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Polen
Umstrittene Justizreform überraschend auf Eis gelegt

Die polnische Regierungspartei PiS hat ihre geplante Justizreform doch nicht beschlossen. Möglicherweise reagiert sie damit auf die heftige internationale Kritik an dem Vorhaben. Jetzt wird gerätselt, ob die PiS in ihrem Reformdrang vorsichtiger wird.

Von Florian Kellermann | 11.05.2017
    Das Gebäude des polnischen Verfassungsgerichts.
    Das polnische Verfassungsgericht und seine Zusammensetzung war im letzten Jahr häufig Gegenstand der politischen Auseinandersetzung. (picture alliance / Alexey Vitvitsky/Sputnik)
    Bisher hat die polnische Regierungspartei PiS ihre Vorhaben durchgezogen, ohne Rücksicht auf Proteste. Das galt vor allem, wenn um Kontrolle über das Justizsystem ging, so im vergangenen Jahr beim Streit um das Verfassungsgericht.

    Nun steht die lange angekündigte Reform der ordentlichen Gerichtsbarkeit an. Doch plötzlich haben die Rechtskonservativen den Rückwärtsgang eingelegt. Auch der ehemalige Justizminister Borys Budka von der rechtsliberalen Oppositionspartei "Bürgerplattform" wirkte überrascht:

    "Das wäre eine gute Nachricht, wenn dieses Gesetzesprojekt ganz zurückgezogen würde. Einstweilen hat der Parlamentspräsident aber nur entschieden, dass der Sejm sich erster später mit ihm befassen wird. Und ob das polnische Gerichtswesen jetzt gleich oder erst in zwei Wochen zerstört wird, spielt keine so große Rolle. Aber vielleicht überdenkt das Regierungslager ja sein Vorhaben."
    Streit um Einfluss auf die Gerichte
    Aus dem Parlamentspräsidium heißt es: Der Sejm warte auf weitere Stellungnahmen zu dem Gesetz. Möglicherweise suche die Regierung doch Kompromisslösungen, vermutet die regierungskritische Zeitung "Gazeta Wyborcza", um eine allzu harsche Reaktion aus dem Ausland zu vermeiden. Die Regierungsgegner werfen der Reform vor allem vor, dass der Justizminister durch sie großen Einfluss auf die Gerichte erhält. Er soll die Gerichtspräsidenten im Alleingang berufen und abberufen können. Richter Waldemar Zurek:

    "Heute sind Richter fest an einem Gericht beschäftigt. Von dort können sie nicht ohne Grund abberufen werden. Nun aber sollen die Gerichtspräsidenten, die der Justizminister bestimmt, Richter von einem Tag auf den anderen versetzen können, von mir aus 90 Kilometer entfernt und von einer Strafkammer an eine Zivilkammer. So geben wir dem Justizminister, einem Politiker, ein Instrument, mit dem er über die Gerichtspräsidenten jeden einzelnen Richter beeinflussen kann."

    Die Regierung sieht das ganz anders. Ihr Einfluss auf die Gerichte stelle eine demokratische Kontrolle der Richter dar, so ihr Argument, schließlich sei die Regierung vom Volk gewählt. Justizminister Zbigniew Ziobro:

    "Die Richter dürfen sich nicht für Vertreter einer außerordentlichen Kaste halten. Diejenigen, die so denken, zeigen Arroganz, Hochmut und Dünkel. Damit wollen wir Schluss machen, denn das erwartet die Gesellschaft von uns."

    Doch nicht nur die große Justizreform ist vorerst verschoben, sondern auch eine kleinere Änderung am Justizsystem, die eigentlich morgen schon endgültig beschlossen werden sollte. Dabei geht es um den Landesjustizrat. Bisher bestimmen die Richter selber die Mitglieder des Rats. Künftig soll dies das Parlament machen, wo die PiS über die absolute Mehrheit verfügt. Der Landesjustizrat ist mit der Beförderung von Richtern betraut - und mit Disziplinarverfahren gegen sie.
    Eine Abkehr von den Reformen erscheint unwahrscheinlich
    Auch diese Vorhaben würden im Ausland sehr kritisch gesehen, meint Miroslaw Wroblewski, Anwalt im Büro des Ombudsmanns für Bürgerrechte:

    "Die EU-Kommission verhält sich derzeit relativ ruhig. Ich nehme an, das hängt mit den wichtigen Wahlen in verschiedenen EU-Ländern zusammen. Dafür kommt Kritik aus anderen Ecken, so am Dienstag beim Rat für Menschenrechte der Vereinten Nationen. Dort haben unter anderem die USA und Kanada die bedrohte Unabhängigkeit der Gerichte in Polen angesprochen. Ich hoffe, das wird hier in Polen ernst genommen."

    Vielleicht ist das der Grund, warum die Gerichtsreform auf Eis liegt. Dass die PiS ganz auf sie verzichtet, können sich aber die wenigsten Beobachter vorstellen, höchstens ein Einlenken bei den umstrittensten Punkten.