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Polens Kulturkampf (4/5)
Eltern gegen Lehrplan

Polen hat 2016 sein Bildungssystem reformiert, das Gymnasium abgeschafft und Lehrbücher mit Propaganda gegen Fremde und für ein konservatives Frauenbild eingeführt. Eltern wie Dorota Loboda sehen darin einen Weg in die Vergangenheit – und sind dabei, eine Bildungs-NGO zu gründen.

Von Anja Schrum | 15.02.2018
    Eine hell- und eine dunkelhäutige Puppe im Kindergarten von Dorota Loboda
    Ethnische Vielfalt ist in Dorota Lobodas Kinderkrippe ein Wert – in aktuellen polnischen Schulbüchern sei eher das Gegenteil der Fall, meint die Bildungs-Aktivistin (Deutschlandradio / Grenzgänger)
    Krähen hocken in den kahlen Bäumen der Ulica Suzina im Warschauer Stadtteil Zoliborz. Darunter parken Mittelklassewagen halb auf dem Bürgersteig – mehr Parkraum gibt die enge Wohnstraße nicht her. An der Ecke zur Ulica Prochnika bröckelt die Fassade eines ehemaligen Kesselhauses. Drinnen aber bietet ein trendiges Restaurant moderne polnische Küche.
    Unverputzte Backsteinwände, rohe Holzböden und Stahlträger sprechen die zahlungskräftige Mittelschicht an, die hier in dem grünen Stadtteil links der Weichsel lebt. Ein Haus weiter kommt ein Dreijähriger an der Hand seiner Mutter aus einer Erdgeschoss-Wohnung. "Angielski dla dzieci - Englisch für Kinder" ist auf einem Schild im Fenster zu lesen.
    Drinnen geht es vorbei an bunten Kleiderhaken in Hüfthöhe bis zu einem schmalen Tresen. Dahinter steht Dorota Loboda und sortiert stapelweise Papier. Die zierliche 42-Jährige im azurblauen Kleid schiebt eine Strähne ihres schulterlangen blonden Haares hinters Ohr und greift zum Klammerhefter. Sie beginnt die Ausdrucke zusammenzutackern. Neue Verträge für die private Kinderkrippe, die sie hier betreibt:
    "Uns ist es gelungen, einen kuscheligen Ort für Kleinkinder zu schaffen. Es ist eine sehr befriedigende Arbeit, weil sie beweist, dass man einen kinderfreundlichen Ort schaffen kann, an dem Disziplin nicht den höchsten aller Werte darstellt."
    Gehorsam und Auswendiglernen
    Dorota Loboda schüttelt den Kopf. Disziplin, Gehorsam, Auswendiglernen – genau diese Werte haben im polnischen Bildungssystem wieder Konjunktur, fürchtet die Mutter von zwei Mädchen, 12 und 16 Jahre alt. Für Loboda ist die Reform des Schulsystems, die die PiS-Regierung Ende 2016 im Eiltempo durchs Parlament gebracht hat, ein Schritt zurück in die Vergangenheit:
    "Und zwar nicht nur fünf Jahre zurück, sondern 30, 40 Jahre zurück, zu der Schule, in die meine Generation ging. Die Schulreform führt uns Polen in die entgegengesetzte Richtung, in die der Rest der Welt geht."
    Polen hat kurzerhand eine ganze Schulform abgeschafft. Tausende Schulen, die bislang die Klassen sieben bis neun unterrichteten und in Polen "Gymnasien" heißen, mussten schließen. Die Kinder bleiben nun bis zur achten Klasse in der Grundschule. Und wechseln dann auf die weiterführende Schule. Ihre größere Tochter sei von der Reform nicht mehr betroffen, sagt Dorota Loboda. Wohl aber deren jüngere Schwester, die seit September die neue siebente Klasse besucht:
    "Das Curriculum und die Schülbücher sind von schlechter Qualität. Die Siebtklässler sind jetzt überlastet. Es gibt viel zu viel enzyklopädisches Wissen in den Büchern und im Curriculum, aber kaum Unterricht, der bei den Erfahrungen der Kinder ansetzt."
    Fragwürdige Lerninhalte
    Das neue Lehrmaterial, das ihre Jüngste mit nach Hause bringt, blättert Dorota Loboda gründlich durch. Und findet immer wieder Sachen, die ihr ganz und gar nicht gefallen:
    "Ich mag nicht, dass in Geografie meine Tochter lernen wird, dass Ausländer oder Vertreter anderer Religionen Gefahren und Bedrohungen mit sich bringen, wie man bereits in Westeuropa sehen könne. Ich möchte nicht, dass meinen Kindern so etwas beigebracht wird. Das ist gegen meine Überzeugung und meine Werte. Ich mag nicht, dass meiner Tochter in Biologie beigebracht wird, dass die "natürliche Methode" mit dem Kalender die einzig richtige Verhütungsmethode ist. Und ich mag nicht, wie Frauen in den Schulbüchern dargestellt werden. Meine Mädchen sind junge Feministinnen. Aber der Blick auf die Welt, wie er ihnen in der Schule vermittelt werden soll, ist genau das Gegenteil von dem, was sie zu Hause erfahren."
    Die 42-Jährige hatte zum Eltern-Protest gegen die Reform aufgerufen. Sie hat ein Referendum mitorganisiert, das die Reform stoppen sollte. Innerhalb kürzester Zeit kamen über 900.000 Unterschriften zusammen – doch vergeblich:
    "Die Bildungsministerin Anna Zalewska hat sich nie mit uns protestierenden Eltern getroffen. Wir haben auch Petitionen an die damalige Premierministerin Beata Szydlo geschrieben und um ein Treffen gebeten. Aber die Regierung und das Bildungsministerium zeigten sich blind und taub gegenüber unseren Bemühungen."
    "Eine weniger gebildete, nationalistischere Gesellschaft"
    Die Propaganda in den staatlichen Medien habe das Übrige getan, sagt Loboda. Auch dort wurde die Reform durchweg im positiven Licht dargestellt. Trotzdem will die kämpferische 42-Jährige nicht aufgeben. Als nächstes soll eine Stiftung gegründet werden, um aus der locker vernetzten Eltern-Bewegung eine schlagkräftige Nichtregierungsorganisation zu machen. Denn die Folgen der Reform sind jetzt allerorten zu spüren. Die erweiterten Grundschulen platzen aus allen Nähten:
    "Weil Siebtklässler in der Grundschule bleiben, sind diese Schulen jetzt überfüllt. Sportunterricht findet auf den Schulfluren statt und es wird in Schichten unterrichtet. Einige Kinder gehen in die erste Schicht, da beginnt der Unterricht um sieben Uhr. Und die zweite Schicht endet viertel nach Fünf am Nachmittag…"
    Dortoa Loboda schüttelt den Kopf. Um die Bildung ihrer kleinen Tochter macht sich die 42-Jährige allerdings nicht so viele Sorgen und ihr Blick fällt auf eines der Regale der Kita, in dem zwei Stoffpuppen nebeneinander sitzen – eine hellhäutige mit blondem Wollhaar und eine dunkelhäutige mit schwarzen Haaren:
    "Ich mache mir nicht so viel Sorgen um meine Tochter, aber ich bin besorgt, in welcher Gesellschaft sie künftig leben wird. Eine Gesellschaft, die weniger gebildet ist, dafür umso nationalistischer. Und mit Menschen, die sich anderen Kulturen oder Minderheitsrechten verschließen. Das ist, was mir Sorgen bereitet."