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Novembergruppe 1918
Freiheits-Künstler in der Berlinischen Galerie

Initiiert durch die Maler Pechstein und Tappert gründet sich 1918 in Berlin eine riesige Künstler-Vereinigung: die Novembergruppe. Ihre Überzeugung: Dass durch die Kunst der Mensch „besser“ werden könne - und demokratischer. Die Berlinische Galerie zeigt diesen Aufbruchsversuch in eine freie Kunst.

Von Barbara Bogen | 09.11.2018
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    Karl Völker, Beton, um 1924 (© Nachlass Karl Völker, Foto: Klaus E. Göltz)
    Hunderte von Künstlern machen mit. Die Avantgarde der Zeit zählt dazu: Rudolf Belling und Paul Klee, Otto Dix und Piet Mondrian, Kurt Schwitters und Hannah Höch. Eine extrem heterogene Gruppe, die sich dem ungeachtet als Gemeinschaft fühlt, geprägt von einer geradezu kolossal modernen Offenheit gegenüber den verschiedenen Stilrichtungen der Kunst. Das Prinzip: Vielfalt, Pluralität. Neben Repräsentanten von Kubismus, Futurismus, Expressionismus finden sich die Künstler des Dada, der Abstraktion und der Neuen Sachlichkeit. Darüber hinaus sucht man den Kontakt zur internationalen Avantgarde. Der Leitspruch der Gruppe: "Wir unterstützen weder Dogma noch Doktrin".
    Im Vordergrund: die Freiheit der Kunst
    Es ist ein radikaler Freiheitsbegriff, den die Novembergruppe einfordert für ihr Kunstverständnis. Gleich in ihrem ersten Manifest nehmen die Künstler das Motto der Französischen Revolution auf: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Doch ihre Definition dessen, was Kunst ist und sein soll, klingt zugleich so verblüffend postmodern, als sei sie heute formuliert und nicht einhundert Jahre zuvor im Jahr 1918. Janina Nentwig ist eine der Kuratorinnen der aktuellen Ausstellung in der Berlinischen Galerie:
    "Der Begriff der Freiheit ist für die Novembergruppe in so vielfältiger Hinsicht von Bedeutung, dass wir ihn dann auch als Titel unserer Ausstellung gewählt haben. Die Novembergruppe war frei offen für sämtliche Richtungen der Avantgarde. Sie hat alle Gattungen vereint. Sie war eine Vereinigung, die aus Malern, Bildhauern, Architekten, Komponisten, Schriftstellern und Filmschaffenden bestand. Ja, und diese pluralistische Haltung, dieses Offensein für das Neue und auch immer wieder das Neue präsentieren, das ist für uns so die Kernbotschaft der Novembergruppe."
    Volkskünstlertum
    Den Künstlern der Novembergruppe geht es um die Realisierung einer "Vermischung von Volk und Kunst", wie sie es nennen. Und wie ließe sich Kunst aus den elitären Zirkeln des Bildungsbürgertums leichter lösen als in zahlreichen Ausstellungen. Tatsächlich realisieren die Künstler in der Zeit zwischen 1918 und 1932 an die vierzig Ausstellungen, die auch außerhalb Berlins und im europäischen Ausland gezeigt werden. Ausstellungen, die erstmals einem Massenpublikum offenstehen. Die Präsentation in der Berlinischen Galerie zeichnet jetzt in sechs Kapiteln und einem Prolog die Geschichte dieser Ausstellungen nach, ihrer "Befreiungsenergien".
    Anfangs Protestwelle
    Bei Presse und Besuchern sorgen die ersten Präsentationen 1920 noch für Spott, Unverständnis, offene Ablehnung, ja, sogar Gewalttätigkeit. Vor allem die Werke der Dadaisten, ihre Collagen mit Zeitungsartikeln und Alltagsgegenständen und die wilde Formensprache des Expressionismus werden als abstoßend empfunden. Das Chaotische, Unruhige scheint die Verhältnisse der jungen instabilen Demokratie zu spiegeln. Auch die Arbeiten der Bildhauerin Emy Roeder, Oswald Herzogs grandiose Bronzeplastik "Genießen" oder Rudolf Bellings Skulptur "Erotik" sorgen für Widerstand. Einige Arbeiten werden von aufgebrachten Besuchern sogar attackiert und zerstört. Doch das zunächst irritierte Publikum gewöhnt sich überraschend schnell an die ästhetische Sprache der Moderne, und die Ausstellungen der Novembergruppe werden zusehends populärer und schließlich von hunderttausend Neugierigen besucht.
    119 Werke von 69 Künstlerinnen und Künstlern
    Die aktuelle Präsentation in der Berlinischen Galerie aber ist so grandios und verblüffend auch vor allem deswegen, weil sie in der Zeit nach 1918 eine schier unfassbare Modernität ausmacht. Hannah Höchs großformatiges Gemälde mit dem Titel "Die Journalisten" von 1925 etwa lässt gebrochene, gespaltene Physiognomien erkennen, die einen Francis Bacon vorweg zu nehmen scheinen. Und die ausgestellten Architekturmodelle im Zeichen des Neuen Bauens, so die "Sternkirche" von Otto Bartning aus dem Jahr 1922, löst durchaus Assoziationen aus zur dekonstruktivistischen Architektur eines Frank Gehry. Natürlich sind berühmte Arbeiten wie George Groszs sozialkritisches Gemälde "Stützen der Gesellschaft" von 1926 zu sehen, daneben aber sind zahlreiche Entdeckungen zu machen.
    "Für uns war es bei der Konzeption der Ausstellung wirklich ein Herzensanliegen, dass wir nicht nur die großen Namen der klassischen Moderne hier in dieser Ausstellung zeigen. Wir haben zum Beispiel einen Piet Mondrian aus dem Ludwig Museum in Köln leihen können, aber den hängen wir zusammen mit zwei Werken von Walter Dexel, auch ein abstrakter Maler, der nur mit Farbflächen und Formen arbeitet, der aber heute fast vergessen ist, und es ist wirklich ein Herzensanliegen diesen Künstlern mit diesen Werken den roten Teppich auszurollen."
    Die Machtergreifung der Nationalsozialisten bereitete der Novembergruppe ein Ende. Der jüdische Maler und Bildhauer Otto Freundlich wurde 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Das Verdienst dieser großartigen, umfangreichen, aktuellen Berliner Ausstellung ist, eine fast vergessene künstlerische Bewegung wieder ins Gedächtnis zu rufen, die zahllose Assoziationen auszulösen vermag zur Situation heute, und die daran erinnert, dass die Freiheit der Kunst damals erstritten wurde und bis heute nicht selbstverständlich ist.