Obdachlose in der Pandemie

"Corona ist mir egal - ich habe Hunger"

07:57 Minuten
Ein Obdachloser sammelt Flaschen in der Kölner Innenstadt, Ende März 2020 | Verwendung weltweit
Die Lage vieler Obdachloser ist verzweifelt. Corona verschärft die Situation zusätzlich. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Von Vivien Leue · 22.10.2020
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Der Winter ist eine schwierige Jahreszeit für Obdachlose. Kommen Winter und Corona zusammen, wird die Lage für viele noch prekärer. Beispiel Köln: Hier versuchen Hilfsvereine und die Sozialverwaltung, sich für die kommenden Monate zu rüsten.
"Guten Abend, möchten Sie noch Ketchup oder Brot dazu?"
Montagabend am Breslauer Platz in Köln, direkt hinter dem Hauptbahnhof. Der sogenannte Kältebus ist da, zusammen mit fünf Ehrenamtlichen der Organisation "Freunde der Kölner Straßen". Immer montags und mittwochs geben sie direkt hinter dem großen Brunnen am Breslauer Platz, aus einem umgebauten Transporter heraus, wohnungslosen Menschen ein warmes Essen, Kleidung und ein offenes Ohr.
"Um neun Uhr gibt’s neue Schuhe, ja? Erst gibt’s jetzt Essen und um neun Uhr dann Kleider."

Die Warteschlange am Bus ist lang

Rund 80 Obdachlose kommen hier regelmäßig vorbei, auch jetzt, wenige Minuten nach Ankunft des Busses, ist die Schlange der Wartenden schon mehr als 20 Meter lang.
"Ich bin jetzt seit einem halben Jahr quasi obdachlos", sagt dieser Mann mit Mütze und zerschlissenem Rucksack. Er ist wie alle anderen hier froh, dass der Bus weiter kommen darf, trotz steigender Corona-Zahlen.
"Corona ist mir egal, weil ich Hunger habe", sagt diese Frau und lehnt sich etwas wankend an einen Mann an. Abstände werden unter den Wohnungslosen in der Schlange nicht immer eingehalten, aber die Helfer des Kölner Kältebusses achten darauf, dass zumindest jeder eine Maske trägt und sich die Hände desinfiziert.
"Gute Hilfe, dieser Bus, super Hilfe."
"Das ist unheimlich wichtig."
"Ist schon ne tolle Sache, auf jeden Fall."
"Die Leute sind Engel, dass sie das geben, immer gutes Essen und immer schön warm."

Die Hygieneregeln machen vieles schwierig

Einer dieser Engel ist Feyza. Seit vier Jahren hilft die 37-Jährige bei den Freunden der Kölner Straßen schon mit – man merkt ihr an, dass sie das aus voller Überzeugung tut. Gut 6000 Obdachlose leben in Köln.
Eine obdachlose Person, steigt in einen Bus eines Kölner Hilfsvereins. 2647195741_(c) Vivien Leue.jpg
Der Hilfeverein "Freunde der Kölner Straßen" unterstützt Obdachlose. EIne wichtige Anlaufstelle ist der Kältebus.© Deutschlandradio / Vivien Leue
An die neuen Hygieneregeln hätten sich Helfer wie auch Wohnungslose längst gewöhnt, erzählt Feyza, aber das seien nicht die einzigen Veränderungen in der Pandemie. "Man hat sich manchmal auch umarmt, wenn man gesehen hat, einem geht es gar nicht gut und dann brauchten die für eine Sekunde nur eine Umarmung. Aber jetzt beschweren die sich auch manchmal und sagen: Ihr habt jetzt so viel Abstand zu uns genommen."
Das sei aber nun mal notwendig, sagt Feyza. Nur mit Abstand und all den anderen Hygieneregeln könne auch die Hilfe weiter laufen. Und dass sie weiterlaufe, sei wichtig, gerade jetzt, in solch unsicheren Zeiten. Besonders schlimm war es im Frühjahr, als alle Geschäfte schließen mussten.

Weniger Spenden, weniger alltägliche Hilfe

"Die wohnungslosen Personen hatten definitiv viele Probleme in der Coronazeit, weil auch weniger Menschen rausgegangen sind. Tagsüber sind die ja an verschiedenen Orten und kriegen Spenden und das gab es natürlich lange Zeit nicht mehr. Oder wenn jemand kurz aus dem Bäcker rausgerannt ist, hat er jemandem ein Brötchen in die Hand gedrückt, was jetzt nicht mehr so leicht ist."
An die Phase des sogenannten Lockdowns, als kaum Menschen in der Stadt unterwegs waren und noch strengere Kontaktbeschränkungen galten, denkt auch Anne Rossenbach vom Sozialdienst katholischer Frauen in Köln, kurz SKF, nur ungern zurück.
"Im Lockdown war es wirklich gruselig", sagt sie. "Man konnte eben nicht mehr Flaschensammeln, man konnte nicht betteln, man war auch so sichtbar als wohnungslose Frau oder als wohnungsloser Mann in der Stadt." Die U-Bahnhöfe verwaist, der Hauptbahnhof ruhig, die Straßen leer. Es sei schon sehr gut, dass wieder mehr Leben in der Stadt herrsche.

