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Polen
Streit um künstliche Befruchtung

"Eine Hoffnung für alle Paare" - mit dieser Parole wirbt Polens liberale Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk für die öffentliche Finanzierung der künstlichen Befruchtung. Die katholische Kirche läuft unterdessen Sturm.

Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig v. Aster | 22.11.2013
    Unter dem Küchentisch wuselt der Hund, die beiden Söhne balgen auf dem Sofa. Anna Krawczak schiebt das Geschirr auf dem Tisch beiseite, schafft Platz für ihren tragbaren Computer.
    Unsere Organisation gibt es seit zwölf Jahren, sagt die blonde Mittdreißigerin. Während sich auf dem Bildschirm die Homepage von "Nasz Bocian" aufbaut, das heißt übersetzt "Unser Storch". Einige Paare, die unter ihrer Kinderlosigkeit litten, haben sich damals zusammengetan, erzählt Krawczak. Es gab zwar die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung, die Behandlung musste allerdings privat finanziert werden. Außerdem fanden sich in der Öffentlichkeit kaum Informationen über die Chancen und Risiken der Methode. Stattdessen tobte ein erbitterter politischer Streit um das In-Vitro-Verfahren. Forderten Kirchenvertreter und konservative Politiker immer wieder ein Verbot der Methode.
    "Ich bin selbst unfruchtbar, aber ich habe zwei Kinder: Mein ältester Sohn ist 12 Jahre alt, mein jüngster vier Jahre. Es dauerte vier Jahre, um meinen jüngsten Sohn zu empfangen. Er wurde mit Hilfe der In-Vitro-Methode gezeugt. Meine Unfruchtbarkeit und die politische Debatte um das Thema In-Vitro fielen zusammen. Ich hatte Angst, dass man die Methode verbieten würde. Deshalb entschloss ich mich, mich zu engagieren."
    Heute betreuen Krawczak und ihre Mitstreiter eines der europaweit größten Internet-Foren zum Thema "Ungewollte Kinderlosigkeit". 1,5 Millionen Einträge pro Monat, 90.000 regelmäßige Nutzer, Experten-Hotlines zu Adoption und künstlicher Befruchtung. Die Informations-Plattform versteht sich als unabhängig und wird ausschließlich aus privaten Spenden finanziert. Mittlerweile ist Anna Krawczak die Vorsitzende von "Nasz Bocian".
    Kirche und Konservative sind dagegen
    "Die Kirche und Konservativen sind gegen das In-Vitro-Verfahren. Es gibt allerdings leichte Unterschiede. Das Meinungsspektrum reicht vom kompletten Verbot bis zu einer sehr starken Enschränkung: Zum Beispiel das Verbot Embryonen einzufrieren oder die Methode nur auf verheiratete Paare zu begrenzen."
    Von Eizellspende bis Embryonenkonservierung ist in Polen alles möglich. Weil nichts geregelt ist. Dieses Jahr aber konnte Krawczaks Patienten-Organisation einen Erfolg verbuchen. Die liberale Tusk-Regierung verabschiedete ein Programm zur Kostenerstattung für die Unfruchtbarkeitsbehandlung. Allerdings auf dem Verordnungsweg, da sie im Parlament keine Mehrheit bekommen hätte.
    "Jedes Paar hat Zugang zum Programm, das aus biologischen Gründen keine Kinder bekommen kann. Alleinstehende Frauen und homosexuelle Paare können nicht teilnehmen. Und die Frauen dürfen nicht älter als 40 Jahre sein."
    Alle Kliniken, die am Kostenerstattungs-Programm der Regierung teilnehmen wollen, müssen gewisse medizinische und ethische Standards garantieren. Ein Anfang, sagt Anna Krawczak.
    "Das ist schon einmal ein Erfolg. Aber wir dürfen nicht vergessen, wir haben noch keinerlei Gesetz. Wir sind das einzige EU-Land, das In-Vitro nicht geregelt hat. Wir ermöglichen eine Erstattung, wir können aber nicht die Sicherheit für die betroffenen Paare garantieren. Wir haben keine Kontrolle, wie die Embryonen gelagert werden. Welche Verfahren angewendet werden. Wir haben kein zentrales Register. Wir haben 50 Kliniken und nur 25, die am Programm teilnehmen - was ist mit dem Rest?"
    Tusk-Regierung kann sich nicht durchsetzen
    Doch eine gesetzlichen Regelung ist derzeit nicht in Sicht. Der Tusk-Regierung fehlt die Mehrheit in den eigenen Reihen, um sie durchzusetzen. Die katholische Kirche brandmarkt die künstliche Befruchtung nach wie vor als "Versuchung des Teufels", spricht vom tausendfachen Embryonenmord. Und fordert ein Verbot, unterstützt von nationalkonservativen Politikern. Anna Krawczak schüttelt den Kopf: Sie glaubt, dass selbst im katholischen Polen diese Botschaft nicht mehr ankommt:
    "Der Punkt ist: Die Kirche ist nicht die heiligste Sache hier in Polen. Die heiligste Sache ist die Familie. Die Menschen gehen sonntags in die Kirche. Und nach der Messe essen sie ihre traditionelle Hühnersuppe mit der ganzen Familie. Das ist die heilige Sache. Die Familien haben sie sieben Tagen die Woche, die Kirche nur für eine Stunde am Sonntag."