Neu im Kino: "Bohnenstange"

Bruch mit dem Heldenmythos

05:49 Minuten
In einem Filmstill aus "Bohnenstange" ist eine Schauspielerin mit Kopftuch zu sehen.
Filmszene aus „Bohnenstange“: Ija ist Krankenschwester und fällt ab und an selbst in eine Schockstarre. © Eksystent Distribution / Liana Mukhamedzyanova
Von Jörg Taszman · 21.10.2020
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Leningrad nach dem Zweiten Weltkrieg: Zwei traumatisierte Frauen schlagen sich durch die zerstörte Stadt. "Bohnenstange" von Regisseur Kantemir Balagow ist kraftvolles Kino mit herausragenden Darstellerinnen und setzt auch politisch neue Akzente.

Worum geht es?

Leningrad im Herbst 1945. Die hoch aufgeschossene Ija arbeitet als Krankenschwester und behandelt Kriegsversehrte. Ab und zu verfällt sie in eine Schockstarre, nimmt dann minutenlang nichts mehr wahr und hört auch nichts. Als ihre beste Freundin Mascha zurück nach Leningrad kommt, muss Ija ihr ein trauriges Ereignis beichten.
Die beiden Frauen schlagen sich mit ihren seelischen und körperlichen Wunden durch eine durch Krieg und lange Hungerjahre zerstörte Stadt, deren Einwohner zutiefst traumatisiert sind.

Was ist das Besondere?

Der erst 29 Jahre alte Regisseur Kantemir Balagow hat einen ebenso beeindruckenden, wie zutiefst subtilen Nachkriegsfilm geschaffen, der die Kriegsüberlebenden in den Mittelpunkt rückt. Er setzt völlig neue Akzente und bricht mit dem Heldenmythos des Großen Vaterländischen Krieges aus Sowjetzeiten, der im Russland unter Putin wieder zunehmend bemüht wird. Obwohl der Film mitunter tieftraurig ist, gefällt sich Balagow nicht in einem modischen Nihilismus oder der Zurschaustellung des Kriegselends.

Ist der Film zu empfehlen?

"Bohnenstange" besticht nicht nur durch herausragende Darstellerinnen, sondern vor allem durch seine inspirierte Bildsprache und originellen Regieeinfälle. So hält mitten auf einer Straße eine Tram. Es drängen sich vor allem Frauen in die Wagen, die Männer sind eben im Krieg gefallen oder nicht zurückgekehrt.
Amüsant ist, wenn zwei noch sehr unerfahrene Jungs versuchen, Ija und Mascha aufzureißen, aber von Frauen überhaupt keine Ahnung haben. Traurig dagegen die Begegnung eines jungen, querschnittgelähmten Mannes mit seiner Frau, die ihn eigentlich für tot hielt. Über das unverhoffte Wiedersehen können sich beide nicht freuen.
Immer wieder gelingen Kantemir Balagow solche kleinen Vignetten aus dem sowjetischen Nachkriegsalltag, die dann insgesamt ein kraftvolles Stück Kino zwischen Trauer und (Über-)Lebenskraft ergeben.

"Bohnenstange"
Russland 2019
Regie: Kantemir Balagow
Mit Viktoria Miroschnitschenko, Wasilisa Pereligina, Andrei Bykow
Länge: 134 Minuten

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