diesem Jahr. Der polnische Premier Tusk verurteilte das russische Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine stets schärfer als andere EU-Regierungschefs, und er machte den Vorschlag einer Energieunion, die den Einfluss von Moskau auf einzelne EU-Länder schwächen soll. Tusk wäre gerne noch Moskau-kritischer, meint Tomasz Sakiewicz.
    "Aber die polnische Regierung orientiert sich in ihrer Außenpolitik stark an Deutschland. Deshalb hat sie einen zu heftigen Konflikt mit Russland bisher gescheut. So hat sie erst jetzt das 'Jahr Polens' abgesagt, nachdem auch Berlin seine Politik gegenüber Russland deutlich verschärft hat."
    Damit macht Polen nun einen Schritt, den andere EU-Länder bisher vermieden haben. Im laufenden Jahr gibt es einen Kulturaustausch zwischen Großbritannien und Russland, er findet bisher ohne Einschränkungen statt. Auch internationale Kulturprojekte in Russland sind bei ihren Plänen geblieben, so die Manifesta, die Biennale für zeitgenössische Kunst, die derzeit nach St. Petersburg einlädt. Die Diskussion, welcher Weg der richtige ist, wird in den kommenden Monaten noch auf viele Kunstprojekte und Kulturschaffende zukommen.