Viele Einrichtungen sind länger geöffnet

Der SKF betreibt in Köln Wohnungslosencafés und -unterkünfte, auch Notschlafplätze gibt es. Wie viele andere freie Wohlfahrtsträger hat sich der SKF auf die neuen Coronaregeln eingestellt. "Auch ohne Corona muss man schauen: Haben die irgendwelche Hautkrankheiten, Krätze, Läuse oder solche übertragbaren Geschichten, das ist bei jeder Neubelegung ja gleich", erläutert Rossenbach.
Nun werde eben auch nach Erkältungssymptomen gefragt. "Wir haben ein Zimmer extra eingerichtet für Frauen, falls sie Erkältungsanzeichen zeigen, sodass wir die Frau dann in einem Einzelzimmer unterbringen können, ansonsten sind das relativ großzügige Doppelzimmer, sodass das auch unter Coronabedingungen relativ sicher laufen kann."
Viele Obdachloseneinrichtungen haben jetzt länger oder häufiger auf, um auch unter besonderen Hygienebedingungen allen Hilfesuchenden gerecht zu werden, erklärt die Leiterin des Kölner Amtes für Soziales, Arbeit und Senioren, Katja Robinson.
"Wir können nicht mehr ganz so viele Menschen in einen Raum aufnehmen, um die Abstände zu wahren, und insofern sind wir momentan am Überlegen, wie wir Öffnungszeiten verlängern können, aber wie wir auch in Kooperation kommen mit anderen Orten. Zum Beispiel in Ehrenfeld gibt es schon erste Gespräche mit Diskothekenbetreibern, dass man einfach mal überlegt, wo kommen wir noch an Platz, an Raum."

Probleme mit Lunge, Leber oder Herz

Denn gerade jetzt, vor dem herannahenden Winter, braucht es Räume, in denen sich wohnungslose Menschen auch tagsüber aufhalten können, sagt Anne Rossenbach vom SKF. "Wohnungslose haben kein Zuhause, wo sie bleiben können. Das heißt, auch da braucht man ausreichend Plätze, die eben nicht am nächsten Morgen geräumt werden müssen, sondern wo man auch den nächsten Tag verbringen kann."
Das sei nicht nur aus humanitären Gründen wichtig, "sondern auch im Sinne des Infektionsschutzes." Viele Obdachlose leiden an Suchterkrankungen, haben Probleme mit der Lunge, der Leber oder dem Herzen.
"Was sicherlich klar ist, dass Wohnungslose zu einer besonders gefährdeten Gruppe gehören. Von daher müssen wir gut gucken, dass wir in den Einrichtungen für Wohnungslose den Menschen die Möglichkeit eines Tagesaufenthaltes und die Möglichkeit geben, warm und trocken zu übernachten und sich gut mit Lebensmitteln zu versorgen, damit Menschen gut durch die Infektionszeit kommen."

In Coronazeiten ist Hilfe noch wichtiger als sonst

Sozialamtsleiterin Katja Robinson sieht Köln für die kommenden Wintermonate gut gerüstet: "Unsere Systeme sind voll am Laufen. Wenn es jetzt so richtig in Minusgrade reingeht, dann machen wir auch Kältegänge, dann gehen wir mit Streetwork raus und schauen, wo ist noch jemand, wo muss noch jemand eingesammelt werden, damit uns da auch möglichst niemand erfriert."
Diese und all die anderen Hilfen sind gerade jetzt in der Coronapandemie offenbar noch wichtiger als sonst. Feyza und die Freunde der Kölner Straßen merken, dass ihr Kältebus – wie im Sommer auch die Essensausgabe mit dem Bollerwagen – mehr Zulauf hat als sonst: "Wir haben gemerkt, dass das deutlich mehr Leute sind. Inzwischen sind viele Leute dazu gekommen, die wir nicht kennen oder die wir erst seit ein paar Monaten dabei haben."

Durch die Pandemie den letzten Halt verloren

Manche erzählen, dass sie aus kleineren Städten kommen, in denen es kaum noch Hilfsangebote gebe. Andere haben erst durch die Pandemie ihren letzten Halt verloren. Nun hoffen sie alle, dass die zweite Coronawelle nicht zu einem neuen Lockdown führt.
"Man hört ja immer Nachrichten, zweite Welle und so, da wird sofort nachgefragt, seid ihr trotzdem hier oder müssen wir damit rechnen, dass ihr erst mal nicht kommt, aber bis auf Weiteres, solange es uns auch erlaubt wird, werden wir uns hier auch befinden", sagt Feyza - und es ist klar, dass sie alles möglich machen wird, um den Menschen auf der Straße auch in der Corona-Pandemie zu helfen.
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