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Artemis Quartett
Abschied und Aufbruch

Personalwechsel beim Artemis-Quartett: Zwei Musiker verlassen das Ensemble und haben den Staffelstab an ihre Nachfolger übergeben. Beim Debütkonzert in neuer Besetzung deutete sich ein anderer Ton an – gleichzeitig bleibt das Quartett dem Geist des Ensembles treu.

Von Marcus Stäbler | 06.05.2019
    Die Musiker des Artemis Quartett sitzen mit ihren Instrumenten roten Sesseln und blicken nach oben, Bild aufgenommen in Vogelperspektive
    Das Artemis-Quartett in alter Besetzung: Der Cellist Eckart Runge (u.r.) und die Geigerin Anthea Kreston (o.l.) verlassen die Gruppe. (Nikolaj Lund)
    Die erste Geige erstrahlt mit einer sonnigen Melodie, sie verströmt einen Geist von Frische und romantischem Überschwang. Das erste Streichsextett von Johannes Brahms, das er mit Ende zwanzig vollendet hat, ist ein Werk des Aufbruchs und nicht des Abschieds. Genau deshalb hat das Artemis Quartett dieses Stück für seine musikalische Staffelübergabe ausgewählt, wie der scheidende Cellist Eckart Runge erklärt.
    "Das erste Sextett von Brahms zu spielen, ist natürlich genau die Message, die da reinpasst für uns. Es hat etwas Jugendliches, es hat etwas Positives. Es ist nicht zu nachdenklich.
    Wir wollten ein Programm gestalten, das alles vereint, was in diesem Abschnitt der Quartettgeschichte passiert. Vor allem soll jetzt nicht der Schwerpunkt zu sehr auf Wehmut und Rückblick liegen, obwohl das natürlich auch dazu gehört. Die Tatsache, dass jetzt die Geschichte weiter geht und für mich in einer ganz wunderbaren Weise weiter geht, sollte auch einen großen Bestandteil dieses Programms ausmachen."
    Blick nach vorne
    Deshalb haben Eckart Runge und seine Kollegen mit dem ersten Sextett von Brahms den Blick nach vorne gerichtet. Mit welchem Wohlwollen der Gründungscellist den zwei neuen Kolleginnen und insbesondere seiner Nachfolgerin am Cello begegnet, war beim Konzert im kleinen Saal der Bremer Glocke sowohl musikalisch als auch optisch deutlich zu spüren. Besonders deutlich gleich zu Beginn des Brahms-Sextetts, wo das Thema im ersten Cello liegt und Eckart Runge seiner jungen Kollegin Harriet Krijgh geradezu liebevoll den Vortritt ließ.
    Den personellen Doppelwechsel im Artemis Quartett mit gemeinsamen Auftritten aller sechs Streicher einzuleiten, war noch eine Idee der alten Besetzung – sie eröffnet den zwei neuen Mitgliedern die Möglichkeit, den Spirit des Ensembles selbst auf der Bühne zu erleben. Ein bewegender Moment für die Geigerin Suyoen Kim und die Cellistin Harriet Krijgh.
    "Das ist etwas Wunderbares, ein olympisches Feuer, das weitergegeben wird."
    Die Träger der Fackel wechseln, aber die Flamme selbst brennt weiter: mit diesem Bild betont die niederländische Cellistin dem Gedanken der Kontinuität. Sie möchte den Geist des Artemis Quartetts auch in Zukunft wahren und weitertragen.
    "Was sehr stark den Charakter im Artemis Quartett prägt, ist die Suche nach etwas. Nach Ausdruck, nach Berührung, nach dem Leben in der Musik – und da wirklich voll hinein gehen."
    Mischung aus Homogenität und einer gesunden Portion Eigensinn
    Die Suche nach dem Ausdruck ist natürlich kein exklusives Merkmal des Artemis Quartetts, sondern ein Ziel der meisten Musiker. Aber das Ensemble geht da schon noch einen Schritt weiter als viele Kollegen; die Verbindung aus analytischer Klarheit und Expressivität, aus Homogenität und einer gesunden Portion Eigensinn führt zu besonders packenden Interpretationen. Das gilt auch für die aktuelle Besetzung.
    In der zweiten Hälfte des Programms spielte das neue Artemis Quartett Smetanas autobiografisches Stück "Aus meinem Leben". Dass dabei mitunter hier und da noch eine leichte Nervosität zu spüren war, bestärkte den Eindruck einer beinahe jugendlichen Aufbruchsstimmung, voller Leidenschaft und Temperament. Die Polka-Anklänge im zweiten Satz, mit denen der Komponist die Tanzlust seiner Jugend erinnert, versprühten etwa einen volksmusikantischen Charme:
    Im dritten Satz, der den Zauber der ersten Liebe beschwört, erreichte das Quartett dagegen eine stellenweise geradezu erschütternde Intensität – womöglich schwang da auch die Erinnerung an den 2015 verstorbenen Artemis-Bratscher Friedemann Weigle mit, dem das Stück besonders nahe war.
    Hier berührte das Ensemble mit emotionaler Dinglichkeit, aber auch mit inniger Herzenswärme: wenn das Cello nach einem dramatischen Höhepunkt das Thema aufgreift und als nostalgische Melodie wiederkehren lässt. Von Harriet Krijgh wunderbar zart gesungen.
    Eigener Ton der neuen Besetzung
    In solchen Momenten deutet sich ein eigener Ton der neuen Besetzung an. Das Artemis Quartett bleibt dem Geist des Ensembles treu und erfährt trotzdem mit dem personellen auch einen musikalischen Wandel. Den beobachtet Eckart Runge aus der für ihn neuen Außenperspektive:
    "Es ist sensibler geworden, glaube ich. Es ist – ohne die Energie zu verlieren, die Power ist absolut da – ein Stück weit feiner geworden."
    Die Besucher des Debütkonzerts vom neuen Artemis Quartett erlebten eine spannende Mischung aus neuen Einflüssen und bewährten Qualitäten. Harriet Krijgh ist weniger Fels in der Brandung als ihr Vorgänger Eckart Runge, sie bringt auch körpersprachlich eine eigene Form der Flexibilität und Beweglichkeit ins Ensemble; die neue Geigerin Suyoen Kim spielt mit leuchtendem und etwas brillanterem Ton als ihre Vorgängerin Anthea Kreston; sie wird sich in Zukunft mit Vineta Sareika am ersten Pult abwechseln.
    Es ist viel in Bewegung beim Artemis Quartett und es braucht sicher noch etwas Zeit, bis alles seinen endgültigen Platz gefunden hat. Doch das hohe Niveau und die außergewöhnliche Intensität bleiben gewahrt, soweit man das nach einem ersten Auftritt beurteilen kann.